Tichys Einblick
Unions-Frauen gegen Rammstein

Fax-Bär macht jetzt auf Rammstein-Verfolger

Zu Rammstein ist längst noch nicht alles gesagt, und schon gar nicht von allen. Auch Unions-Frauen machen jetzt auf „Me Too“, arbeiten sich an der Band ab und werfen dabei Rechtsstaat und Gewaltenteilung über den Haufen. Bayern-Wahl, wir kommen.

IMAGO

Meine Herzdame hat mich vor diesem Text gewarnt. Das sei vermintes Gelände, hat sie gesagt, ein super-heikles Thema, brandgefährliches Terrain, vor allem für einen Mann.

Aber wo sollte man die heißen Eisen denn anfassen können, völlig unabhängig vom Geschlecht, wenn nicht hier bei TE?

Nun denn, also. Auf ins Gefecht.

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Seien wir ehrlich: Wie viele von uns haben nicht vor langer Zeit schon zumindest manchmal heimlich die Fantasie gehabt, dass man Rammstein eigentlich verbieten könnte? Früher hatte man diese unerhörte Zensur-Idee allerdings nicht wegen Sex-Vorwürfen gegen Sänger Till Lindemann, Letztere sind ja erst ziemlich neu. Sondern wegen der Musik.

„Neue Deutsche Härte“: So wird die Klangrichtung der Berliner kategorisiert. Die Band selbst hat mal gesagt, sie spiele „Tanzmetall“. Inwieweit Rammstein-Sound und Tanz miteinander vereinbar sind, kann man trefflich diskutieren. Unstrittig ist dagegen, dass die sechs Musiker ein Händchen für verkaufsfördernde Provokationen haben.

Das fängt beim Namen an. Mitte der 1990er-Jahre, ganz am Anfang ihres segensreichen Schaffens, trat die Band noch als „Rammstein Flugschau“ auf. Das war natürlich eine bewusste Grenzverletzung des guten Geschmacks, denn bei einem Unglück während einer Flugschau 1988 auf dem NATO-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz waren 70 Menschen getötet worden. (Das überzählige „m“ ist übrigens ein schlichter Schreibfehler, der nie korrigiert wurde.)

Die düstere Kapelle hat zwar später „Flugschau“ aus ihrem Namen gestrichen und sich vom Bezug zum Unglück distanziert. Aber wie das halt so ist: „Die damit verbundene Kontroverse ist für den hohen Bekanntheitsgrad der Band teilweise verantwortlich“, schreibt Wikipedia, und das dürfte auch genauso gewollt gewesen sein.

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Das wohl wichtigste Erfolgsrezept von Rammstein ist, mit den Liedtexten und der Selbstinszenierung systematisch Tabus zu verletzen. Inhaltlich geht es fortwährend um Sex oder Gewalt, meist in Kombination:

„Du blutest für mein Seelenheil.
Ein kleiner Schnitt, und du wirst geil.
Der Körper schon total entstellt –
egal, erlaubt ist, was gefällt.

Ich tu‘ dir weh,
tut mir nicht leid.
Das tut dir gut.
Hört, wie es schreit.“

Noch Fragen? Die Band hat in der gar nicht so kleinen Sado-Maso-Szene Kultstatus, wen wundert’s?

Das Bundesfamilienministerium setzte damals das dazugehörige Album auf den Index, das Verwaltungsgericht Köln gab es wieder frei. Dass dieser Rechtsstreit den Verkaufszahlen der Platte oder der Popularität der Band geschadet hätte, wird wohl niemand ernsthaft behaupten.

Immer dasselbe Muster, Rammstein macht Lieder über Skandalgeschichten mit menschlichen Abgründen: „Mein Teil“ (über den Kannibalen von Rothenburg), „Wiener Blut“ (über den Österreicher Josef Fritzl, der seine Tochter 24 Jahre lang im Keller gefangen hielt und mit ihr sieben Kinder zeugte). Im Video zu „Pussy“ wird so explizit gevögelt, dass Porno-Seiten den Clip gerne zeigen.

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) setzte das Video erwartbar auf den Index, mit ebenso erwartbarem Erfolg: Die Single stieg, als erstes Rammstein-Werk überhaupt, auf Platz Eins der deutschen Charts ein. Immer dasselbe Muster eben.

