Tichys Einblick
Autoritäre Signale

Der Papst fordert Frieden – Ja, und?

Der Papst setzt sich für den Frieden in der Ukraine ein. Man möchte sagen: Ja, und? Das ist sein Job. Doch wie panisch die üblichen Verdächtigen auf seine Worte reagieren, zeigt, wie sehr die pluralistische Gesellschaft in Gefahr ist.

Papst Franziskus, Vatikan, 9. März 2024

IMAGO / ABACAPRESS
Papst Franziskus hat in einem Interview zum Frieden in der Ukraine aufgerufen. Ja. Und? Der Mann ist der Nachfolger Christis und Petrus’. Das ist sein Job. Zum Frieden aufrufen. Die Älteren werden sich erinnern: Jesus. Das war die Sache mit dem Friede auf Erden, den Menschen ein Wohlgefallen, wir sind alle Gotteskinder und dem anderen auch noch die andere Wange hinhalten.

Die Zeiten, in denen das Wort des Papstes Gesetz war, sind vorbei. Die gab es. Es waren totalitäre Zeiten. In totalitären Zeiten gibt es eine Autorität, die sagt, was ist, worauf alle anderen schweigen und folgen. Egal, ob die Autorität der Kaiser ist, der Diktator, der Generalsekretär des Zentralkomitees oder halt der Papst. Der Autorität darf niemand widersprechen, sonst gilt das als Majestätsbeleidigung, Gotteslästerung oder staatsfeindliche Hetze.

Über den Papst sind jetzt die üblichen Verdächtigen hergefallen, wenn es darum geht, den Krieg gegen die Ukraine eskalieren zu lassen: Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Roderich Kiesewetter (CDU) leben für und vom Krieg. Ohne ihn wären sie kümmerliche Hinterbänkler. Weil das, was sie sagen, aber in die Erzählung der Tage passt, erheben Medien sie zu Autoritäten. Wie die Bild dann sogar versucht, Strack-Zimmermann zur Sympathieträgerin aufzubauen, ist für diabolische Zyniker durchaus auch lustig.

Annalena Baerbock (Grüne) will bei Caren Miosga den Papst sogar an die Front schicken, weil er für den Frieden ist. Für das, was die feministische Außenministerin alles nicht weiß, gibt es einen Namen: Wikipedia. Sie hält Kobolde für Rohstoffe, wähnt andere Länder auf der Erde 100.000 Kilometer weit weg und will Andersdenkende an die Front schicken. Nichts, was es nicht schon gab. Andere deutsche Regime haben tatsächlich Bürger zum Sterben an die Front geschickt, weil diese der Politik der jeweiligen Regierung widersprochen haben. Wenn Baerbock das nötige Wissen und die nötige Intelligenz dafür besitzt, dann stellt sie sich bewusst in die Tradition dieser Regime.

Soll der Papst jetzt zum Sterben an die Front, weil er der gängigen Meinung widersprochen hat? Oder muss die Ukraine kapitulieren und die weiße Fahne hissen? Weder noch. Die totalitären Zeiten, in denen ein Papst über das Weltgeschehen bestimmen konnte, sind lange vorbei. In einer pluralistischen Gesellschaft ist er eine Stimme von vielen. Da gibt es auf der einen Seite Generäle, Strack-Zimmermann, Rüstungsindustrielle, Kiesewetter und Militärfetischisten, die eine Eskalation des Krieges gut finden – und auf der anderen Seite Ostermarschierer, Soziologiestudenten und den Papst. Eine pluralistische Gesellschaft kann dazwischen gut leben.

Was an den Reaktionen auf den Papst auffällt – oder auch schon nicht mehr –, sind die Panik und die Hysterie, mit der eine eigentlich pluralistische Gesellschaft auf eine abweichende Stimme reagiert. Und wie sich eben diese pluralistische Gesellschaft nach Klimaschutz und Pandemie immer mehr in eine totalitäre Gesellschaft verwandelt. Weil sie andere Stimmen nicht mehr aushält. Weil niedergetrampelt werden muss, wer einen anderen Gedanken ins Spiel bringt.

Das liegt zum einen daran, dass Schattengewächse wie Strack-Zimmermann und Kiesewetter permanent Gas geben müssen, um im Licht zu bleiben. Sie sind verbale Teilchenbeschleuniger. Die Tendenz zur Hysterie kommt zum anderen – ironischerweise – vom Verlust der Bindekraft der Gruppen, die früher die Gesellschaft zusammengehalten haben. Etwa der Kirchen. Weil vielen Sinnstiftung wie der Glaube an Gott abhandengekommen ist, suchen sie nun nach einer Ersatz-Sinnstiftung. Das kann der Glaube an Stoffmasken sein. An Elektroautos. Oder an die Eskalation des Krieges. Wer dann den Glaubensgrundsätzen widerspricht, wird zum Ketzer – und wenn es der Papst persönlich ist.

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