Tichys Einblick
Maßstäbe wiederfinden

Ostern 2022: Vom Hoffnungsglauben zur Angstreligion

Aus dem Hoffnungsglauben ist eine Angstreligion geworden. Heidenangst statt Christusfreude. Wie ängstlich sie da in ihren Gottesdiensten hocken, verhuscht und verschreckt, ohne Singen und Beten, weit von einander entfernt wie Fremde, hinter Masken versteckt.

IMAGO / Rolf Poss

Unvergessen! Kurz vor Ostern letzten Jahres. Wieder einmal waren Lockdown und Corona-Panik angesagt. Da spricht mich ein Taxifahrer an: „Ich weiß ja, dass Sie Christ sind. Auch als Muslim lese ich gerne Ihre Bücher. Sagen Sie mir aber: Warum haben ausgerechnet die Christen solche Angst vor dem Tod?“ Diese Frage bekam ich in den letzten Monaten immer wieder gestellt. Von Atheisten aus dem Kollegenkreis genauso wie von Angehörigen anderer Religionen.

Das trifft (mich), weil es treffend ist. Richtig beobachtet. Aus dem Hoffnungsglauben ist eine Angstreligion geworden. Heidenangst statt Christusfreude. Wie ängstlich sie da in ihren Gottesdiensten hocken, verhuscht und verschreckt, ohne Singen und Beten, weit von einander entfernt wie Fremde, hinter Masken versteckt. Und dann dieses Theater beim Herzstück des Gottesdienstes, dem Abendmahl, der Eucharistie. Zittern und bibbern statt gläubigem Trotz.

Ich denke so oft an einen Uralt-Song aus den 1970ern von Siegfried Fietz, von dem die Melodie des einzigartigen Bonhoeffer-Gedichtes „Von guten Mächten wunderbar geborgen…“ stammt: „Wir tragen viele Masken und haben kein Gesicht. Wir sprechen eine Sprache, versteh’ n einander nicht….“ Pure Prophetie! Christen in Todesangst statt Lebensfreude. Eingeschlossen wie die Jesus-Jünger am Karfreitag. Erbärmlich.

Übrigens: es sind dieselben frommen Christen, die in (spenden-akquirierenden) Vorträgen gerne von Wundern erzählen, die in den letzten Jahrhunderten auf dem „Missionsfeld“ geschehen sind: tödliche Schlangenbisse, Giftpfeile und vieles mehr – aber Gott hat die Missionare bewahrt, so lautet die Botschaft. Und heute hat man Angst vor dem, was die WHO eine „etwas stärkere Grippe“ nennt. Man glaubt es nicht – im doppelten Wortsinn.

Kirchen wurden zu Impf-Tempeln, Klerikal-Funktionäre zu Panikmachern. Wo sind denn die Missions-Wundergeschichten geblieben?! Wo die frohe Oster-Botschaft vom Sieg über den Tod?! Wo das Prophetenwort, das Juden und Christen eint: „Seid nicht bekümmert, denn die Freude am Herrn ist eure Stärke“ (Nehemia 8, 10).
Zwei Jahre Panik. Zehntausende mußten ungetröstet sterben, lagen einsam in Hospitälern, Hospizen und Heimen. Vernachlässigte Kinder, eingesperrt im Corona-Wahn ihrer Eltern. Erschütternde Biografien, die sich einmal bitter rächen werden. Und der schlimmste Angst- und Panik-Horror kommt aus den Kirchen, wie sich leicht recherchieren läßt. Oft im vorauseilenden Gehorsam den Staat noch weit übertreffend. Kaum ein Wort der Hoffnung, des Trostes, der Gemeinschaft, ja der Freude in allem Leide, von der man doch vollmundig in einem der bekanntesten Kirchen-Choräle schmettert.

Choräle übrigens, die fast alle im Leid entstanden sind, in Kriegen, Krankheit und Katastrophen, in Pest und Cholera. Allen voran die Glaubenslieder von Paul Gerhardt. Und jetzt bei Corona das große Zittern. Und die heidnische Fassungslosigkeit, wie es nur sein kann, dass Leute über 80 sterben. An Corona natürlich. Erst der linksliberale Stefan Aust muß uns das in sarkastischer Ironie sagen: „Die Wahrscheinlichkeit zu sterben liegt für jeden Menschen gleichermaßen bei 100 Prozent.“

Eine Religion, die allenthalben davon tönt, dass der Tod zum Leben gehört. Gerade an Karfreitag und zu Ostern. Man lese nur mal Predigten der letzten 20 Jahre und vergleiche die Worte mit den Taten der letzten zwei. Mehr Beweis gibt es nicht, warum selbst gläubige Christen die Kirchen fluchtartig und massenhaft verlassen.
Corona-Panik ist ein Paradebeispiel für die geistliche Wohlstandsverwahrlosung. Der Glaube verdunstet, sein Grundwasserspiegel ist kaum mehr meßbar. Statt der Verheißungen von Ostern oder der uralten Psalmen der Bibel lieber ein Klammern an die Heilsversprechen von Lauterbach bis Söder, von RKI über WHO bis hin zum Deutschen Ethikrat.