Sex und Gewalt, Blut und Schmerz: Rammstein ist Boulevard ohne Wetterbericht.

Übrigens kann man nicht sagen, dass die Musiker sich bei ihrer Sado-Maso-Inszenierung selbst schonen würden. Für eine der (in der Musikbranche durchaus anerkannten) aufwändigen und professionellen Bühnenshows von Rammstein – immer mit viel Rauch und bombastischen Pyro-Effekten – wollte Sänger Till Lindemann unbedingt, dass seine Mundhöhle leuchtet. Kein Schreibfehler.

Dafür ließ er sich ein Loch in die Wange stechen, in dem eine kleine Öse platziert wurde. Dann schraubte er das eine Ende eines dünnen Kabels an einen kleinen Akku an seinem Kragen. Das andere Ende schraubte er an eine Mini-Glühbirne, und die wurde innen an der Öse in Lindemanns Wange befestigt.

Und das Goldkehlchen leuchtete aus dem Mund.

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Wer heutzutage ein berufsmäßiger Grenzverletzer ist, der lässt sich den Nazi-Vorwurf nicht entgehen. Die veröffentlichte Meinung in Deutschlands polit-medialem Kartell kennt schließlich kein schlimmeres Tabu als „rechts“.

Rammstein spielt schon lange und virtuos mit dem Vorwurf, die Band habe rechtsextreme Tendenzen. In einem Video benutzen die Musiker Bildmaterial aus Leni Riefenstahls Film über die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin. Sicher genauso wenig zufällig bedient sich ihre Bühnenästhetik bei NSDAP-Inszenierungen.

Bei linken Schaufenster-Veranstaltungen wie „Rock gegen Rechts“ tritt Rammstein nicht auf. Manchmal bezeichnen sich Bandmitglieder selbst als „links, absolut klar bekennend links“. Dann wieder sagen sie: „Wir sehen die Welt anders als in links und rechts aufgeteilt.“

Man kann sich auch nach oben schaukeln.

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Bis hierher ist es die vielleicht clevere, jedenfalls aber erfolgreiche Marketing-Strategie einer Band. Vor einem Text darüber hätte meine Herzdame mich nicht gewarnt. Das alles wäre nicht der Rede wert.

Dann kam Shelby Lynn.

Die 25-jährige Irin behauptet, dass sie vor einem Rammstein-Konzert in Litauens Hauptstadt Vilnius bei einer Backstage-Party unter Drogen gesetzt worden sei – womöglich, damit Till Lindemann Sex mit ihr haben konnte. Sagt Shelby. Von Vergewaltigung spricht sie nicht.

Sexuelle Übergriffe von mächtigen Männern gegen Frauen (manchmal auch gegen andere Männer) sind heutzutage ein brisantes Thema. Die Öffentlichkeit ist sensibilisiert. Auch in Litauen beeilten sich die Behörden, Lynns Vorwürfe zu prüfen.

Ergebnis: Die Ermittlungen wurden eingestellt.

Nach Lynn meldeten sich dann noch weitere Frauen. Journalisten recherchierten, und man fand heraus: Unbestreitbar gab es ein recht ausgeklügeltes System, um Lindemann rund um dessen Konzerte Sex-Partnerinnen zuzuführen. Das kann man abstoßend finden, aber es ist nicht per se verboten – solange die betreffenden Frauen alt genug sind, und solange alles freiwillig passiert.

Wie das bei den Rammstein-Auftritten in Berlin war, prüft derzeit die dortige Polizei. Lindemann und seine Kollegen bestreiten vehement, dass jemals Frauen bei ihren Konzerten mit K.O.-Tropfen oder Alkohol betäubt worden seien, damit ein Band-Mitglied Sex mit ihnen haben konnte.

Es gibt also Vorwürfe, die bestritten werden. Es gab Ermittlungen, die eingestellt wurden. Es gibt andere Ermittlungen, die noch andauern. Es gibt ein paar juristische Scharmützel darüber, wer in den Medien derzeit was behaupten darf, die aber im Prinzip keine Rolle spielen. In der eigentlichen Sache gibt es noch keine Anklage gegen Lindemann oder seine Leute, keinen Prozess und entsprechend auch noch kein Urteil.

Das ist der Stand: Rechtsstaatlich handelt es sich um unbewiesene Vorwürfe.

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Die Bühne betreten: Dorothee Bär und Julia Klöckner.

