Tichys Einblick
Kreißsaal ⋅ Hörsaal ⋅ Plenarsaal

Merz’ gescheiterter Büroleiter Bracht steht für die Unfähigkeit der Politikkaste

Anfang des Monats zu Merz’ Büroleiter ernannt, noch vor Ende des Monats wieder degradiert worden. Marian Bracht hat einen unglaublichen Karriereknick erlebt – und muss sich trotzdem nicht um seine Zukunft sorgen.

IMAGO / Political-Moments
Der Twitter-Account „@MarianBracht“ ist momentan nicht aufrufbar. Zwar finden sich derzeit noch einige Spuren, etwa über Parteifreunde, die ihn einst adressiert haben – aber Bracht ist abgetaucht und hat seinen Account vorübergehend deaktiviert. Kaum vier Wochen nach dem größten Schritt in seiner Karriere hat eben diese ihre größte Delle erlebt: Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz machte den 31-Jährigen erst zum Büroleiter im Konrad-Adenauer-Haus und schob ihn dann gleich wieder ab: in Ungnade gefallen, Höchststrafe. Doch keiner muss sich um Bracht sorgen. Die CDU wird ihn auch wieder befördern. Nicht obwohl er nur Politik kann, sondern gerade weil er nur Politik kann. Die Parteien setzen nur noch auf einen Typus, dessen Leben sich auf Kreißsaal ⋅ Hörsaal ⋅ Plenarsaal begrenzt. Marian Bracht wird in anderen Führungsfunktionen zurückkehren.

Der Schlüssel zur CDU ist Marian Bracht in die Wiege gelegt. Sein Vater ist Hans-Josef Bracht – besser bekannt als Jupp. 25 Jahre lang war der Abgeordneter im rheinland-pfälzischen Landtag. Dort wurde er auch von den Vertretern der anderen Parteien geschätzt. Weil Bracht selbst in Niederlagen noch freundlich blieb – aber darin auch reichlich Erfahrung sammeln konnte. Denn Jupp Bracht gehört zu einer verlorenen Generation. 25 Jahre lang galt er als Führungsreserve, ohne je zum Zug zu kommen. Wie so viele andere im Landesverband. Bis 1991 war das Land Helmut Kohls eine uneinnehmbare CDU-Bastion. Doch dann zerlegten sich die Christdemokraten erst selbst und wurden danach von Kurt Beck und Malu Dreyer (beide SPD) geschickt von der Macht ferngehalten. Jupp Bracht wurde alle fünf Jahre als Schattenminister gehandelt, um dann jedes Mal leer auszugehen. Zum Schluss durfte er fünf Jahre lang Vizepräsident des Landtags sein – der Titel ist ein Trostpreis in der Politik.

Auch sein Sohn Marian galt und gilt als Führungsreserve. Doch er entschied sich für einen anderen Weg. Während sein Vater regional verwurzelt blieb – 26 Jahre CDU-Kreisvorsitzender im Rhein-Hunsrück-Kreis -, vernetzte sich der Sohn bundesweit, ging in den Bundesvorstand der Jungen Union. Dort lässt sich ein gewaltiges Netzwerk aufbauen. Wer dort Telefonnummern sammelt, hat danach einen sicheren Weg in der Partei vor sich. Genau wie Marian Bracht. Dessen Weg verläuft geradeaus: Mitarbeiter im Adenauer-Haus, Büroleiter bei Peter Tauber, Büroleiter bei Geschäftsführer Stefan Hennewig und dann die Beförderung ins Vorzimmer des neuen Chefs – wo die Karriere dann ihren ersten Knick erlebt.

In diesem Karriereknick liegt eine gewisse Ironie. Denn Bracht ist ein überzeugter Merkelianer. Die Chefin ahmt er nach: Politisch sich bloß nicht auf Inhalte festlegen, um sich nicht die Chance zu nehmen, das Segel in den nächsten Wind zu hängen. Es ist kein Zufall, dass es Merkels langjähriger General Peter Tauber war, der Bracht aufs Karussell zog. Von ihm lernt er, wie man sich anpasst und wie man diejenigen öffentlich isoliert, die nicht genehm oder schlicht im Weg sind.

Wobei Bracht darin viel eigenes Talent mitbringt. Wer nicht folgt, wird aussortiert. Dank Parteisoldaten wie Tauber und Bracht konnte Merkel die CDU dazu bringen, selbst noch die Positionen aufzugeben, die sie einst groß gemacht hatten. Zum Beispiel die strikte Ablehnung der Partei, die sich früher SED und heute Die Linke nennt. Ohne solche Gehilfen, die nichts als ihr eigenes Vorankommen im Sinn haben, lassen sich die Miseren nicht erklären, in die Merkel das Land geführt hat.

Und auch dass Deutschland aus seinen Miseren nicht herauskommt, hat mit einem Politikertypus zu tun, für den Bracht nur ein prominentes von tausenden Beispielen ist. In den anderen Parteien ist dieser Typus genauso zu Hause: Hat ein Bewerber Berufserfahrung außerhalb der Politik gesammelt, gilt das eher als Manko. Umso früher sie aufs Karussell gesprungen sind, desto besser. Desto eher wissen sie, wann sie wen anrufen müssen – und wann sie wen wegboxen müssen. Pech nur für Bracht, dass Unvorhersehbares passiert ist: 20 Jahre war Friedrich Merz weg, weggeboxt von Merkel. Zweimal konnte sie ihn zuletzt noch durch unterdurchschnittlich talentierte Politikdarsteller wie Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet weghalten. Wer hätte daher im März 2021 gedacht, dass Merz doch noch CDU-Vorsitzender wird?

