Tichys Einblick
Heldenhafter Retro-Exorzismus

Münchner Landkreis-Schule möchte nicht mehr „Otfried-Preußler-Gymnasium“ heißen

Das Pullacher Gymnasium wirft den Namen Preußlers über Bord. Alle sind sich einig: Lehrer, Eltern, Schüler, Kommune. Dass Otfried Preußler zeit seines Lebens zum leidenschaftlichen Pazifisten wurde? Dass Preußler in seinen Romanen zum Widerstand gegen Zauberer und Hexer aufgerufen hatte? Alles egal! Man schreibt die Vita eines großen Mannes gratismutig neu.

Kinderbuchautor Otfried Preußler, Aufnahme vom 01.09.1993

IMAGO / teutopress

Die Gemeinde Pullach ist eine rund 9.000 Einwohner zählende, wohlhabende Kommune am Südrand der Stadt München; sie gehört zum Landkreis München und wird von einer „grünen“ Bürgermeisterin regiert. Alles recht und schön. Schlagzeilen macht die Gemeinde seit einigen Monaten, weil die „Schulfamilie“ samt Gemeinderat das 2013 so getaufte „Otfried-Preußler-Gymnasium“ wieder namenlos machen möchte. Von wegen „Nazi“ und so.

Zur Erinnerung: Otfried Preußler (1923 – 2013), selbst einst Lehrer und Rektor, war und bleibt einer der erfolgreichsten deutschen Kinder- und Jugendbuchautoren. Seine insgesamt 38 Bücher wurden rund dreißigmillionenfach gekauft, von Millionen von Schülern gelesen und in mehr als fünfzig Sprachen übersetzt. Zum Beispiel seine Bücher „Die kleine Hexe“, „Räuber Hotzenplotz“ und “Krabat“. Mehr als zwanzig Schulen in Deutschland tragen seinen Namen.

Und nun das: Zehn Jahre nach der Benennung des Pullacher Gymnasiums als “Otfried-Preußler-Gymnasium“, zehn Jahre nach Preußlers Tod und exakt zu seinem hundertsten „Geburtstag“ 2023 (er)finden „woke“ Lehrer, Eltern, Schüler und Gemeinderäte den angeblichen Früh-Nazi Preußler und inszenieren einen Retro-Exorzismus gegen Preußler. 2013 übrigens hatte sich das Pullacher Gymnasium Preußlers Namen mit folgender Begründung angelacht: Preußler sei ein „in Bayern, Deutschland und der Welt berühmter und vielfach ausgezeichneter Schriftsteller“, zudem ein „herausragender Pädagoge, dessen pädagogische Überzeugungen sich in seinen Büchern und autobiographischen Skizzen manifestieren“.

Erbarmungslos wie in Orwells Wahrheitsministerium

Zehn Jahre später aber ist in Pullach ein Orwellsches Wahrheitsministerium am Werk. Zu diesem Zweck packte man den ganzen Werkzeugkasten aus, den sich selbsternannte Kämpfer gegen Nazis und Co. gerne zusammenbasteln. Das läuft dann – posthum – so ab: Der 1923 in Reichenberg/Liberec geborene Otfried Preußler sei in einer naziaffinen Familie aufgewachsen. Mit 16 sei er HJ-Oberjungenschaftsführer, mit 17 Jungzugführer und Oberjungzugführer geworden. Mit 18 sei er in die NSDAP eingetreten. 1940 habe Preußler als 17-Jähriger drei in Briefform geschriebene Texte mit dem Titel „Lieber Soldat!“ verfasst, die in der Zeitschrift „Kameraden. Sudetendeutsche Briefe an Wehr- und Werkmänner“ erschienen seien. 1940/41 habe Preußler, nach wie vor minderjährig, mit „Erntelager Geyer“ einen autobiographisch geprägten Jugendroman verfasst. Darin erzähle er von einer Gruppe von 10- bis 14-jährigen ‚Pimpfen‘ beim Ernteeinsatz auf dem Land.

