Tichys Einblick
Kampf um die Pandemie

Karl Lauterbach unterwegs mit nächster Impfkampagne

Die eine PR-Kampagne läuft noch, da stellt Karl Lauterbach (SPD) schon die nächste vor. Der Gesundheitsminister kämpft um die Pandemie, die ihn berühmt gemacht hat. Dabei holt er sich die Hilfe einer Philosophin.

IMAGO / Metodi Popow

Im sozialdemokratisch regierten Deutschland geht niemand alleine. Auch nicht Karl Lauterbach (SPD). In die Pressekonferenz, in der er die neue PR-Kampagne zum Impfen vorstellt, begleitet den Gesundheitsminister Margarete Stokowski. Philosophin, die in Kolumnen über die gesellschaftliche Bedeutung von Spargel sinniert. Stokowski assistiert Lauterbach in der Rolle: „Die deutsche Patientin“.

Stokowski hat nicht Medizin studiert, auch nicht Biologie oder Chemie. Aber sie hat eine Gabe, die weit über diesen Part der Wissenschaft hinausgeht. Sie kann Infektionen erspüren. Sie hat sich mit dem Corona-Virus infiziert. Und zwar draußen. Woher sie das weiß? „Ich habe gespürt, dass ich mich draußen infiziert habe.“ Zwar ist sie nach eigenen Angaben durchgeimpft und hat sich an die gängigen Regeln gehalten, hat sich aber trotzdem infiziert und leidet nun laut eigenen Aussagen an der Folgekrankheit „Long Covid“. Aber ohne Impfung und Sicherheits-Maßnahmen wäre es viel schlimmer gekommen, sagt sie als Expertin mit der Fähigkeit, Infektionsmomente zu erspüren.

Also hat sich Stokowski in die Bundespressekonferenz begeben. Sie trägt einen Pulli, die Haare sind strähnig. So muss eine deutsche Patientin aussehen. Sie spricht gerne mal durch die Nase, mit brüchiger Stimme – es ist der Ton, den Menschen annehmen, wenn sie in der Firma anrufen und sich für zwei Tage mit einer Erkältung krank melden. Stokowski hat sich buchstäblich in die Bundespressekonferenz geschleppt: „Es ist schwer, mit mir zwei Termine innerhalb kurzer Zeit zu machen“. Wer mit ihr einen Termin ausmache, müsse damit rechnen, dass sie wieder absage.
Menschen mit Long-Covid oder vergleichbaren Erkrankungen hätten eine „ziemlich hohe Suizid-Rate“, sagt die Philosophin. Zahlen dazu hat sie nicht. Auch Studien-Fuchs Lauterbach springt ihr da nicht von der Seite bei. Aber es ist die Aussage von einer Frau, die Infektionsmomente erspüren kann. Das sollte als Beweis genügen. Als Betroffene ist sie nun auch Expertin für „Long Covid“. Das sei eine Krankheit, die „gesunde, aktive Highperformer“ wie sie mit Müdigkeit und Lustlosigkeit strafe. Nur „Deppen“ würden sagen, dass das eine Krankheit für Menschen des öffentlichen Dienstes und des Kulturbetriebs sei, sagt die Philosophin. Kurzum: Der Staat solle endlich mehr Geld für Forschung und Unterstützung ausgeben. Für diese Botschaft hat Lauterbach sie mit in die Pressekonferenz genommen und für die Warnung: Wer sich mit Corona infiziert, kann so enden wie Margarete Stokowski. Die deutsche Patientin.

Damit die Deutschen nicht werden wie Stokowski, startet Lauterbach jetzt eine PR-Kampagne fürs Impfen. 32 Millionen Euro aus Steuern verteilt er dafür unter wohlgesonnenen Medien und Agenturen. Höchste Zeit. Die letzte Kampagne, der „Fakten-Booster“ ist schon vor ein paar Monaten gestartet und hat nur 27 Millionen Euro aus Steuern gekostet. Das konnte ja nicht reichen. Geholfen hat allerdings auch nicht, dass Lauterbach sich korrigieren musste. Nach langem Zögern musste er einer Recherche rechtgeben und eingestehen, dass in den Krankenhäusern nicht wie behauptet zehn Prozent der Behandelten wegen eines schweren Verlaufs von Covid-19 seien. Sondern nur zwischen vier und sechs Prozent. Und da zählen die mit, die nach einem Autounfall in eine Klinik kamen und danach positiv getestet wurden.