Erstere sitzt für die CSU im Bundestag, Letztere für die CDU. Zusammen haben beide Damen nun Shelby Lynn (die Irin, siehe oben) dazu eingeladen, auf einer Veranstaltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu sprechen – um, Zitat:

„… die Opferperspektive bei der wichtigen Diskussion über Gewalt gegen Frauen zu stärken, aber vor allem durch unsere Arbeit Frauen vor jeglicher Gewalt zu schützen.“

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich weiß nicht, ob die Vorwürfe von Shelby Lynn gegen Till Lindemann und Rammstein stimmen oder nicht. Kann sein, kann nicht sein. Es gibt sehr viele Fälle, in denen sich gezeigt hat, dass Klagen von Frauen völlig gerechtfertigt waren. Es gibt auch Fälle, in denen Vorwürfe sich als nachweislich falsch herausgestellt haben.

Jörg Kachelmann, einst Deutschlands beliebtester Wetterfrosch, hatte das zweifelhafte Vergnügen, bei der medialen Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz zusehen zu müssen – bevor ein Gerichtsprozess eindeutig zeigte, dass eine gekränkte Ex-Freundin Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn schlicht erfunden hatte. Kevin Spacey, Oscar-Preisträger und Weltstar, bekam in New York und London gegen alle Vorwürfe des sexuellen Fehlverhaltens Freisprüche erster Klasse – da hatte Netflix ihn aber schon gefeuert, sein Management arbeitete nicht mehr für ihn, und es wurden sogar Szenen mit ihm aus einem fertigen Kinofilm herausgeschnitten.

Spacey ist juristisch lupenrein unschuldig, seine Karriere ist trotzdem vorbei.

Das ist halt das Problem, wenn man die Unschuldsvermutung öffentlich durch eine Schuldvermutung ersetzt. Dann geht es nicht mehr darum, dass ein Vorwurf von einem unabhängigen Gericht bewiesen wird. Dann reicht der Vorwurf, auch ganz ohne Beweis – und schwupps: Schon wird man sozial exekutiert.

„Glaubt der Frau“, skandieren radikale Feministinnen. Damit meinen sie, dass Vorwürfe von Frauen – gerade in Fällen angeblicher sexueller Übergriffe – nicht mehr in Frage gestellt werden sollen. Damit würde man aber aus unbewiesenen Behauptungen einfach Tatsachen machen. Dass Vorwürfe bewiesen werden müssen, ist eine elementare Säule unserer Rechtsordnung. Sie soll verhindern, dass Menschen zu Unrecht verurteilt werden.

„Glaubt der Frau“ ruiniert den Rechtsstaat. („Glaubt dem Mann“ würde ihn auch ruinieren, aber das fordert ja niemand.)

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Dieser rechtliche Amoklauf ist schon schlimm genug. Noch schlimmer ist der politische.

Wenn im Backstage-Bereich von Rammstein-Konzerten etwas Illegales passiert sein sollte, dann wäre es Aufgabe von Polizei und Justiz, zu ermitteln und womöglich zu bestrafen. Keinesfalls wäre es Aufgabe von zwei Politikerinnen im Karriereloch, die Justiz in eine bestimmte Richtung zu schubsen.

CDU und CSU haben Jahrzehnte lang zurecht die Politisierung der Justiz in der DDR beklagt. Wollen die Politikerinnen Bär und Klöckner jetzt die Gewaltenteilung über den Haufen werfen und sich in laufende Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft einmischen? In Bärs Bayern sind demnächst Landtagswahlen, da muss wohl noch was getan werden. Dorothee Bär war Digitalbeauftragte der letzten Regierung Merkel. Bewegt hat sie nichts. Null, gar nichts. Politikerinnen wie ihr verdanken wir, dass Deutschland im Fax-Zeitalter steckenbleibt. Ihre Corona-Warn-App hat nicht funktioniert. Wo Doro Bär steht, lauert das Versagen. Ihre Wähler haben das wohl gemerkt. Sie braucht Aufsehen. Da ist jedes Mittel recht. Julia Klöckner war Landwirtschaftsministerin. Im Graichen-Untersuchungsausschuss hat sie Robert Habeck vorgeführt. Warum gibt sie sich jetzt für Dorothea Bär her? Ruiniert man seinen Ruf aus Parteisolidatirät?

