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Nun sag mir, wie hast du es mit dem Gendern?

Wie häufig kommt Gendern überhaupt vor, und welche Personengruppen werden gegendert? Eine Wochenbilanz am Beispiel der 19-Uhr-Nachrichtensendung heute des ZDF.

picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Das Gendern ist im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) hörbar geworden: Neben bekannten Formeln wie Schülerinnen und Schüler oder Bürger und Bürgerinnen treten neuerdings zahlreiche Personengruppen gegendert auf, einerseits in der klassischen Paarform (Journalistinnen und Journalisten), andererseits in phonetisch markierter Form: Journalist + kurze Sprechpause + ínnen. Aber wie häufig kommt Gendern überhaupt vor, und welche Personengruppen werden gegendert? Eine Wochenbilanz am Beispiel der 19-Uhr-Nachrichtensendung heute des ZDF.

Was heißt „Gendern“?

Unter (sprachlichem) Gendern versteht man linguistisch die Verwendung einer Maskulin- und Femininform zur Bezeichnung einer geschlechtergemischten Personengruppe: „Viele Kund-en und Kund-innen bleiben [im Weihnachtsgeschäft] weg“. Gendern kann man nur genusvariable Personenbezeichnungen: der Kund-e, die Kund-in; die Kund-en, die Kund-innen. Bei Sammelbezeichnungen (Kollektiva) wie die Bevölkerung, der Clan, das Team ist das grammatische Genus fix, man kann sie deshalb nicht gendern; gleiches gilt für geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen: das Kind, der Mensch, die Pflegekraft.

Substantivierte Partizipien (der/die Beschuldigte, der/die Studierende) und Adjektive (der/die Tote) sind im Singular genusvariabel und genderfähig, aber nicht im Plural: die Beschuldigten, Studierenden, Toten. Bei einem Unfall mit einer Toten und einem Toten bleibt im Plural, bei zwei Toten, sprachlich offen, ob es sich um zwei Männer handelt, zwei Frauen oder einen Mann und eine Frau.

Gendern bei ZDF-heute

Nachrichten beziehen sich oft auf Personen und Personengruppen, die dann jeweils benannt werden. Bei der 19-Uhr-Sendung heute des ZDF kommen in der Woche vom 29. November bis 5. Dezember 2020 insgesamt 236-mal geschlechtergemischte Personengruppen (ohne Kollektiva und Pronomina) sprachlich vor, durchschnittlich zwei pro Sendeminute.

In knapp der Hälfte dieser Fälle ist der Gruppenname geschlechtsneutral, zum Beispiel Menschen, Mitglieder, Kinder und die Pluralformen Arme, Bewaffnete, Gläubige, Opfer, Protestierende. Die weitaus häufigste geschlechtsneutrale Bezeichnung ist Menschen (35%): „Menschen mit Vorerkrankung“, „arbeitslose Menschen“, „viele Menschen“ usw. Mit dem Allgemeinbegriff Menschen lassen sich – allerdings stilistisch umständlich und unscharf – genusvariable Personenbezeichnungen umschreiben: Aus dem Einwohnernamen Trierer werden dann „die Menschen in Trier“ und aus symptomlosen Patienten „Menschen, die keine Symptome haben“.

Genusvariabel sind 135 (53%) der Gruppennamen. Von diesen werden aber nur ein Zehntel gegendert; ansonsten stehen sie im Maskulinum, das hier eine allgemeine (generische) Bedeutung hat, die Männer und Frauen bezeichnet: „Experten sagen“, „Anhänger und Gegner [des AfD-Vorsitzenden], „Milizionäre töten [in Nigeria] Zivilisten“, „verzweifelte Anwohner [nach einer Naturkatastrophe], „Katholiken mahnen“. Aber kann die Form Maskulin Plural nicht auch ausschließlich Männer bezeichnen? Grundsätzlich ja, aber außer bei Mehrfachtätern [unter Priestern] kommt es in dieser geschlechtsspezifischen Bedeutung nur in den Sportnachrichten vor (insgesamt 10-mal), und zwar bei (Männer)Fußball und Formel 1: „die Bayern im Achtelfinale“, „bedröppelte Gladbacher“; „Protest von Fahrern und Teamchefs“.

