Tichys Einblick
Rutschpartie auf der schiefen Ebene

Maas: Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)

Für 500 Bußgeldverfahren sind geschätzt 4 Mio. € an Kosten für den Steuerzahler und 28 Mio. € für die Unternehmen doch gar nichts. Wer würde das nicht als verhältnismäßig ansehen! Oder?

© Steffi Loos/Getty Images

Heiko Maas hat den „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“, kurz gesagt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz = NetzDG vorgestellt. Dieser nicht ganz leicht lesbare Titel steht für die Aktion gegen „hatespeech“, den Feldzug gegen „Hasskriminalität“, übrigens eine neue Untergruppe der Kriminalität, die sich vornehmlich auf die Gesinnung – nämlich Hass – bezieht. Demnach haben Betreiber von sozialen Netzwerken, die mehr als 2 Mio. registrierte Nutzer haben, rechtswidrige Äußerungen zu unterbinden. In § 1 Abs. 3 NetzDG – E heißt es:

„Rechtswidrige Inhalte sind Inhalte im Sinne des Absatzes 1, die den Tatbestand der §§   86, 86a, 90, 90a, 111, 126, 130, 140, 166, 185 bis 187, 241 oder 269 des Strafgesetzbuchs erfüllen.“

Beschwerden gegen diese Inhalte sind innerhalb von 24 Stunden zur Kenntnis zu nehmen, „offensichtlich rechtswidrige“ innerhalb von 24 Stunden zu löschen und nicht offensichtlich rechtswidrige innerhalb von 7 Tagen.

Die gelöschten Inhalte müssen nach § 3 Abs. 2 NetzDG – E zeitlich unbegrenzt gespeichert werden und der Betreiber muss den Inhalt des Netzwerkes aktiv nach weiteren Kopien der Inhalte durchsuchen.

Verstößt ein Betreiber von sozialen Netzwerken gegen eine der Pflichten, so können Geldbußen bis zu 5 Mio. € gegen ihn verhängt werden, wobei das Amtsgericht (ohne weitere Rechtsbehelfe) dafür zuständig sein soll. Nach § 4 Abs. 3 NetzDG – E kann der Verstoß gegen die Pflichten auch dann geahndet werden, wenn er nicht im Inland begangen wurde.

Vermutlich wird dieses Gesetz unter dem Oberbegriff „Meinungsfreiheit“ heiß diskutiert werden, viele werden sich in ihrem Grundrecht aus Art. 5 GG verletzt fühlen und „Zensur“ beklagen. So eingängig das ist, man dürfte damit aber auf das falsche Pferd setzen.

Grundsätzlich sind Grundrechte Abwehrrechte gegen den Staat. Wenn dieser durch einen Akt hoheitlicher Gewalt (sei es Gesetz oder Urteil) in die Rechte des Bürgers eingreift und dieser selbst, gegenwärtig und unmittelbar davon betroffen ist, kann er Verfassungsbeschwerde einreichen. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gilt also nicht Facebook und Twitter gegenüber, denn diese sind nicht der Staat (nur noch mal zur Erinnerung). Twitter ist übrigens auch dann kein Staatsorgan, wenn es als Pressestelle von Präsidenten eingesetzt wird.

Im Verhältnis Betreiber und Nutzer stehen sich also zwei Private gegenüber, in diesem Verhältnis gelten Grundrechte grundsätzlich nicht. Zwischen Privaten gelten die vertraglichen Bedingungen, danach ist das Entfernen zumeist ohne Probleme möglich. Als Beispiel sei hier ein kurzer Auszug der Facebook – AGB erwähnt:

Schutz der Rechte anderer Personen

Wir respektieren die Rechte anderer und erwarten von dir, dass du dies ebenfalls tust.

  • Du wirst keine Inhalte auf Facebook posten oder Handlungen auf Facebook durchführen, welche die Rechte einer anderen Person verletzen oder auf sonstige Art gegen das Gesetz verstoßen.
  • Wir können sämtliche Inhalte und Informationen, die du auf Facebook postest, entfernen, wenn wir der Ansicht sind, dass diese gegen diese Erklärung bzw. unsere Richtlinien verstoßen.

Es ist also etwas anderes, ob ich vor dem Brandenburger Tor etwas sage oder in social medias. In der staatlichen Öffentlichkeit schützen mich die Grundrechte, in der privaten Öffentlichkeit werden Rechte und Pflichten vertraglich/durch AGB geregelt. Weder vor dem Brandenburger Tor noch bei Twitter etc. sind aber Straftaten erlaubt!