Zumindest nicht Marian Bracht. Merz war aus seiner Sicht einer, den man hauen darf. Ja, hauen muss, wenn man auf dem Karriere-Karussell bleiben will. Also ätzte Bracht immer wieder gegen den Außenstehenden. Gerne auf dem Twitter-Account, bei dem er jetzt die Pausetaste betätigt hat. Zu spät. Seine Lästereien drangen zum neuen Chef vor, dazu kam das ungeschickte Handeln in der Cancel-Affäre – und schon erlebte der Beförderte noch im selben Monat die Versetzung.

Brachts Fehler war, dass er sich das Unvorstellbare nicht vorstellen konnte: nämlich, dass der Merkelismus zu Ende gehen würde. In der Partei, die ihr nicht verzieh, Figuren wie Laschet bis hin zum Kanzlerkandidaten gefördert zu haben. Und im Land, in dem sogar die ARD eine Dokumentation aus dem Programm nehmen musste, weil diese Merkels Amtszeit zu positiv bewertet hatte. Merkelianer wie Helge Braun fielen bei parteiinternen Wahlen nun gnadenlos durch und Karrieristen wie Bracht waren plötzlich von Chefs abhängig, gegen die sie zuvor jahrelang geätzt haben.

Geschieht ihm recht? Ein Happyend? Nun räumt Merz endlich mit den Merkelianern in der CDU auf? Wer diese Fragen alle mit Ja beantwortet, der muss enttäuscht werden: Merz wird mit den Merkelianern nicht aufräumen.

Zum einen kann er es nicht. Sie stellen in der Partei immer noch locker 40 Prozent der Mitglieder – und vor allem sind sie in der Führungselite stark verbreitet. Diesen Parteisoldaten à la Bracht Junior: Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal. Zum anderen will Merz nicht aufräumen. Sein Plan ist es nicht, die CDU zurück zu einer Partei zu führen, die Positionen einnimmt, weil sie diese für richtig hält. Den Merkel-Opportunismus behält er bei. Sein Plan ist es, noch in dieser Wahlperiode Kanzler zu werden. Eine Neuwahl wird es nicht geben, bevor die Hälfte der Legislatur abgeschlossen ist. Denn dann würden die Abgeordneten Pensionsansprüche verlieren. Merz hofft auf einen Krisen-Winter, nach dem Kanzler Olaf Scholz (SPD) kapitulieren muss und die Grünen zu ihm überlaufen. Schon deswegen fressen er und die Christdemokraten gegenüber den Grünen Kreide. Die Entlassung Brachts ist kein großes Ding für Merz. Er straft einen ab, der Schlechtes über ihn gesagt hat und dann noch nicht mal performt hat.

Und für Bracht? Das Zurechtstutzen zeigt Wirkung. Der stillgelegte Twitter-Account ist ein Hinweis darauf. Doch der 31-Jährige wird zurückkommen. Vermutlich nicht als Abgeordneter. Weil er es ausgelassen hat, sich seine Karriere mit einem Mandat abzusichern. Etwa als Bundestagsabgeordneter. Auch eine Rückkehr nach Rheinland-Pfalz ist unwahrscheinlich. Dafür bräuchte es dort einen Regierungswechsel. Und die CDU Rheinland-Pfalz scheint fest entschlossen, dem Geschick der SPD weiter eigenes Unvermögen entgegenzusetzen und auf eine Rückeroberung der ehemaligen Bastion zu verzichten.

Doch Marian Bracht gilt als Organisationstalent. Dieser Ruhm beruht vor allem auf der Aktion „Connect 2017“. Damals kaufte die CDU Daten von der Post und designte einen Wahlkampf, der die Christdemokraten genau zu den Haustüren führte, hinter denen potenzielle Merkel-Wähler wohnten. Trotz der Flüchtlingskrise gelang es der CDU so, sich vier weitere Jahre im Kanzleramt zu sichern. Brachts Beteiligung an dieser Aktion ist unvergessen. Und dann hat er ja noch das Adressbuch aus seiner Zeit im Bundesvorstand der Jungen Union. Darin befindet sich auch die Nummer, die ihn einst anrufen wird, um ihm zu verkünden, dass die Karriere wieder nach oben geht.

Erobert die CDU eine Staatskanzlei zurück oder sogar das Kanzleramt, dann sind hunderte von Stellen zu besetzen: vom Staatssekretär über den Abteilungsleiter bis hin zum Büroleiter. Dafür setzt die CDU – wie die anderen Parteien auch – auf Menschen mit dem Karriereweg Kreißsaal ⋅ Hörsaal ⋅ Plenarsaal. Dass Bracht gegen Merz geätzt hat, wird dann irgendwann vergessen sein. Es hat sich eine Politikkaste gebildet, die nur noch die ihren akzeptiert. Egal, wie viel sie verbockt haben.