Tichys Einblick
Alles Lüge oder was?

Politische Intransparenz fördert Verschwörungstheorien

Dauerhafte Zustimmung und Gefolgschaft können sich Regierende nur dort sichern, wo sie selbst universellen Prinzipien folgen. Sonst schaffen sie ein Biotop für Verschwörungstheorien. Von Stefan Rehder

imago images / Eibner

Verschwörungstheorien haben Konjunktur. Nicht erst seit das Virus SARS-CoV-2 die Welt in Angst und Schrecken versetzt. Schon Antike und Mittelalter kannten sie. Zu den folgenreichsten zählt die Behauptung, Christen hätten Rom angezündet. Und natürlich mag, wer hört oder liest, Menschen seien überzeugt, dass die Mondlandung inszeniert, Elvis Presley von Außerirdischen entführt und Barack Obama ein Echsenmensch sei, je nach Grad der Empathie, die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, in Gelächter ausbrechen oder über den Kabelbrand im Führerhaus spotten. Nur hilft das niemandem. Auch ist nicht jeder, der Verschwörungstheorien anhängt, schon ein Fall für den Therapeuten.

Es offenbart sich der rationale Kern des Menschen

So paradox es scheinen mag, nüchtern betrachtet offenbart gerade die Anfälligkeit des Menschen für Verschwörungstheorien seinen rationalen Kern. Die Erkenntnis oder oft auch nur die Ahnung, dass letztlich alles eine Ursache hat und nichts grundlos oder zufällig geschieht, ist dem Menschen offenkundig eingeschrieben, so absurd bisweilen die Blüten sein mögen, die diese hervorbringt.

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Eine Politik, die dem keine Rechnung trägt, läuft Gefahr, ein Biotop zu erschaffen, in welchem Verschwörungstheorien so lange wuchern und gedeihen, bis Land und Leute unregierbar werden. Beispiel Corona: Zu Beginn der Pandemie erfreute sich das Regierungshandeln in der Bevölkerung trotz gravierender Eingriffe in zahlreiche Grundrechte breiter Zustimmung. Die politisch Verantwortlichen, so schien es, hatten einen Plan, verfolgten eine klare Strategie. Das Gesundheitssystem dürfe nicht überlastet werden, Bilder, wie sie das Fernsehen aus Italien zeigte, sollten sich in Deutschland und Österreich nicht wiederholen. Welcher Erfolg den ergriffenen Maßnahmen beschieden sei, zeige sich erst im Abstand von zwei Wochen, hieß es.

Nun, da sich die Länder mit Lockerungen geradezu überbieten, scheint keiner der politisch Verantwortlichen die Auswirkungen, die diese auf das Infektionsgeschehen haben, abwarten zu wollen. Kann es da wundern, dass Verschwörungstheorien wie Pilze aus dem Boden schießen?

„Wer Gleiches ungleich und Ungleiches gleich
behandelt, öffnet der Willkür Tür und Tor“

Dass auch die Regierenden in ihrem Handeln nicht gänzlich frei sind, sondern bei der Aufhebung von Beschränkungen Zwängen unterliegen, etwa weil Eingriffe in die Grundrechte stets notwendig, rechtmäßig und verhältnismäßig sein müssen, zählt zu jenem Wissen, das Politiker nicht voraussetzen dürfen, sondern Bürgern vermitteln müssen. Andernfalls entsteht der Eindruck, Politiker reagierten nur auf Druck. Dass Viele nun nach dem Urheber des Drucks fragen und manche dabei auf obskure Ideen verfallen, mag wundern, überraschen kann es nicht.

Das entbindet freilich niemanden von der vernunftgemäßen Pflicht, angebotene Erklärungen sorgfältig auf Belegbarkeit und Plausibilität zu prüfen. Noch wichtiger als die Erläuterung politischen Handelns ist aber dessen Stringenz. Wo Politiker bloße Klientelpolitik betreiben, Gleiches ungleich und Ungleiches gleich (Ehe für alle) behandeln, öffnen sie Ideologie und Willkür Tür und Tor. Zustimmung und dauerhafte Gefolgschaft der Regierten können sich Regierende nur dort sichern, wo sie selbst universellen Prinzipien folgen. Der bloße Wille zur Macht zählt hier nicht dazu.


Dieser Beitrag von Stefan Rehder erschien zuerst in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, der wir für die freundliche Genehmigung zur Übernahme danken.

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