Doch letzterer hat bekanntlich rechtzeitig vor Ostern die Kurve gekriegt: was Kirche und Gesellschaft da gemacht haben in den vergangenen zwei Jahren war falsch, übertrieben, schädlich — und christlich-jüdisch gesagt: kleingläubig.
Dabei ist gerade Ostern das Fest gegen den Kleinglauben. Unmögliches wird möglich. Das Leben siegt über den Tod. Die Juden feiern zeitgleich Passah als das Fest des Lebens: raus aus der tödlichen Gefangenschaft Ägyptens, rein in ein neues Land mit neuer Hoffnung und neuem Leben. Und wir Heutigen versklaven uns in die selbstgewählte Gefangenschaft von Corona. Irre!

„Es gibt erfülltes Leben trotz unerfüllter Wünsche“ (Dietrich Bonhoeffer). Seelische Gesundheit unserer Alten und Kinder kann wichtiger sein als eine Existenz hinter Masken, Impfausweisen und irgendwelcher G‘ s. „Die Kirche hat uns im Stich gelassen, als sie am nötigsten gebraucht wurde,“ resümierte die WELT.

Einer der bekanntesten Familienunternehmer des Erzgebirges hat als überzeugter Christ dem Wahn getrotzt: auf seinem Firmengelände in Sehmatal gelten andere, hoffnungsvolle, biblische G‘ s: Gerettet, getröstet, geborgen, getragen – von Gott! Dort konnte ich frei sprechen, nachdem die „Kirche“ mich aus Inzidenz-Panik ausgeladen hatte. Und werde es an diesem 1. Mai wieder tun.

Aus dem einladenden Wort des auferstanden Christus „Kommt her zu mir a l l e, die ihr mühselig und beladen seid….“ (Matthäus 11, 28) haben wir ein ausladendes, elitäres „…. die ihr geimpft und genesen seid“ gemacht. Eine Perversion des Oster-Glaubens, erstmals in der 2000jährigen Geschichte des Christentums.
Doch nicht nur bei Corona zeigt sich, wie substanzlos der organisierte und klerikalisierte Glaube geworden ist. „Golgatha ist heute in der Ukraine“ tönt die oberste Religionsbeamtin der EKD – sie und andere Bischöfe beider Konfessionen hatten noch im Oktober 2016 wenige Meter neben dem historischen Golgatha ihr Amtskreuz verleugnet.

Demnach gäbe es ja tausend Golgathas auf der Welt. Warum wird nur eins genannt? Klar, weil dieses „Golgatha“ uns auf die Pelle rückt. Nur wenige Autostunden entfernt. Wie Corona – anders als Ebola oder irgendwelche fernen Tropenkrankheiten.

Die plötzliche Panik geht so weit, dass die zweite Dame aus dem EKD-leitenden Dreigestirn zu Karfreitag folgendes erklärt – man reibe sich die Augen: Die Präses der EKD-Synode hält Waffenlieferungen an die Ukraine für gerechtfertigt. Das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine sei unbestritten, sagte sie im Deutschlandfunk. Gerade ihrer Generation falle es schwer, in Worte zu fassen, was derzeit in der Ukraine passiert. Auch die christliche Friedensethik stehe nun vor Diskussionen.
Tausende Kriege, weit weg irgendwo auf der Welt, Völkermorde und Stammesfehden sollten bitte schön mit der weißen Fahne der Diplomatie gelöst werden. Allen voran erklangen die Friedensschalmeien von Frau Käßmann. Frieden schaffen ohne Waffen, schon vergessen? Bereits beim Amerika-Haß der 68er waren die Kirchen und Theologen die Rädelsführer: Niemals schießen! Und jetzt? Panik! Waffen schicken! Auch segnen?

Der Gegenstand unserer Nächstenliebe muß möglichst weit entfernt liegen, um kirchlich aktiv zu werden – man denke nur an die Anti-Apartheits-Ideologie. Die gleichzeitige Terrorherrschaft des Honecker-Regimes nebenan? Peanuts! Kuschel-Kirche im Sozialismus!

Die Maßstäbe sind völlig verloren gegangen. Es geht eben ohne Gott in die Dunkelheit. Ohne ihn macht Angst sich breit. Doch das wußte schon der Volksmund: Angst ist ein schlechter Ratgeber.

Wir erleben nun, wohin Angst uns bringt. Der wichtigste Markenkern des christlich-jüdischen Glaubens, das Leben, die Hoffnung, die Freude im Leide, das Dennoch, das Tod und Teufel trotzt….. geopfert auf dem Altar von Angst und Panik.
An Ostern und Passah gilt das Prophetenwort erst recht und zu allem Trotz: „Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht Gott, der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung (Jeremia 29, 11).