Tichys Einblick
Islam und freiheitlicher Staat

Mit dem Mainstream-Islam in Deutschland ist kein Staat zu machen

Mit dem laut Islam-Wissenschaft in Deutschland vorherrschenden Scharia-Islam ist kein Staat zu machen. Und die Politik verweigert sich der erforderlichen politischen Gestaltung im Bereich von Migration und Einbürgerung.

© Mathis Wienand/Getty Images

Ob der Islam zu Deutschland gehört, ist die falsche Fragestellung. Es kommt allein auf seine Vereinbarkeit mit dem freiheitlich-säkularisierten Staat an. Doch mit dem in Deutschland vorherrschenden Scharia-Islam ist ein solcher Staat nicht zu machen. Und die Politik verweigert sich den erforderlichen politischen Gestaltungen im Bereich von Migration und Einbürgerung.

„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Dieses geflügelte Wort des früheren Bundesverfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde drückt eigentlich nur eine Selbstverständlichkeit aus, nämlich dass auf Dauer kein Staat funktionieren kann, wenn er von seinen Bürgern mehrheitlich in seinen Grundstrukturen abgelehnt wird, unabhängig vom Inhalt seiner Gesetze. Zu den Instanzen, die die ethisch-sittlichen Grundvoraussetzungen und Grundhaltungen im pluralistischen Staat vermitteln, gehören – neben anderen – auch die Religionen. Christentum und Judentum haben bewiesen, dass sie diese für einen freiheitlichen Staat notwendigen Grundhaltungen vermitteln können. Doch gilt das auch für den Islam, ist auch mit ihm ein freiheitlich-säkularisierter Staat zu machen?

Diese Frage nach der Vereinbarkeit von Islam und freiheitlichem Staat bringt Ordnung in die unerquickliche Diskussion über die Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland. Der Islam ist wie andere Weltanschauungen allein daran zu messen, ob er mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar ist und ein auf einer solchen Ordnung aufbauendes Staatswesen mit-tragen kann.

Dabei kommt es naturgemäß nicht auf irgendwelche Minderheiten-Strömungen innerhalb des Islams oder auf Idealvorstellungen von einem Islam an, sondern auf den in Deutschland und Europa tatsächlich vorherrschenden Mainstream-Islam.

Wenn insoweit vom Islam oder Mainstream-Islam die Rede ist, geht es natürlich um die Organisationen und deren Vertreter/Mitglieder, die den Islam konkret leben. Die Frage lautet also: Achten die islamischen Organisationen und ihre Vertreter/Mitglieder in der von ihnen gelebten Islam-Auslegung mehrheitlich die verfassungsmäßige Ordnung einschließlich der bestehenden Freiheiten, insbesondere die Religionsfreiheit?

Die Antwort der Islam-Expertin: Der hier vorherrschende Scharia-Islam passt nicht zu Deutschland 

Trotz aller Unterschiedlichkeit islamischer Organisationen lässt sich darauf eine Antwort geben. Sie lautet: Nein. Die Antwortbegründung basiert auf den Ausführungen der Islam-Wissenschaftlerin Christine Schirrmacher. Ihrer Ansicht nach ist in Deutschland ein aus dem Nahen Osten importierter Scharia-Islam vorherrschend. Er erkennt grundlegende Freiheiten nicht an, steht in Konflikt zu Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit und passt nicht zu Deutschland.

1. Kein deutscher Islam, sondern ein importierter Scharia-Islam

Zu Papier gebracht hat Schirrmacher dies in einem Beitrag über das Scharia-Recht des Islam für die Zeitschrift Cicero mit dem Titel „Eine vage Hoffnung ist zu wenig“. Wörtlich schreibt sie: „Ist es Zufall, dass es in der ganzen Region [im Nahen Osten] nirgends Religions- und Gewissensfreiheit existieren? Dort wird die Abwendung vom Islam mit Diskriminierung, Verfolgung und dem gesellschaftlichen Tod geahndet, in manchen Ländern mit der Todesstrafe. Nirgends existiert echte politische Freiheit, Gewissens-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, nirgends eine Trennung von Staat und Religion.“ Und bezogen auf Deutschland stellt Schirrmacher fest: „Der Scharia-Islam ist ein Import aus dem Nahen Osten. Leider gibt es noch keinen deutschen Islam.“ 