Wer ist genderwürdig?

In der heute-Sendung wird nicht systematisch gegendert, sondern nur dosiert (Genderquote 11%). Der Hauptfeind des Sprachfeminismus, das generische Maskulinum, bleibt also im Wesentlichen erhalten. Die 15 Genderfälle – dreizehn stammen von der Moderatorin oder Korrespondenten, zwei von Bundesministern – betreffen vor allem Personengruppen im Bildungsbereich: Forscher + ínnen, Erzieher + ínnen, Lehrer und Lehrerinnen sowie „Schüler“ in den Varianten Schüler + ínnen, Schülerinnen (ohne Genderpause), Schüler und Schülerinnen (2-mal) und jeder Schüler, jede Schülerin. Auch das generische Maskulinum Schüler kommt vor, und zwar im Mund eines Sprechers des „SchülerInnenrates“ einer Stadt, der ganz normal äußert: „Wir sind 26 Schüler [in der Klasse]“.

Außerhalb des Bildungswesens werden noch gegendert: Bürger und Bürgerinnen, Minister-präsidenten und -präsidentinnen, Kunden und Kundinnen, Soldatinnen und Soldaten sowie Journalist + ínnen. Es fällt auf, dass alle diese Personengruppen keine negativen Assoziationen wecken wie zum Beispiel Straftäter, Islamisten, Gefährder, Einbrecher u. Ä., die – wie schon häufig beobachtet wurde – in politisch korrekter Sprache nicht genderwürdig sind. Einmal macht die heute-Sendung (3.12.) allerdings eine Ausnahme: „Im Umfeld [der Querdenker] tummeln sich bekanntlich Extremist + ínnen und Reichsbürger“. Soll das die (wenigen) weiblichen Rechtsextremisten an den Pranger stellen? Linksextremisten , die ja eine beachtliche Frauenquote aufweisen, gendert man normalerweise nicht.

Sprachsymbolische Machtdemonstration

Was soll das gelegentliche Gendern in den heute-Nachrichten des ÖRR? Nach herrschender feministischer Lehre werden dadurch die Frauen sprachlich „sichtbar“ gemacht? Das stimmt nur zur Hälfte: Gendern hebt hervor, dass eine Personengruppe aus Frauen und Männern besteht, es macht also beide Geschlechter sichtbar. Eine Genderquote von 11 Prozent bringt allerdings nur wenig Sichtbarkeit. Das Gendern im ÖRR dient deshalb nicht dazu, die Frauen sichtbar zu machen, sondern die kommunikativen Machtverhältnisse, nach dem Grundsatz: Was richtig ist, hier: grammatisch im Deutschen richtig, bestimmen wir, und wer sich nicht daran hält, ist ein politischer Verdachtsfall! Es geht also um eine sprachsymbolische Machtdemonstration, vergleichbar den „sozialistischen Grüßen“ im nicht-privaten Briefverkehr der DDR oder der Grußformel „Heil H.!“ im Dritten Reich.

Hinter solchen kommunikativen Zwangsformeln steht die Arroganz der Machtinhaber, und diese Arroganz hat der ÖRR in den letzten Jahren etwas übertrieben. Es bleibt seinen Journalisten unbenommen, privat oder bei Privatsendern nach Lust und Laune zu gendern. Ein aus Pflichtbeiträgen finanzierter öffentlicher Rundfunk muss aber die allgemein übliche deutsche Sprache verwenden und darf nicht seinen Nutzern – sozusagen als Versuchskaninchen – die Sondersprache „Genderdeutsch“ vorsetzen.

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