Tichys Einblick
CCS

Meisterliche Pirouetten der Grünen in Sachen CO2-Abscheidung und -Speicherung

Anscheinend ist der Presseabteilung des von den Grünen geführten Ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz ein Mega-Coup gelungen. Viele Zeitungen berichten wunschgemäß über die grüne Kehrtwende in Sachen CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS).

Robert Habeck in der Kabinettssitzung, 21.12.2022

IMAGO / Political-Moments

Ein Berichtsentwurf des von Robert Habeck (Grüne) geführten Klimaministeriums sieht die Nutzung von Technologien zur Speicherung von CO2 im Boden vor. Das berichtet heute die Welt. Zwar habe die Verringerung des CO2-Ausstoßes Vorrang. Aber: „CCS soll vor allem ergänzend zur Minderung technisch schwer vermeidbarer Emissionen aus industriellen Prozessen und der Abfallverbrennung Anwendung finden.“

Unter CCS (carbon dioxide capture and storage) versteht man Verfahren der Abscheidung von CO2 und dessen Einlagerung in unterirdische Lagerstätten. Dadurch soll CO2 zur Erreichung der Pariser Klimaziele in der Atmosphäre bzw. dessen Ausstoß in die Atmosphäre reduziert werden.

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Die Einlagerung von CO2 in tiefere geologische Schichten ist mit Risiken verbunden, die nicht vollständig erforscht und zudem unterschiedlich bewertet werden. Jahrelang haben sich die Grünen gegen die CCS-Technologie gewandt – und nicht nur sie, sondern auch der Energieriese EnBW. In einem Positionspapier 2012 bemängelte EnBW, dass „die CCS-Technologie mit erheblichen Kosten verbunden“ wäre und „perspektivisch die Förderkosten der Erneuerbaren inklusive Photovoltaik deutlich übertrifft“. EnBW hatte sich damals zu Merkels grüner Energiewende bekannt, die als back up für die Windräder und Photovoltaikflächen auf Gaskraftwerke setzte, zumal, wie nicht nur EnBW warnte, die CCS-Technik keine Akzeptanz in der Bevölkerung besaß. Greenpeace und andere skandierten Slogans wie „Zeitbombe CO2-Lager“ oder „Kein Endlager ist sicher“.

Im Jahr 2009 hatte der damalige Landesvorsitzende der Grünen, Robert Habeck, bereits erklärt, als die Erschließung von zwei Endlagern in Schleswig-Holstein durch RWE geprüft wurde: „Schleswig-Holstein ist das Land der erneuerbaren Energien und keine Müllhalde für CO2.“ Das Umweltbundesamt noch nicht ganz auf der Höhe der Zeit und von Habecks angeblichem Schwenk kalt erwischt, kommentiert: „Das Umweltbundesamt hatte schon 2006 eine Studie und ein Positionspapier zur technischen CO2-Abscheidung und -Speicherung veröffentlicht … Sie kommt zu dem Schluss, dass die CO2-Abscheidung und -Speicherung nur eine zeitlich befristete Übergangstechnik ist.“ Doch auf die entsprechende Anpassung im Sinne von Habecks neuer Pro-CCS-Linie wird man wohl nicht lange warten müssen.

Bereits am 2. Dezember berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) über den Evaluierungsbericht zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz, der in die Ressortabstimmung ging und in dem es laut RND heißt: „Die Studien gehen davon aus, dass trotz der zahlreichen Klimaschutzmaßnahmen bereits ab 2030 zusätzlich eine CO2-Abscheidung im Rahmen von CCU und CCS im Megatonnenmaßstab notwendig sein wird, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen.“

Genüsslich zelebriert auch die Welt Habecks „Umfallen“ in Sachen CCS, wenn sie schreibt: „Jahrelang haben Umweltschützer, Aktivisten und die Grünen die Speicherung des Treibhausgases CO2 tief im Boden als untaugliches Instrument für den Klimaschutz kritisiert und blockiert. Allen voran Robert Habeck (Grüne) … Nun, in Regierungsverantwortung, denken die Grünen um.“ Vom neuen grünen Pragmatismus ist die Rede.

Das alles kann man denken, wenn man den grünen Masterplan für den Umbau der Wirtschaft, für die große Transformation nicht kennt, den der reichlich finanzierte grüne Think-Tank Agora Energiewende 2020 erstellte. Direktor des Think-Tanks war damals Patrick Graichen, heute Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und Habecks Mastermind.

Ziel der großen Transformation ist ein klimaneutrales Deutschland im Jahr 2050. Das „ist technisch und wirtschaftlich im Rahmen der normalen Investitionszyklen in drei Schritten realisierbar“. Bis 2030 sollen die Emissionen um 65 Prozent sinken, in einem zweiten Schritt wird der vollständige Umstieg auf klimaneutrale Technologien vollzogen, so dass die „Emissionen um 95 Prozent sinken“. Nicht vermeidbare Restemissionen sollen dann in einem dritten Schritt durch „CO2-Abscheidung und -Ablagerung ausgeglichen“ werden, also durch CCS-Technologien. Dafür ist ein „umfassendes Investitionsprogramm, vergleichbar mit dem Wirtschaftswunder in den 1950er/60er-Jahren“, nötig. Die Weltverbesserer von der Agora Energiewende denken im Bunde mit ihren amerikanischen Freunden in gigantischen Dimensionen. „Kernelemente sind eine Energiewirtschaft auf Basis Erneuerbarer Energien, die weitgehende Elektrifizierung, die smarte und effiziente Modernisierung des Gebäudebestands sowie der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft für die Industrie.“

Nichts anderes erleben wir derzeit: das Vorantreiben der all-electric-Utopie auf Teufel komm raus. Bis 2030 soll vollständig aus der Kohleverstromung ausgestiegen werden, die Erneuerbaren-Energie einen Anteil an der Stromproduktion von 70 Prozent ausmachen, 14 Millionen Elektroautos sollen zugelassen und 6 Millionen Wärmepumpen eingebaut, die Sanierungsrate um mindestens 50 Prozent erhöht und 60 TWh sauberen Wasserstoffs genutzt werden. Alle Elemente der schönen neuen all-electrik-Welt sind hier bereits geplant: Ausstieg aus den fossilen Energien, Ausbau der Erneuerbaren Energien, deren back up die Wasserstoffverstromung durch wasserstofffähige Gaskraftwerke bilden, E-Mobilität, Gebäudesanierung, Einsatz von Wärmepumpen und CCS-Technologie. Wo also ist Habeck umgefallen? Er setzt schließlich nur um, was längst geplant ist, nur dass man über einiges nicht allzu laut gesprochen hat.

Das alles wird natürlich im Rahmen des European Green Deal verwirklicht. Im Think-Tank war man sich damals schon sicher: „Das Regierungsprogramm nach der Bundestagswahl 2021 ist von zentraler Bedeutung.“ Und auch, dass man regieren werde. Bereits 2014 hat die Agora Energiewende eine Studie unter dem Titel erstellt: „Stromerzeugungskosten neuer Wind- und Solaranlagen sowie neuer CCS- und Kernkraftwerke auf Basis der Förderkonditionen in Großbritannien und Deutschland“, und in einer Studie hat die Agora Energiewende bereits vor der Wahl im Jahr 2021 untersucht, wie die „europäische Stahl-, Zement- und Chemieindustrie CO2-frei wird“.

