Tichys Einblick
Pornos im Gotteshaus

Als Gläubige das Ende einer Ausstellung erzwungen haben

Gott sieht zwar alles, will das aber womöglich gar nicht immer. Wegen anhaltender Proteste hat eine evangelische Kirche Bilder mit sehr expliziten homosexuellen Motiven wieder abgehängt. Doch warum wurden die da überhaupt gezeigt?

shutterstock - Screenprint via Twitter - Collage: TE
Die Kirche ist ein Ort des Gebets und der Gemeinschaft mit Gott. In schlechten Zeiten waren Kirchen (damit sind hier ganz physisch die Gebäude gemeint) auch eine Zuflucht.

Seit über 20 Jahren allerdings laufen die Menschen nicht mehr in die Kirchen hinein, sondern fluchtartig aus ihnen heraus. In dieser Zeit hat zum Beispiel die evangelische Kirche bei uns jedes vierte Mitglied verloren. Allein im vergangenen Jahr haben ihr weit mehr als eine halbe Million Gläubige den Rücken gekehrt.

Wer sich nun fragt: „Warum nur?“ – der wird erhört und bekommt Antworten.

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Zum Beispiel aus Nürnberg. Da hatte vor einigen Wochen die evangelisch-lutherische Kirche St. Egidien eine so titulierte Kunstausstellung eröffnet – charmanterweise am 20. Juli, dem Jahrestag von Stauffenbergs Attentat auf Hitler.

Allerdings wurden mitnichten Werke von den (oder über die) Helden des Widerstands gezeigt. Stattdessen ließ Thomas Zeitler – offiziell „Profilpfarrer für Kunst und Kultur an St. Egidien“ – zusammen mit dem Kirchenvorstand ein paar Bilder des schwulen Aktivisten Rosa von Praunheim aufhängen.

Der heißt bürgerlich Holger Radtke und ist mittlerweile 80 Jahre alt. Zeit seines Lebens war er ein Vollzeitaktivist der Schwulen- und Lesbenbewegung. Nach einem abgebrochenen Kunststudium hat er bei zahlreichen Filmen (meist über andere schwule Männer) Regie geführt, später fing er zusätzlich an zu zeichnen.

Praunheim, das kann man nicht anders sagen, ist ein PR-Talent. Früh hat er das Potenzial von absichtlichen (auch schweren) Grenzverletzungen erkannt. 1991 outete er die homosexuellen TV-Stars Alfred Biolek und Hape Kerkeling – gegen deren Willen. Das brachte einen Aufschrei, eine endlose öffentliche Debatte – und machte Praunheim auch einem breiteren Publikum bekannt.

Dem Prinzip Grenzverletzung ist der Mann treu geblieben. Seine Zeichnungen zeigen zum Beispiel den verstorbenen Papst Benedikt XVI., wie er gerade homosexuelle Fantasien hat – oder auch Jesus Christus beim Segnen miteinander kopulierender Männer.

Typisch religiöse Motive eben. Praunheim nennt seine Ausstellung „Jesus liebt“.

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Pikant sind nicht nur die Bildinhalte, sondern auch der wundersame Weg, auf dem die Zeichnungen es bis in Nürnbergs einzige Barockkirche gefunden hatten.

Denn die Praunheim-Ausstellung wurde der altehrwürdigen St.-Egidien-Gemeinde vom „Förderverein Christopher-Street-Day Nürnberg“ vermittelt. Das ist ein eingetragener, also mit Steuergeld subventionierter Verein. Er kümmert sich um die alljährliche CSD-Parade und um die sogenannte „Pride Week“ („Woche des Stolzes“) der schwul-lesbischen Bewegung.

Niemand wird wohl eine Gegendarstellung zu der Aussage verlangen, dass den CSD-Leuten von Anfang an klar war, wie sehr die Ausstellung provozieren würde. Es ist offensichtlich, dass die Provokation geradezu erwünscht war. So sollte erkennbar Aufmerksamkeit für die Parade erzeugt werden. Das ist vermutlich auch gelungen.