2. Der Mainstream-Islam steht in Konflikt zu Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit

Schirrmacher kommt sodann zu dem Ergebnis, dass es zwar verschiedene Auslegungen im Islam gebe, dass aber die etablierte Theologie, die Mainstream-Theologie, zwangsläufig zu Konflikten mit Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit führe: „Aber die prinzipielle Berechtigung zur Züchtigung für Ehemänner, zur Hinrichtung des Apostaten und zu Körperstrafen für Unzüchtige, Ehebrecher, Diebe, Straßen- und Raubmörder oder Aufrührer wird von der etablierten Theologie bis heute nicht bestritten. Diese an theologischen Fakultäten und Moscheen etablierte Mainstream-Theologie ignoriert im besten Fall alle bisherigen Ansätze von progressiver Theologie, im schlechteren Fall verurteilt und verfolgt sie Andersdenkende und Freiheitsbefürworter. Dort, wo diese Theologie nach Deutschland importiert wird, entstehen zwangsläufig Konflikte mit Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit.“

Doch wer ist die hier zitierte Christine Schirrmacher? Sie ist eine bekannte Islam-Wissenschaftlerin, die den Bundestag und andere staatliche und kirchliche Gremien berät. Unter anderem gehört sie dem Kuratorium des Instituts für Menschenrechte an, in das sie 2016 vom Bundestag gewählt worden ist; das Institut ist eine Einrichtung der Bundesrepublik Deutschland. Außerdem gehört sie dem wissenschaftlichen Beirat der Bundeszentrale für politische Bildung an, war mehrfach Gutachterin für den Bundestagsausschuss Menschenrechte und humanitäre Hilfe, ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundes Deutscher Kriminalbeamter und des Kuratoriums der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche Deutschlands.

3. Wer die Religionsfreiheit bekämpft, kann sich dafür nicht auf diese berufen

Aus dem oben Dargestellten leitet Schirrmacher die Konsequenz ab: „Vertreter aller religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen müssen sich an die Regeln des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats halten. Wer diese Rechte bekämpft, wendet sich gegen Staat und seine Rechtsordnung und kann dafür keine Religionsfreiheit in Anspruch nehmen.

Diese Aussage ist insofern „pikant“, als sie sich mit einer Aussage des AfD-Abgeordneten Albrecht Glaser deckt, die zu großer Empörung geführt hat (siehe hier): „Der Islam ist eine Konstruktion, die selbst die Religionsfreiheit nicht kennt und diese nicht respektiert. Und da, wo sie das Sagen hat, jede Art von Religionsfreiheit im Keim erstickt. Und wer so mit einem Grundrecht umgeht, dem muss man das Grundrecht entziehen.“ 

Die vom Bundestag gewählte Islam-Wissenschaftlerin Schirrmacher und der wegen vorgenannter Aussage vom Bundestag nicht gewählte Glaser stimmen also überein, als sie gleichermaßen die Religionsfreiheit dem verwehren wollen, der diese dazu nutzt, die Religionsfreiheit (und andere Freiheiten) zu bekämpfen. Der eine stellt diese Verbindung her, indem er sagt: „Wer so mit einem Grundrecht umgeht“, die andere, indem sie schreibt „Wer diese Rechte bekämpft, kann dafür keine Religionsfreiheit in Anspruch nehmen“. 

Natürlich gilt – und das wissen beide -, dass auch Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unter deren Schutz stehen und die Grundrechte in Anspruch nehmen können. Aber – und nur darum geht es – wenn sich diese Gegner dabei nicht im Rahmen der Gesetze halten, dann können sich dafür jedenfalls nicht auf die Religionsfreiheit berufen.

