Tichys Einblick
Dokumentation

Israelischer Professor aus Baltimore erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bonner Polizei

Der israelische Professor Yitzhak Melamed kommt in seinem Brief an einen Freund, zu folgendem Schluss: "Am Ende des Tages, mein Freund, ist es Deine Gesellschaft und Deine Polizei. Polizeibrutalität ist eine der schlimmsten Aspekte der gegenwärtigen amerikanischen Gesellschaft. Es ist rassistisch und es ist gemein. Du magst denken, dass die Dinge in Deutschland anders sind, aber ich bezweifle das sehr."

Bonn am Rhein

Getty Images

Am 11. Juli 2018 ist es in Bonn zu einem judenfeindlichen Übergriff gekommen. Der israelische Professor Yitzhak Melamed aus Baltimore wurde attackiert, weil er eine jüdische Kopfbedeckung, eine Kippa, trug. Danach wurde er von der Polizei geschlagen. Dokumentiert ist nun ein Brief des Professors an einen Freund in deutscher Übersetzung.

Mein guter Freund,

In den letzten zwei Tagen wurde ich von verschiedenen deutschen Medien angesprochen, die um eine Stellungnahme zu dem Vorfall baten, der sich am 11. Juli im Bonner Hofgarten ereignet hat. Ich kann nicht all diese Anfragen beantworten, da ich mich um meine Arbeit und um meine Familie kümmern muss. Daher lass mich hier stattdessen kurz und präzise den Verlauf der Ereignisse an diesem Tag beschreiben.

Lass mich zunächst anmerken, dass mich die Beschreibung des Vorfalls in der Erklärung der Bonner Polizei vom 12. Juli zutiefst beunruhigt. Der Bericht ist voll von glatten und grundlosen Lügen, die sowohl die Brutalität als auch die Ineffizienz der Bonner Polizei am 11. Juli verschleiern sollen. (Ich werde diese schweren Anklagen kurz erläutern.)

Ich war eingeladen, eine Vorlesung an der renommierten Sommerschule der Universität Bonn in klassischer deutscher Philosophie zu halten. Bedauerlicherweise konnte ich aufgrund familiärer Verpflichtungen nur für zweieinhalb Tage kommen und ich sollte am Mittwoch, den 11. Juli um 18 Uhr meinen Vortrag halten. Den Morgen des Tages hatte ich damit verbracht, an meinen Nachforschungen zu arbeiten.

Um 12:30 Uhr traf ich mich mit Dr. Lina Steiner von der Universität Bonn, die eine ehemalige Kollegin und enge Freundin von mir und meiner Frau ist. Lina zeigte mir das schöne Schloss. Danach wollte sie mir die Stadt zeigen, (denn obwohl ich schon oft deutsche Universitäten besucht habe, war ich vorher noch nie in Bonn gewesen).

Es war kurz nach 14 Uhr, als wir die Straße überquerten und in die Bonner Hofgärten einkehrten. Kurz darauf kam ein etwa 1,60 Meter großer stämmiger Mann auf uns zu und fragte mich „Bist du Jude?“ Er fügte hinzu, dass er Palästinenser sei. Ich begann zu sagen, dass ich Sympathie für die Notlage der Palästinenser hege und den gegenwärtigen bedrückenden Zustand der islamisch-jüdischen Beziehungen zutiefst bedauere, doch da fing die Person schon an, (als er merkte, dass ich ein Fremder war), auf Englisch zu brüllen: „Ich ficke Juden. Ich ficke Juden.“

Dr. Steiner und ich erkannten sofort, wohin die Unterhaltung driftete und gingen daher auf die andere Seite, um uns von der Person zu entfernen, die uns jedoch mit hartnäckigen Flüchen folgte. Dann versuchte er meine Kippa wegzuwerfen und schrie auf deutsch, dass ich in Deutschland keine Kippa tragen dürfe. Ich nahm meine Kippa vom Boden und legte sie wieder auf meinen Kopf. Der Typ wurde wütender: „Nein. Du darfst die Kippa hier nicht haben.“ (Das ist meine Erinnerung an seine Schreie auf Deutsch).

Dann rief er mehrmals: „Keine Juden in Deutschland“ und warf zum zweiten Mal meine Kippa zu Boden. Ich hob sie auf und legte sie auf meinen Kopf. „Du hörst nicht auf mich“, rief er und schlug mir zum dritten Mal meine Kippa vom Kopf. Ich hob sie auf und legte sie auf meinen Kopf. Er schubste mich.

Als all das passierte, bat Lina Passanten, die Polizei zu rufen, und ein paar von ihnen machten den Anruf. (Es waren ziemlich viele Leute da). Der Angreifer ging währenddessen auf den nahegelegenen Rasen und zog Kreise. Nach ungefähr fünf Minuten kam er zu uns zurück. Er schubste mich und dann versuchte ich, ihm in die Leistengegend zu treten, damit er uns verlässt. Ich traf ihn nicht, aber er wurde davon abgeschreckt und ging wieder ins Grüne, um dort seine Kreise zu ziehen.

Ich fragte Lina, wo die Polizei bliebe. Dann kam der Angreifer zum dritten Mal. Er schubste mich erneut, fluchte und ich versuchte (und scheiterte wieder), ihm in die Eier zu treten. Dann hörten wir die Sirene der Polizei. Es waren mindestens zwanzig Minuten vergangen, nachdem wir darum gebeten hatten, die Polizei zu rufen. (Es gab viele Passanten in der Nähe, die das bestätigen können). Der Angreifer bewegte sich langsam fort, aber als das Polizeiauto parkte, rannte er davon.

Die Polizei bewegte sich langsam und der Angreifer war dabei, sich aus meinem Blickfeld zu bewegen. Er war bereits ungefähr vierhundert Meter von mir entfernt, als ich nach einigem Zögern entschied, ihm hinterher zu laufen, um die Polizei in seine Richtung zu lenken. (Das Gebiet war stark bevölkert und der Angreifer hatte sein Hemd ausgezogen, so dass es für mich klar war, dass er sich aus dem Staub machen wollte.)

Nach dreihundert Metern sah ich ein paar Polizisten aus der entgegengesetzten Richtung rennen, allerdings an dem Angreifer vorbei und auf mich zu. Ich hatte nicht viel Zeit, mich zu wundern, da sich sofort vier oder fünf schwer bewaffnete Polizisten auf mich warfen, (zwei von vorne und zwei oder drei von hinten). Sie drückten meinen Kopf in den Boden und während ich völlig kampfunfähig und kaum in der Lage war zu atmen, (ganz zu schweigen davon, einen Finger bewegen zu können), begannen sie, in mein Gesicht zu schlagen.

Nach ein paar Schlägen fing ich an, auf Englisch zu schreien, dass ich die falsche Person sei. Sie legten mir Handschellen hinter meinem Rücken an und nach ein paar weiteren zusätzlichen Schlägen in mein Gesicht, während ich schrie, dass ich die falsche Person sei, ließen sie endlich von mir ab. Ich konnte wieder atmen.

Ich bat die Polizei, meine Tasche zu öffnen und meine Identitätsdokumente zu nehmen. Meine Brille war kaputt. Meine Armbanduhr zerrissen. Nach weiteren fünf oder zehn Minuten wurde ihnen klar, dass sie einen Fehler gemacht hatten. Einer der Polizisten kam, nahm die Handschellen ab und sagte mir, dass sie jemanden gefasst hätten, der uns angegriffen hätte. Dann schrie mich einer der Polizisten in einem didaktischen Ton an (auf Englisch): „Leg Dich nicht mit der deutschen Polizei an!“

Das war mehr als genug. Ich sagte dem Polizisten sarkastisch: „Ich habe keine Angst mehr vor der deutschen Polizei. Die deutsche Polizei hat meinen Großvater ermordet. Sie hat meine Großmutter ermordet. Sie hat meinen Onkel ermordet, und sie hat meine Tante ermordet. Alles an einem Tag im September 1942. Also, leider habe ich keine Angst mehr vor ihnen.“

Der Polizist war verblüfft. Ich fragte ihn nach seinem Namen, aber er weigerte sich, mir zu antworten. Ich fragte noch einmal und bekam wieder keine Antwort. Später konnte ich die Identifikationsnummer auf seiner Polizeiweste aufschreiben, die ich noch bei mir habe.

Die Polizisten baten mich und Dr. Steiner, sie zur Polizeistation zu begleiten, um als Zeugen auszusagen. Als wir in der Station waren, bemerkte ich, dass mein Gesicht blutete. Ich sagte zu Dr. Steiner, dass ich wahrscheinlich sehr komisch aussähe.

In der Polizeistation bat uns die Polizei, auszusagen. Ich fragte, wo ich eine Beschwerde gegen die Polizisten einlegen könnte, die mich geschlagen hatten, aber die Polizisten versuchten dann für die nächsten anderthalb Stunden, uns zu überzeugen, keine Beschwerde einzulegen.

Sie entschuldigten sich und sagten, es sei ein Fehler gewesen. Ich antwortete, dass es tatsächlich nur ein Fehler gewesen sein könne, aber selbst wenn es so sei, Dutzende von Schlägen in mein Gesicht – während ich handlungsunfähig war – nichts weiter als reine Brutalität sei. Dann versuchte ein Polizist, mir einzureden, ich hätte „seine Hand berührt“ und die Polizei sei nur in Reaktion darauf auf mich gesprungen. Ich sagte ihm, das sei eine glatte Lüge.

Er versuchte mir einzureden, ein unbewusster Instinkt von mir habe mich vielleicht geleitet, aber ich antwortete, dass auch dies eine billige und glatte Lüge sei, da die vier oder fünf Polizisten, die auf mich gesprungen waren, dies aus zwei Meter Entfernung getan hatten und es daher keinen körperlichen Kontakt zwischen mir und einem der Polizisten gegeben haben konnte, bevor sie mich angegriffen hatten.