In Frage käme allenfalls eine mittelbare Wirkung der Grundrechte, dass also die Betreiber zu Handlangern des Staates gemacht werden, um missliebige Meinungsäußerungen zu untersagen. Ob das hier der Fall ist, mag eine interessante Rechtsfrage sein, ist aber ein Fass, das man an dieser Stelle besser nicht aufmachen sollte. Ganz grundsätzlich sollten wir uns vor Augen halten, dass Freiheitsrechte nicht bedeuten, dass man machen kann, was einem gefällt. Sie gelten und galten nie schrankenlos und stets auch nur gegenüber dem Staat, weil alles andere nun einmal Privatautonomie ist. Mit allen Konsequenzen.

NEIN, NEIN UND NOCHMAL NEIN
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Dass die Betreiber in ihren Rechten, auch möglicher Weise Grundrechten (z. B. Verletzung des Eigentumsrechts aus Art. 14 GG durch Eingriff in den eingerichteter und ausgeübten Gewerbebetriebs, Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes von Art. 3 GG durch „Bagatellgrenze“) tangiert sein können, steht auf einem anderen Blatt. So müssen sie unfreiwillig einen neuen Geschäftszweig, nämlich Rechtsdienstleistungen, einrichten, wobei die geschätzten Kosten für die Unternehmen bei 28 Mio. liegen. Das stellt einen erheblichen Eingriff auch in die unternehmerische Freiheit dar. Angesichts der Tatsache, dass nur Betreiber mit mehr als 2 Mio. Nutzern verpflichtet werden („Bagatellgrenze“), fragt sich, wieso 1,9 Mio. Nutzer, die „Hasskommentare“ äußern, irrelevant sein sollen.

Ebenso scheinen selbst die Entwurfsverfasser an der Vereinbarkeit mit EU-Recht zu zweifeln. So ist zweifelhaft, ob die kurzen Löschungsfristen (24 Stunden bei offensichtlicher, 7 Tage bei nicht offensichtlicher Rechtswidrigkeit, wobei ungeklärt ist, was „offensichtlich“ ist) und die aktiven Nachforschungsfristen nicht gegen die e-commerce-Richtlinie verstoßen. In der Begründung wird ausgeführt:

„Hilfsweise besteht auch außerhalb des von der e-commerce-RL vorgehaltenen Instrumentariums Spielraum für nationale Regelungen. Zwar enthält Artikel 3 Absatz 2 e-commerce-RL ein grundsätzliches Verbot für die Mitgliedstaaten, den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat aus Gründen einzuschränken, die in den sogenannten koordinierten Bereich fallen. Dazu gehören nach Artikel 2 Buchstabe h Ziffer i 2. Spiegelstrich e-commerce-RL unter anderem die von einem Diensteanbieter zu erfüllenden Anforderungen in Bezug auf die Ausübung der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft, beispielsweise Anforderungen betreffend das Verhalten des Diensteanbieters, Anforderungen betreffend Qualität oder Inhalt des Dienstes sowie Anforderungen betreffend die Verantwortlichkeit des Diensteanbieters.

Hiervon dürften auch die im Entwurf vorgeschlagenen Betreiberpflichten bei sozialen Netzwerken erfasst werden.“

Aber in diesem Fall sei eine Ausnahme zulässig, denn es

„… ist notwendig, um Hasskriminalität effektiv zu bekämpfen und zu verfolgen. So wird das friedliche Zusammenleben der freien, offenen und demokratischen Gesellschaft in Deutschland geschützt.“

Ob das einer gerichtlichen Überprüfung stand hält, sei dahingestellt.

Gerade zu obskur wird das ganze, wenn zwecks Darlegung der (natürlich niedrigen!) Kosten des Gesetzes für den Steuerzahler ausdrücklich dargelegt wird, dass mit ca. 25.000 Anzeigen zu rechnen ist, wobei die meisten nach Ansicht des Justizministeriums unbegründet sein werden. Insgesamt wird mit 500 Bußgeldverfahren gerechnet.

Und für 500 Fälle sind geschätzt 4 Mio. € an Kosten für den Steuerzahler und 28 Mio. € für die Unternehmen doch gar nichts. Wer würde das nicht als verhältnismäßig ansehen! Außerdem kann man mit etwas Glück Millionen Euro wieder holen, denn bei der möglichen Höhe der Bußgelder, die ein Amtsrichter festsetzen kann (ohne Rechtsbehelfe natürlich), kann das fast schon lukrativ werden.

Wenn also die Auffassung vertreten wird, Herr Maas sei maßlos, dann weiß man, was gemeint ist.

Annette Heinisch studierte Rechtswissenschaften in Hamburg, Schwerpunkt: Internationales Bank – und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht.
Seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig.