Tichys Einblick
Unendlich viele Ratgeber bringen wenig

Immer mehr Kinder sind übergewichtig

Es gibt immer mehr Initiativen, die versuchen, eine gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung von Kindern zu fördern. Die bringen aber anscheinend nichts: Die Zahl der übergewichtigen Kinder nimmt zu.

Symbolbild

IMAGO / agefotostock

„Obeldicks“, „In Form“, „3F – Fit for Family“, „Fitness für Kids“ oder „Ich kann kochen!“: Mit solchen Initiativen sollen Eltern, Lehrer und Erzieher zu „Genussbotschaftern“ oder zu „Multiplikatoren“ für Bewegungsspiele ausgebildet werden, Bewegungsspiele wie „Mensch-beweg-dich“, „Wohnzimmer-Safari“ und Wohnzimmer-Märchenwald“. Die Bundesregierung, Krankenkassen und Krankenhäuser gründen laufend mehr solcher Initiativen, damit sich übergewichtige Kinder gesünder ernähren und mehr bewegen. Zusätzlich gibt es viele Magazine mit Ernährungstipps und den besten Sportübungen für einen gesunden Körper.

Auch im Internet lassen sich unzählbar viele Tipps für Eltern mit übergewichtigen Kindern finden: „Übergewicht bei Kindern: Zehn Dinge die Eltern tun können“, „Übergewicht bei Kindern: Was Eltern tun können“, „Übergewicht bei Kindern – und was Eltern tun können“. Ja, das klingt alles gleich. Und die Tipps lauten auch alle gleich: viel Obst und Gemüse essen, viel Wasser trinken, so wenig Süßigkeiten wie möglich konsumieren und ganz viel bewegen. Klingt so einfach, trotzdem scheinen all diese Tipps und Initiativen nichts zu bringen: Der Trend in Deutschland geht zum Übergewicht, insbesondere bei Kindern.

Einstieg in die Räterepublik
Ampel hält sich Bürgerrat, um in die Ernährung der Bürger hinein zu regieren
Wie eine Studie der „KKH Kaufmännische Krankenkasse“ ergab, waren 2021 bei den 6- bis 18-Jährigen rund 34 Prozent mehr von krankhaftem Übergewicht (Adipositas) betroffen als noch 2011. Die Ärztin Dr. Aileen Könitz sagt: „Dieser Trend ist dramatisch, denn im Kindesalter werden die Grundsteine für eine gute Gesundheit im Erwachsenenalter gelegt.“ Wie die KHH ausführt, drohen Kindern mit extremen Übergewicht früher oder später gesundheitliche Folgen wie Gelenkverschleiß, Diabetes Typ zwei, Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck und andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Somit sei die Lebenserwartung verringert.

Die Lockdowns während der Corona-Pandemie haben diesen Trend zusätzlich verstärkt, wie KHH Daten zeigen: So gab es bei den 6- bis 18-Jährigen allein vom Vor-Corona-Jahr 2019 auf 2021 eine Zunahme der Adipositas-Fälle um etwa elf Prozent. Der Grund: mangelnde Bewegung und viel Zeit vor dem Bildschirm. Doch mittlerweile sind die Lockdowns vorbei. Die Kinder könnten wieder von den Bildschirmen weg, raus gehen, spielen und sich bewegen. Das tun sie aber anscheinend nicht: Laut KHH bewegen sich sechs- bis zehnjährige Kinder im Schnitt nur noch eine Stunde am Tag.

Das kann jeder selbst beobachten: Geht man in ein Restaurant und sieht dort Familien mit kleinen Kindern, wird schnell klar, worin das Problem liegt: Häufig geben die Eltern den Kindern einfach ein Handy oder Tablet zum Spielen. Ist ja auch einfach: So ist das Kind ruhiggestellt und bespaßt, während die Erwachsenen sich ungestört unterhalten können. Es ist so „einfach“. So einfach, wie der Ratgeber beschreibt: „Einfach richtig essen – wie gelingt mir das?“. Dieser beschreibt „Fit-Foods“ hoch und runter und schlägt „einfache“ Rezepte mit diesen „Fit-Foods“ vor: Naturjoghurt mit Obst und Müsli zum Beispiel. Statt „einfach“ könnte man auch sagen: unkreativ. Alles muss anscheinend immer „einfach“ sein. So soll es auch „einfach“ sein, seine Kinder im Restaurant ruhigzustellen: Man will sich ja ungestört unterhalten, also spielt das Kind mit einem Handy.

Generation Süßigkeitenwerbung
Eltern – nicht Werbung – beeinflussen das Ernährungsverhalten ihrer Kinder
Doch so verhindern die Eltern, dass die Kinder ihre eigene Kreativität entwickeln, wie beispielsweise das Portal „besser bilden“ erklärt. Auf der Internetseite heißt es, dass Kinder ihre Kreativität entwicklen würden, indem sie mit verschiedenen Objekten spielen, Alltagsgegenstände umdeuten oder Skulpturen, Gebäude und Ähnliches mit Bauklötzen bauen. Später folgten dann Malen, Zeichnen, Singen, Rhythmus und Musik sowie Basteln. Diesen Prozess sollten Eltern mit Freude und Interesse begleiten, damit den Kindern ihre kreativen Versuche in Erinnerung bleiben, schreibt das „besser bilden“.

Früher gab es viel weniger übergewichtige Kinder, wie die Statistik der KKH zeigt. Allerdings gab es auch kaum Ratgeber. Da war es tatsächlich „einfach“: Familien nahmen Spielsachen und Malhefte mit ins Restaurant, damit die Kinder sich damit beschäftigen konnten und gleichzeitig ihre Kreativität entwickelten, die beim Spielen am Handy weitestgehend abgestellt werden, wie die Christian-Albrecht-Universität zu Kiel erklärt. Demnach lernen Kinder, Langeweile und negative Emotionen mit Spielen am Handy zu kompensieren, wenn Eltern ihnen zum Beispiel bei Restaurantbesuchen „einfach“ ein Handy in die Hand drücken. Wenn sich Kinder dann in anderen Situationen langweilten, neigen sie dazu, diese ebenfalls mit Handyspielen zu lösen, statt ihre Kreativität auszuleben und somit zu entwickeln, heißt es weiter von der Universität in Kiel. So verbringen die Kinder immer mehr Zeit vor einem Bildschirm, bewegen sich entsprechend kaum noch und nehmen immer mehr zu, wie die Studie der KHH zeigt.

Aber ohne Programme wie „3F – Fit for Family“ fallen Eltern scheinbar keine Spiele ein, mit denen sie ihre Kinder beschäftigen und zum Bewegen ermutigen können. Statt ihrer eigenen Kreativität – und der ihrer Kinder – freien Lauf zu lassen, zahlen sie dann lieber 250 Euro für eine bedruckte Plane im Großformat für das Spiel „Mensch-beweg-dich“ – wie es ein Ratgeber empfiehlt. Die kreativ und informativ sind – nur halt nachweislich nichts bringen.

Anzeige