Oder anders: Eine Kirche will auf dem Zeitgeist surfen und lässt sich dafür von Aktivisten am Nasenring durch die Manege führen.

Unterm Strich hat die Gemeinde Gratis-Reklame für eine Schwulen- und Lesbenparade gemacht. Würden die Nürnberger Pfarrer in ihrer Kirche wohl auch Fotos vom deutschen Pornostar „Dirty Tina“ zeigen, um für die nächste Venus-Erotikmesse zu werben? Man weiß es nicht.

Mit ihrem naiven Wunsch, „Weltoffenheit“ zu demonstrieren, hat sich St. Egidien vor einen PR-Karren spannen lassen. Das ist, pardon, erbärmlich. Und was will Deutschlands evangelisch-lutherische Amtskirche eigentlich als nächstes tun, um sich „weltoffen“ zu zeigen?

Die Weihnachtspredigt im Leder-Tanga?

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Mehr als 8.000 Menschen hatten binnen weniger Tage gegen die Ausstellung protestiert und eine Petition unterschrieben.

Das hat den Gemeindevorstand aufgeschreckt, mit so massiver Kritik aus den eigenen Reihen hatte er offensichtlich nicht gerechnet. So schnell, wie Praunheims Bilder aufgehängt waren, wurden sie auch wieder abgehängt – natürlich nicht, ohne die heutzutage obligatorische Klage über „Hass und Hetze“.

Die Beschwerde darüber dürfte die Wogen allerdings kaum glätten. Denn das ist ein zu offensichtlicher Versuch der Gemeinde-Oberen, davon abzulenken, wie weit sie selbst sich von ihrer eigentlichen Aufgabe entfernt haben – und wie sehr sie in dem Wunsch, nur ja niemanden vor den Kopf zu stoßen, vor allem ihre eigenen Gläubigen vor den Kopf stoßen.

Sexuelle Darstellungen haben grundsätzlich in Kirchen nichts verloren. Einer Ausstellung in einer Kirche können sich die Gläubigen während der Gottesdienste ja nicht entziehen. Wer beten will, sollte sich nicht kopulierende Menschen ansehen müssen. Das ist auch völlig unnötig, denn dafür kann man, wenn man will, ja jederzeit in eine Galerie oder in ein Museum gehen. Oder in ein Sex-Kino. Oder auf die CSD-Parade.

Homosexuelle sind übrigens auch längst keine unterdrückte Minderheit mehr, die ihr Dasein im Verborgenen fristen muss. Im Gegenteil: Vermutlich bekommt aktuell keine gesellschaftliche Randgruppe mehr Aufmerksamkeit (und Förderung) und ist öffentlich sichtbarer als „LGBTQIA+“. Weltoffenheit und Toleranz in einer evangelisch-lutherischen Kirche in Nürnberg demonstrieren zu wollen, ist ein Beispiel für Gratismut: eine mittlerweile sehr deutsche und durchaus eklige Unsitte.

Echten Einsatz für ihr Anliegen hätten der Gemeindevorstand und auch die CSD-Aktivisten hingegen gezeigt, wenn sie zum Beispiel beim türkisch ferngesteuerten islamischen DITIB-Verein angefragt hätten, ob Praunheims Homo-Pornos nicht vielleicht in der konservativen Eyüp-Sultan-Camii-Moschee aufgehängt werden könnten.

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Neben dem religiösen, dem kirchlichen, dem gesellschaftlichen und dem politischen Aspekt hat die Sache zu guter Letzt auch noch eine ästhetische Seite. Wer in der kurzen Zeit seit dem 20. Juli das durchaus zweifelhafte Vergnügen hatte, sich Praunheims, nun ja, Kunst in St. Egidien persönlich anzusehen, kann eigentlich nur zu einem Schluss kommen:

Jeder, der die Kirche erst jetzt besucht – jetzt, da die Ausstellung wieder abgebaut wurde –, ist noch einmal mit dem Schrecken davongekommen.

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