IMAGO/Metodi Popow

Bald drei Jahre lang währt die Pandemie. Deutschland unterscheidet immer noch nicht zwischen Menschen, die an dem Virus erkrankt sind oder an etwas anderem und dabei zufällig den Virus in sich trugen. Mehrfach hatte Lauterbach angekündigt, dass diese Unterscheidung bald komme. Nun hat sich der Gesundheitsminister für eine neue Volte entschieden: Diese Unterscheidung sei unseriös. Ein gebrochenes Versprechen? Ein Widerspruch? Wer will da kleinlich sein, wenn einem ein ähnliches Schicksal droht wie Margarete Stokowski, der deutschen Patientin.

Zwar seien Menschen nur mit statt an dem Virus verstorben, räumt Lauterbach ein. Aber das zu unterscheiden, sei verharmlosend. Denn es könne ja niemand beweisen, dass sie auch gestorben wären, wenn sie den Virus nicht gehabt hätten. Es sei daher fragwürdig, so Lauterbach, Menschen nicht in die Corona-Statistik zu nehmen, die den Virus hatten und zum Beispiel später an einem Herzinfarkt gestorben sind. Vielleicht wäre das ja ohne Corona nicht passiert. Nun liegt die durchschnittliche Sterblichkeit von Menschen bei knapp 100 Prozent. Setzt sich Lauterbach mit seiner Sicht der Dinge durch, läge auch bald die Corona-Sterblichkeit bei 100 Prozent.

Es lohnt sich Lauterbachs Sicht auf Statistiken und Studien ernst zu nehmen. Sie setzen sich durch. So hat Lauterbach rund eine Million Dosen des Medikaments Paxlovid bestellt. Die wollte zuerst kaum einer haben. Dann hat der Minister massiv für das Pfizer-Produkt geworben und die Nachfrage steigt. Dummerweise drohen die Dosen abzulaufen. Doch gute Nachricht: Das „Paul Ehrlich Institut“ habe die Haltbarkeit des Medikaments auf Oktober 2023 verlängert, sagt Lauterbach. Welch eine seherische Fähigkeit: Andere Minister hätten eingestehen müssen, dass sie zu viele Medikamente eingekauft haben, sodass sie ablaufen. Doch Lauterbach sah kommen, dass das Haltbarkeitsdatum falsch einegschätzt war. So muss es gewesen sein. Denn sonst hätte das Ehrlich-Institut ein Gefälligkeitsgutachten erstellt.

Der „Fakten-Booster läuft noch. Berliner Radiosender haben noch an diesem Freitag Spots gesendet. Trotzdem gibt es schon die nächste PR-Kampagne. Sie sei ein „Lagerfeuer der Vernünftigen“, sagt Lauterbach. 84 Werbeträger werben jetzt für die „zweite Auffrischungsimpfung“. So nennt Lauterbach die vierte Impfung innerhalb von weniger als zwei Jahren. Statistiken belegen, dass diese Impfungen Infektionen nicht verhindern konnten. Das hätten sie aber „auch“ getan, beharrt der Minister auf seiner Sicht der Dinge. Irgendwer wird irgendwann schon irgendeine Studie veröffentlicht haben, durch die sich das nicht hundertprozentig ausschließen lässt. Und die neuen Impfstoffe könnten jetzt Infektionen verhindern, sagt Lauterbach. Ja, es fehlten noch Daten dazu. Aber so werde es kommen. Ganz bestimmt.
Deswegen schmeißt Lauterbach jetzt die nächste Kampagne auf den Grill: 84 Werbeträger werben für ihn: „Ziel ist, auf die neuen Impfstoffe aufmerksam zu machen und gute Gründe anzuführen, jetzt den eigenen Impfschutz zu überprüfen und zu aktualisieren“, meldet das Ministerium. Gezeigt würden bei der Kampagne Menschen unterschiedlicher Herkunft aus dem gesamten Bundesgebiet mit ihren persönlichen Geschichten. „Sie alle stehen stellvertretend für eine große Mehrheit der Menschen im Land, die sich aus Erfahrung mit und aus Sorge vor Corona aktiv für den Schutz aussprechen“, heißt es weiter. Die Kampagne zeige, dass die Pandemie mehr sei als nur Statistik. Auf die kann man folglich verzichten. Es sei denn, sie passen Lauterbach gerade.

Schon im März warnte Stokowski, in ihrer vorletzten Spiegel-Kolumne vor Long-Covid, das der lange bekannten Krankheit „ME/CFS“ ähnelt. Besser bekannt als „chronisches Fatigue-Syndrom“. Das heißt so viel wie Müdigkeits-Syndrom – klingt aber besser. Tatsächlich gäbe es Menschen, „die die Sache nicht ernst nehmen“. Dazu gehörten auch Ärzte. Und was wissen die schon im Vergleich zu einer Philosophin mit der Gabe Infektionsmomente zu erspüren. Und die nun als deutsche Patientin ein lebendes Mahnmal darstellt.

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