Frank Peter, stellvertretender Geschäftsführer von Agora Energiewende, sagte damals: „Der globale Wettlauf zu null Emissionen hat begonnen. Und wer die Führung bei klimaneutralen Technologien übernimmt, wird durch vorausschauende und mutige Klimapolitik entschieden“. Die Studie will zeigen, dass „mit klimaneutralen Schlüsseltechnologien die Stahl-, Zement- und Chemieindustrie in den nächsten zehn Jahren die notwendigen Emissionseinsparungen für die gesamte Industrie erzielen könnte, die unter den europäischen Emissionshandel fallt – und damit zum höheren EU-Klimaziel 2030 von mindestens 55 Prozent weniger Emissionen beitragen.“

Mithilfe von CCS-Technologien will man die Stahl-, Zement- und Chemieindustrie „klimaneutral“ machen. Das erfordert gigantische Investitionen und wird dadurch zu einem Eldorado vor Hedgefonds und Investmentbanken, zu einer gigantischen grünen Blase. Frank Peter von der Agora Energiewende bestätigte das, wenn er sagte: „Industrieanlagen haben eine Lebensdauer von bis zu 70 Jahren – das heißt Investitionen in rein konventionelle Anlagen sind bereits heute nicht mehr kompatibel mit dem langfristigen Ziel der Klimaneutralität. Um Investitionsruinen zu vermeiden, muss die Entscheidung fortan auf die klimaneutrale Innovation fallen.“ Nur so würde sowohl das 2030er- als auch das 2050er-Klimaziel der EU erreicht werden.

Ohne CO2-Story gäbe es keine große Transformation, keinen Umbau unserer Gesellschaft zur klimaneutralen Gesellschaft, inklusive Umbau der Sozialen Marktwirtschaft zur ökologistischen Kommandowirtschaft.

Die CCS-Technologie wird gebraucht, um den CO2-Ausstoß von Industrien abzufangen und einzulagern, und damit zu vermeiden, dass das CO2 in die Atmosphäre geblasen wird, die nicht ohne Freisetzung von CO2 produzieren können. Es existiert aber noch ein Grund, weshalb man gerade jetzt mit der Propagierung der CCS-Technologien in die Öffentlichkeit geht. Man will diese Technologien schneller als geplant realisieren. Das könnte auch den Grund haben, dass man befürchtet, nicht schnell genug und nicht ausreichend genug grünen Wasserstoff zur Verfügung zu haben. Mithilfe von CCS-Technologien könnte nämlich auch grauer Wasserstoff zu blauem Wasserstoff werden, wenn nämlich das freiwerdende CO2 nicht in die Luft abgegeben, sondern verpresst und unterirdisch gelagert werden würde.

Man ist in der Frage der Förderung der CCS-Technologie bereits weiter, als bekannt ist, denn die Energiekonzerne Eon (Deutschland) und Horisont Energi (Norwegen) haben ein „zentrales Projekt für die Dekarbonisierung der europäischen Industrie und Städte“ vereinbart, wie die Unternehmen im November bekannt gaben. Während EON sich mit der Abscheidung von jährlich mehr als eine Million Tonnen CO2 aus den Emissionen von Industrieunternehmen kümmert, will Horisont das CO2 auf dem Seeweg nach Norwegen transportieren, um es dort unter dem Meeresboden in ausgepumpten Öl- und Gaslagerstätten einzulagern. Höchste Zeit also, dass sich Robert Habeck dazu äußert.

Dem PR-Spezialisten Robert Habeck ist ein Coup von eiskalter Präzision gelungen. Habecks angebliche Kehrtwende, obwohl die Anwendung der CCS-Strategie mindestens seit 2020 geplant war, bringt ihm nun den Ruf des Pragmatikers und Realisten ein. Und niemand diskutiert mehr über die Sinnhaftigkeit der Investitionen, denn auch die Kritiker der Grünen ergehen sich entweder in Bewunderung für den Pragmatiker Habeck oder in Häme über den Umfaller Habeck, doch beides kann ihm recht sein, denn der Masterplan der Agora Energiewende wird eins zu eins in die Tat umgesetzt, ohne dass jemand über den Masterplan redet. Wozu doch das CO2 so alles taugt. Chapeau.

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