Tichys Einblick

Paralleljustiz für Journalisten?

Der Presserat findet Strafanzeigen gegen Journalisten doof. Man will das via »Selbstkontrolle« regeln. Wollen die eine parallele Justiz, eine Art »Journalisten-Scharia«? Welches Sonderrecht erhalten die Bürger, die einfach nur arbeiten und Steuern zahlen?

»Lieber Herr Polizeikommissar, ich habe Ihre Nachricht erhalten, dass ich meinen Mann erwürgt, den Hamster gehängt und das Haus in Flammen gesetzt haben soll. Ich werde intern entsprechende Untersuchungen anstoßen, um festzustellen, ob ich das getan habe und ob es gegebenenfalls zu bestrafen ist. Wenn es mir notwendig erscheint, werde ich Sie vom Ergebnis meiner Nachforschungen und Erwägungen in Kenntnis setzen. Bis dahin bitte ich Sie, von weiteren Nachfragen abzusehen. Verbindlichst, Ihre Karen Musterfrau«

So eine Ansage von »Karen Musterfrau« würde natürlich als absurd aufgenommen werden, kein Zweifel. Da werden wir uns schnell einig. Gut, betrachten wir ein anderes Beispiel! Stellen wir uns vor, dass wieder mal ein Geistlicher (etwa einer von jener Organisation, aus der man hört, dass sie viele Migranten von überm Meer nach Deutschland kommen lassen will), einen Jungen missbraucht hat. Nehmen wir an, dass jene Organisation sagen würde: »Wir wissen, dass da Missbrauch stattfand, aber überlassen Sie das mal unserer Glaubenskongregation, da muss doch kein Staatsanwalt dran!« – Wir ahnen, dass an dieser Haltung etwas mehr dran sein könnte.

Als Deutschland noch Justizminister hatte, die nicht eine vollständige Peinlichkeit waren, und die erkennbar für Recht, Demokratie und Freiheit arbeiteten (bei der aktuellen Abfolge von Peinlichkandidaten aus der Rent-a-Sozi-Partei ist das nicht immer von außen offensichtlich), damals zoffte sich tatsächlich Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger mit der Bischofskonferenz und warnte vor »halbherziger Aufarbeitung« (sueddeutsche.de, 9.1.2013, zum Thema auch fr.de, 31.8.2010 und kath.de, 21.2.2019) – im Kern ging und geht es um die Frage, wie sich der demokratische Rechtsstaat die Frechheit erlaubt, die säkulare Gerichtsbarkeit über die Gerichtsbarkeit in Gottes Lieblingskirche zu stellen.

Nehmen wir ganz allgemein an, dass eine andere Gruppe von Menschen in Deutschland für sich ein eigenes Rechtssystem in Anspruch stellt, im Effekt natürlich als manifestierte Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats. Wie würde der deutsche Staat damit umgehen? Nun, es kommt darauf an. Wenn die Betreffenden Deutsche sind, sich etwa »Reichsbürger« nennen, dann wird der Staat vermutlich dazwischenhauen – in anderen Fällen könnte es, fürchten manche, etwas anders aussehen. »Islamisches Recht – Scharia hält Einzug in deutsche Gerichtssäle«, so lasen wir schon in welt.de, 1.2.2012. Ist das ein Fall von »If you can’t beat them, join them« (»Wenn du sie nicht besiegen kannst, schließ dich ihnen an«)?

Wie viele parallele Rechtssysteme existieren in Deutschland wirklich? Das Papier »Gibt es eine Paralleljustiz in Deutschland? – Streitbeilegung im Rechtsstaat und muslimische Traditionen« des Justizministeriums (PDF via bmjv.de) versichert uns auf Seite 51: »Es gibt daher keine moslemisch geprägten religiösen Justizstrukturen, die in Deutschland generiert oder die hierher importiert werden können (keine Paralleljustizstrukturen).« – Uff! Wir sind wieder beruhigt, zumindest was Schariarecht angeht, denn die Regierung sagt niemals nie nicht die Unwahrheit in Bezug auf etwas, das mit Migration zusammenhängt, da ist nirgends nichts und nix parallel – doch was ist mit anderen Religionen, etwa den sogenannten »Journalisten«?

»Freiwillige Selbstkontrolle«

Zu einer angedrohten Anzeige gegen eine Haltungsjournalistin mit Migrationshintergrund, die für ihre Hasstiraden gegen Deutschland unter Linken beliebt ist, erklärt der Deutsche Presserat dieser Tage:

Wer sich an Meinungsbeiträgen stört, kann sich an den Presserat als freiwillige Selbstkontrolle wenden. Eine Beschwerde bei uns ist im Sinne der #Pressefreiheit, eine Strafanzeige nicht. @tazgezwitscher #taz #Seehofer (@PresseratDE, 22.6.2020/ archiviert)

Was wollen uns die Journalisten damit sagen?

