Tichys Einblick
Gedanken zu Konsum und Zeitgeist

Konsumphilosophie à gogo 4: ALDI

Die Tatsache, dass wir uns immer wieder zu Gemeinschaften verbinden, führt aber nicht automatisch zu mehr Gemeinschaft in der Welt, sondern im Gegenteil zu mehr Trennung.

Die Verheißungen von Werbung und PR scheinen in Zeiten der Haltlosigkeit die letzte Bastion großer Wertvorstellungen zu sein. Das kann traurig machen … oder glücklich.  Ein tiefer, kurzer Blick lohnt, um dann – ganz beruhigt – in die Kleinheit unser aller Leben zurückzusinken.

Der Sinn des Lebens: ALDI

Wir haben uns schon an so vieles gewöhnt: An einen Heino, der Hartrock singt, an Deutsche Post-Filialen in Döner-Imbissen und Kleinstwagen von Mercedes-Benz. Selbst Tagesthemensprecher duzen sich euphorisch, grüßen den chilligen Zeitgeist und versenken begeistert ihre Glaubwürdigkeit. Vor diesem Hintergrund ist nur konsequent, wenn auch die Sinngebung des Lebens nicht nur einem Dienstleister überlassen wird. Die Warenmärkte haben längst die Pole-Position übernommen

Ausgerechnet weiland Karl Marx erweist sich als der erste Marketingspezi, als er vor mehr als 150 Jahren vor sich hin sinnierte: „Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, dass sie ein sehr vertracktes Ding ist, voller metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken.“

Da mögen die großen Werbe- und Marketingexperten bitte das Feld räumen, die erst vor Hundert Jahren ihre Ratlosigkeit über die soziale Wirkkraft von Waren in dem modischen Begriff des „Images“ zu Papier brachten, um darüber hinweg zu täuschen, dass sie selbst nicht wussten, was in den Köpfen der Menschen eigentlich geschah, wenn ihnen die drei Streifen auf dem Sportschuh näher waren als ihre Gattin.

Gedanken zu Konsum und Zeitgeist
Konsumphilosophie à gogo 1: Pepsi – Freiheit in Dosen
Machen wir uns nichts vor: Der Mensch ist verloren und fundamental allein. Georg Simmel, der große deutsche Metropolensoziologe, fasste diesen bedauernswerten Zustand mit dem Begriff der „tiefsten Individuation“ zusammen. Weil wir wissen, dass wir eigentlich Zeit unseres Lebens allein sind, versuchen wir verzweifelt immer wieder Gemeinschaften zu bilden: Wir gründen Familien, bekommen Kinder, heben Sportvereine aus der Taufe und werden sogar Mitglieder von Parteien – nur um stetig der Illusion zu erliegen, dass wir tiefste Nähe und Übereinstimmung mit anderen finden können. Zum Schluss wird daraus nix und wir beginnen wieder von neuem: Mit einer neuen Frau, einem neuen Auto, einer neuen Partei. Die Tatsache, dass wir uns immer wieder zu Gemeinschaften verbinden, führt aber nicht automatisch zu mehr Gemeinschaft in der Welt, sondern im Gegenteil zu mehr Trennung. Denn wenn sich Menschen verbinden, sich die Hände reichen, dann drehen sie dem Rest der Welt den Rücken zu. Und dieser Rest versucht dieser Einsamkeit so schnell als möglich zu entkommen, indem er wieder Gemeinschaften bildet. Kurzum: Sozialität führt immer zu A-Sozialität.

Nun sollte man meinen, dass der Mensch des 21. Jahrhunderts selbstbestimmter und aufgeklärter sei als alle seine unterjochten und versklavten Ahnen der grauen Vorzeit: Kein Gott, kein Staat, keine Arbeit, sang vor einigen Jahren eine jugendbewegte Band im kehligen Laut der Verkündigung. Und so darf es niemanden erstaunen, wenn uns ALDI in seiner Werbekampagne die essentiellen Dinge der Existenz anmahnt und Kinder fragen lässt:

  • Warum müssen wir uns beeilen?
  • Warum hast Du keine Zeit zum Spielen?

Am Ende der Werbung heißt es: „Einfach ist mehr“.

Was uns hier als postmoderne Variante der Bergpredigt begegnet, zeigt, dass sich zwar die gelernten Zugehörigkeiten zu sozialen Milieus, Familien und Religion auflösen, das eigentliche Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Sinn nicht verschwunden ist. Im Gegenteil: Indem sich der Einkauf bei ALDI zu einem eindeutigen Statement verstanden wissen will, ist jeder Gang zwischen Baldo, Markus-Kaffee und Tandil ein Jakobsweg hermetischer Vernunft.  Kaufen ist bei ALDI nicht kaufen, sondern sinnhaftes Tun. Denn für den Philosophen sind die Himmel niemals leer.