Das Bundesverfassungsgericht hat dies in einer Entscheidung von 1960 (1 BvR 59/56) ganz ähnlich wie folgt formuliert: „Jedenfalls kann sich auf die Glaubensfreiheit nicht berufen, wer die Schranken übertritt, die die allgemeine Wertordnung des Grundgesetzes errichtet hat. Das Grundgesetz hat nicht irgendeine, wie auch immer geartete freie Betätigung des Glaubens schützen wollen, sondern nur diejenige, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat.“ 

Oder kurz zusammengefasst: Die Religionsfreiheit ist nicht das Vehikel zur Bekämpfung von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat.

4. Muslime müssen sich vom Scharia-Islam absetzen 

Dieses Verdikt richtet sich selbstredend nicht gegen all die Muslime, die sich vom Mainstream-(Scharia)-Islam absetzen, sei es in ihrem ganz privaten Leben, sei es öffentlich wie Seyran Ates, die eine liberale Moschee gegründet hat und seitdem mit Todesdrohungen aus islamischen Kreisen überhäuft wird (siehe hier oder hier). Schirrmacher schreibt in ihrem Beitrag: „Wer den gesellschaftlich-politischen Anspruch des Scharia-Rechts ablehnt, dessen Islam paßt zu Deutschland.“ Diesen Satz können wohl alle unterschreiben, die sich gegen die politische Dimension des Islam wenden.

Damit ist dann auch eine Aussage von ZDF-Moderator Claus Kleber in einem Heute-Interview von 2017 beantwortet. Kleber sagte (siehe hier): „Was Muslime schlecht tun können, ist, sich von der Scharia lossagen.“ Mit Schirrmacher sei ihm entgegnet: Doch: Genau das, sich vom gesellschaftlich-politischen Anspruch der Scharia loszusagen, das darf man erwarten. Wer das nicht tun will, mit dessen Islam ist in Deutschland kein Staat zu machen.

Politik kapituliert vor den Herausforderungen des Mainstream-Islam

Für die Zukunft wird entscheidend sein, ob der Mainstream-Islam in Deutschland und Europa den  gesellschaftlich-politischen Anspruch des Islam ernsthaft zurückzuweisen bereit ist oder nicht. Das ist derzeit allerdings nicht erkennbar. Was zu tun ist, wenn und solange dies nicht geschieht, wäre politisch zu diskutieren und zu entscheiden.

Worüber dabei zu reden wäre, sprach der eingangs dieses Artikels genannte ehemalige Bundesverfassungsrichter Böckenförde bereits vor mehr als 10 Jahren deutlich an (siehe hier): „Der säkularisierte Staat kann und darf keiner religiösen Überzeugung die Chance einräumen, unter Inanspruchnahme der Religionsfreiheit und Ausnutzung demokratischer Möglichkeiten seine auf Offenheit angelegte Ordnung von innen her aufzurollen und schließlich abzubauen. Wäre davon auszugehen, dass eine Religion, aktuell der Islam, sich gegenüber der Religionsfreiheit auf Dauer aktiv resistent verhält, …, so hätte der Staat dafür Sorge zu tragen, dass diese Religion bzw. ihre Anhänger in einer Minderheitenposition verbleiben. Das würde gegebenenfalls entsprechende politische Gestaltungen im Bereich von Freizügigkeit, Migration und Einbürgerung notwendig machen.“ 

Doch der politische und mediale Mainstream in Deutschland verweigert sich einem ehrlichen Diskurs sowohl über die Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die vom vorherrschenden Mainstream-Scharia-Islam ausgehen, als auch über die zu ergreifenden Maßnahmen. Als Musterbeispiel einer sich dem Diskurs gar nicht erst stellenden politischen „Кlasse“ kann Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) gelten. Seine jüngste Äußerung: „Und der Rest der Bevölkerung muss akzeptieren, dass es in Deutschland einen wachsenden Anteil von Muslimen gibt.“, die sich nahtlos an Bundeskanzlerin Merkels Primitiv-Aussage „Nun sind sie halt da“ anschließt, ist geradezu Ausdruck einer Kapitulation der Politik vor den Herausforderungen, die der Mainstream-Islam mit sich bringt.

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