Geist und Absicht

Ja, es scheinen meist Religionen und religiös geprägte Gruppen zu sein, die für sich beanspruchen, dass das Recht nicht für sie gilt – für sie gelte ihr eigenes, metaphysisch und ethisch höher stehendes Recht.

Die Begriffe mögen wechseln, mal heißt es »Kirchenrecht«, mal »Scharia«, mal »Freiwillige Selbstkontrolle«, doch Geist und Absicht sind ähnlich. Religionen und religionsartige Gemeinschaften, die für sich selbst den Anspruch zu erheben scheinen, metaphysisch, ethisch und also auch rechtlich über den Ungläubigen und Un(ein)geweihten zu stehen, sind mindestens irritiert, wenn jemand es wagen sollte, auf sie dasselbe Recht anzuwenden, wie es für die armen Würstchen gilt, die den ganzen Laden mit ihrer Arbeit und ihren Steuern bezahlen (weil sie zu verängstigt sind (um nicht »gehirngewaschen« zu sagen), die Verantwortlichen abzuwählen – verängstigt von einer weiteren mächtigen Quasi-Sekte mit über Acht Milliarden Euro Jahresbudget und durchaus eigenen Wahrheits- und Moralbegriffen).

Dauerhafte Kopfschmerzen

Leiden Sie in letzter Zeit an unerklärlichen Kopfschmerzen? Kein Wunder! Deutschland steht auf dem Kopf, länger schon, und das viele Blut dort, wo es nicht hingehört, in dieser und in anderer Hinsicht, das viele Blut lässt uns ganz schummrig im Kopf werden. (Im Ernst jedoch: Wenn Sie dauerhaft wirkliche Kopfschmerzen haben, nicht »nur« philosophische oder ethische, dann gehen Sie bitte zum Arzt! Heute noch! Jetzt wo Herr Spahn das China-Virus besiegt hat, werden Sie vielleicht auch wieder behandelt.)

Deutschland steht auf dem Kopf. Deutschland lebt das Gegenteil der moralischen Regeln eines Konfuzius (und der Logik eines Aristoteles). Diejenigen, welche am höchsten geehrt werden sollten, die Eltern und Großeltern, die Verdienten und die Weisen, die werden verachtet, getreten und ausgewrungen – geehrt werden die Feisten und Faulen, die Lügner und Linken. Der Ehrliche ist der Gelackmeierte, und nicht nur muss er auch noch selbst den Lack bezahlen, mit dem er gemeiert wird, er hat dann auch noch Danke zu sagen, sonst schalten sie gleich böse Worte gegen ihn.

Schreiben Sie doch dem Finanzamt, Sie würden sich selbst um die kleinen Rechenfehler kümmern, und bis dahin verbitten Sie sich weitere Nachfragen – man wird gleich zwei vollbesetzte Mannschaftswagen losschicken, um Sie eine halbe Stunde lang auszulachen, bevor Sie in den Kerker geworfen werden, zusammen mit schlimmen Spitzbuben, noch schlimmeren GEZ-Verweigerern und womöglich auch mit einigen »Kötern«, welche die »falsche Meinung« leichtfertig zu äußern wagten. Wenn Sie über dem Gesetz stehen wollen, wenn Sie auch nur den Anspruch erheben möchten, ohne tatsächlich ausgelacht zu werden, dann müssen Sie sich schon zur Religionsgemeinschaft erklären, sei dies nun Katholizismus, Journalismus oder einer der vielen anderen Ismen.

Etwas Nachsichtigkeit verdient

Wenn wir klug werden wollen, wir als Gesellschaft, wir als Volk und, ja, wir als Nation, dann sollten wir all den Journal- und sonstigen Isten auf ihren Anspruch, außerhalb des Gesetzes zu stehen, selbstbewusst antworten: Sehr geehrte Isten, ihr steht nicht über Recht und Gesetz! Entgegen eurer Meinung nicht einmal über den Regeln des einfachen Anstandes. Nein, ihr seid nicht metaphysisch höher gestellt, ihr seid nicht mehr wert als wir gutmütigen Trottel, die wir euch mittragen. Nein, nur weil ihr dieses Land hasst, steht ihr nicht über dem Recht! Weder Presseausweis noch Glaubensbekenntnis sind eine Lizenz zum eigenen Rechtssystem. – Wenn überhaupt irgend jemand etwas Nachsichtigkeit verdient, dann die Leute, die den ganzen Laden finanzieren!


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

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