Es ist ja für die gute Sache, und es geht gegen eine vermeintlich rechte Band.

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Ganz anders verhält es sich, wenn plötzlich Vorwürfe gegen linke Ikonen auftauchen.

Die Punkrockband „Feine Sahne Fischfilet“ gilt als Flaggschiff der Linken. Wir erinnern uns: Der höchst neutrale Bundespräsident hatte die Combo empfohlen, obwohl (oder weil?) sie in ihren Liedern Gewalt gegen Polizisten verherrlicht:

„Wir stellen unseren eigenen Trupp zusammen und schicken den Mob dann auf euch rauf. (…) Die Bullenhelme, sie sollen fliegen. Eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein, und danach schicken wir euch nach Bayern, denn die Ostsee soll frei von Bullen sein.“

Die Band tauchte in Verfassungsschutzberichten auf. Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern urteilte 2013, dass von ihr „Bestrebungen ausgehen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind“.

Entsprechend hat „Feine Sahne Fischfilet“ – erkennbar unabhängig von der recht diskutablen musikalischen Qualität – eine treue Anhängerschaft nicht zuletzt bei deutschen Journalisten. „In der rechten Szene haben die Musiker viele Feinde“, schreibt andächtig Fangirl Sandra Schaftner vom Redaktionsnetzwerk Deutschland RND. „Sie erhielten Mord- und Bombendrohungen, kurz nach dem Einzug in ihr Bandbüro 2017 gab es einen Buttersäureanschlag.“

Was sich oberflächlich wie ein frevelhafter Terrorakt liest, entpuppt sich beim Nachlesen als, nun ja, etwas weniger dramatisch. „Buttersäureanschlag“ bedeutet, dass eine Stinkbombe geworfen wurde. Die meisten kennen das aus ihrer Schulzeit, da lief das in der Kategorie „Streich“, und deswegen – oder gar nur wegen einer Stinkbombendrohung – wurde eher selten ein Schulgebäude geräumt oder auch nur eine Klassenarbeit abgebrochen.

Aber gut. „Feine Sahne Fischfilet“ hat im Moment andere Probleme als Buttersäure im Büro: Ausgerechnet eine linke Gruppe hat Frontsänger Monchi (bürgerlich Jan Gorkow) wiederholt sexualisierte Gewalt, Übergriffigkeit und Machtmissbrauch vorgeworfen. Zuletzt wurde sogar zu einer Demonstration gegen die Band in Hamburg aufgerufen.

Irgendwie kommt einem das vertraut vor: War da nicht was mit Rammstein? „Feine Sahne Fischfilet“ ging auch, wie Rammstein, gegen die Vorwürfe wegen Verleumdung vor Gericht (bisher erfolgreich).

Da hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Denn der Umgang unseres grün-linken Kartells mit beiden Fällen könnte unterschiedlicher nicht sein.

RND berichtet zwar ewig lang und offenbar mit wachsender Begeisterung über alle Anschuldigungen gegen Rammstein. Zum Fall „Feine Sahne Fischfilet“ erscheint dagegen ein Text mit dem Titel: „Wie die Punkrockband gegen anonyme Vorwürfe ankämpft“. Auch der Nordkurier räumt den Punkern viel Platz ein, um sich zu rechtfertigen. (Und zu den Vorwürfen gegen die Band muss man bei den großen Sendern ARD und ZDF eher mit der Lupe suchen.)

Von Till Lindemann konnte man in beiden Publikationen zum Beispiel nichts dergleichen lesen. Auch ist nicht überliefert, ob die Damen Bär und Klöckner an mögliche Opfer von „Feine Sahne Fischfilet“ eine ähnlich lautende Einladung ausgesprochen hätten

Wenn zwei das Gleiche tun, ist es halt noch lange nicht dasselbe.

Immer donnerstags, spätabends um halb zwölf, läuft im ersten Programm der ARD „Inas Nacht“. Das ist eine Talkshow mit Musik. Im Mai dieses Jahres, kurz nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe, sollte da Rammstein-Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz zu Gast sein.

Er war auch da, wurde aber aus der Aufzeichnung herausgeschnitten, und die Sendung wurde ohne ihn ausgestrahlt. Vor zwei Wochen nun bejubelte Gastgeberin Ina Müller den neuen Stargast ihrer Nacht. Es war:

„Feine Sahne Fischfilet“.

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