Wie die meisten Angehörigen seines Jahrgangs hatte sich Otfried Preußler 1942 nach seinem Abitur in Reichenberg (heute: Liberec/Tschechien) zum Kriegsdienst gemeldet. Ab Frühjahr 1942 diente er, später als Leutnant, an der Ostfront als „Nationalsozialistischer Führungsoffizier“. 1944, während seines Einsatzes an der Ostfront wird „Erntelager Geyer“ veröffentlicht. Ende August 1944 kam er für fünf Jahre in russische Gefangenschaft, aus der er mit 40 Kilogramm Körpergewicht 1949 entlassen wurde.

Ob dieser Jugendjahre Preußlers lud das „Otfried-Preußler-Gymnasium Pullach“ im November 2023 zu einer „Info-Veranstaltung“ ein, bei der Lehrer die Ergebnisse ihrer „Recherche“ vorstellten. Sie warfen die Frage auf, ob Preußler als Vorbild für Schüler nach dem, was nun über ihn herausgefunden wurde, weiterhin geeignet sei. Allen voran der Lehrer für Mathe und Physik Jochen Marx, der schon 2018 eine entsprechende „AG“ zu Preußler gegründet hatte. Ergebnis der „Recherche“: Otfried Preußler, bei der „Machtergreifung“ übrigens noch keine zehn Jahre alt, sei schnell Teil des Systems geworden. Der Roman „Erntelager Geyer“, den Preußler als 17/18-Jähriger geschrieben hatte, sei ein „HJ-Roman“. Oberstudiendirektor Fischbach (64, ebenfalls Mathe- und Physiklehrer) weiß posthum gönnerhaft zu ergänzen: Tja, hätte sich Preußler mal ordentlich von seinem Frühwerk distanziert, dann sähe die Sache anders aus.

Schulherde macht auf Gratismut

Nun also der ultimative Schritt: Das Pullacher Gymnasium wirft den Namen Preußlers über Bord. Alle sind sich einig: Lehrer, Eltern, Schüler und zuletzt auch die Kommune. Echt heldenhaft!

Dass Otfried Preußler zeit seines Lebens zum leidenschaftlichen Pazifisten wurde? Egal! Dass Preußler vor allem in seinem Roman „Krabat“ zum Widerstand gegen Zauberer und Hexer aufgerufen hatte? Egal! Man schreibt die große Vita eines großen Mannes gratismutig neu. Nicht einmal den Autor der großen „Preußler“-Biographie hatte man angehört oder reden lassen – den FAZ-Feuilletonist Tilman Spreckelsen, der 2023 zum „Hundertsten“ Preußlers eine sehr lesenswerte Biographie veröffentlicht hatte: „Otfried Preußler: Ein Leben in Geschichten | Biografie über den Schöpfer des Räuber Hotzenplotz, der kleinen Hexe u.v.m.“ (August 2023, 304 Seiten).

FAZ-Mann Tilman Spreckelsen ist es auch, der die peinliche, ja skandalöse Pullacher Posse gottlob am 22. Februar 2024 in die Bundespresse brachte. Er wundert sich zu Recht, wie eine pädagogische Einrichtung das großartige Werk eines Otfried Preußler auf dessen Jugendjahre 1940/41 reduzieren könne.

Fazit: Das ist Deutschland inklusive Bayern! In den Worten des großen Publizisten Johannes Gross († 1999) könnte man sagen: „Je länger das Dritte Reich tot ist, umso stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen.“ Stimmt nicht ganz: Dass Jürgen Habermas 1944/45 Jungvolkführer und Günter Grass 1944 als 17-Jähriger bei der SS war … Aber das ist was ganz anderes!

Ein Bravo für diesen Heldenmut, verehrte Schulfamilie Pullach! Mit dieser Gnadenlosigkeit gegen einen 17-Jährigen des Jahres 1940 habt ihr zudem die pädagogische Chance vergeben, jungen Menschen die Wendung eines jungen Mannes zu einem großen Humanisten vorzustellen. So aber ist wenigstens bewiesen, dass diese (vormalige) Bildungsnation zwar in „Pisa“ miserabel abschneidet, dies aber mittels eines hypermoralischen historischen Retro-Exorzismus wettzumachen gedenkt. Den Schaden hat nicht der große Otfried Preußler, sondern das nun wieder so steril genannte „Staatliche Gymnasium Pullach“.