Der weitere Verlauf dieses surrealen Gesprächs dauerte sehr lange. Sie versuchten weiterhin, mir einzureden, aufgrund von Reflexen oder Instinkten von mir hätte ich die Hand eines der Polizisten berührt, was dann wohl eine Rechtfertigung dafür sein sollte, mich zu schlagen. Dann insinuierten sie, dass, wenn ich die Presse informieren würde, sie mich beschuldigen würden, ich hätte Widerstand geleistet. Ich sagte nur, dass ich Beschwerde einlegen wolle.

Während des ganzen Gesprächs blutete mein Gesicht. Niemand bot mir Erste Hilfe oder etwas in der Art an. (Sie sagten mir nur, ich könne ja in ein Krankenhaus gehen.)

Schließlich wurde von einer höheren Behörden eine Verfügung erlassen, dass der Fall an einer anderen Stelle verhandelt werden solle, da es sich um ein Hassverbrechen und somit um eine politisch motivierte Tat handele. Wir gingen also zu einer anderen Polizeistation.

Dort war der Befrager viel höflicher. Als er auf mich zukam, fragte er: „Das hat Ihnen dieser Gauner angetan?“ Ich antwortete: „Nein, mein Herr. Ich muss Ihnen die Wahrheit sagen. Das hat mir die deutsche Polizei angetan.“ Er bedeckte sein Gesicht mit der Hand und sagte: „Oh nein.“ Dann ging er zu seinen Vorgesetzten, kehrte zurück und nahm meine Aussage entgegen.

Er fragte mich, ob ich eine Beschwerde gegen die Polizei einreichen wolle. Ich sagte ihm, ich hätte nichts persönliches gegen einen der Polizisten und ich hätte keine Lust an einer zukünftigen Zusammenarbeit mit der Bonner Polizei, aber ich fände, es sei in seinem Interesse als deutscher Staatsbürger, etwas gegen die Polizeibrutalität zu unternehmen, vor allem wenn es wieder Ausländer und Minderheiten beträfe.

Obwohl ich den Text nicht lesen konnte, weil meine Brille verloren gegangen war, füllte der Befrager die Beschwerde in meinem Namen aus und ich unterschrieb sie. Dann brachte er mich zum Hotel. Ich ging schnell in mein Zimmer, wusch mir das Blut aus meinem Gesicht und von meinem Körper und ging dann zu meinem Vortrag, (obwohl ich fünfundvierzig Minuten zu spät kam).

Ich konnte in dieser Nacht nicht richtig schlafen, da mein Körper verwundet war und ich keine Position finden konnte, die nicht schmerzhaft war. Um 8:15 Uhr sollte ich eigentlich den Zug zum Frankfurter Flughafen nehmen, um dann endlich nach Hause zu fliegen. Ich wurde um 6.30 Uhr durch ein Telefonanruf der Bonner Polizei aufgeweckt. Die Polizei sagte mir, die Polizeipräsidentin wolle sich gerne mit mir treffen und fragte, ob sie um 7:15 Uhr ins Hotel kommen dürfe. Ich stimmte zu.

Die Präsidentin kam, um sich zu entschuldigen. Ich sagte ihr, dass Fehler menschlich seien, aber dass das brutale Vorgehen durch die Polizei kein Fehler war, da ich völlig handlungsunfähig war und zu der Zeit kaum atmen konnte. Sie sagte mir, die Polizisten hätten einen fairen Prozess verdient. Ich stimmte dem sofort zu.

Wir verabschiedeten uns als Freunde, so schien es mir damals, doch während ich nach Hause flog, erhielt ich von Freunden die Nachricht über den Polizeibericht zu dem Vorfall (am Morgen des 12. Juli), der in den ersten Berichten zu diesem Vorfall in den deutschen Medien kritiklos zitiert worden war. Sowohl der Polizeibericht als auch die metastatischen Nachrichten erklärten, die Polizeipräsidentin habe sich entschuldigt, (was ich als klaren und unaufrichtigen politischen Schritt interpretierte), dass ich mich einer Verhaftung widersetzt hätte und mich die Polizei daher folglich hätte schlagen „müssen“, so als eine Höflichkeit deutschen Bildungsstils, (siehe zum Beispiel den Bericht in der Deutschen Welle).

Nun, Du kannst jetzt selbst urteilen. Versuche, (wenn Du es kannst), Dir vorzustellen, wie Du Dich einer Verhaftung widersetzt, wenn Du entweder keinen körperlichen Kontakt mit der Polizei hast oder wenn fünf Polizisten auf Deinem Rücken sitzen und Du kaum in der Lage bist, richtig zu atmen. (Wir Philosophen sehen uns ja als Experten in Gedankenexperimenten, aber die Bonner Polizei scheint in der Lage zu sein, den Kreis zu quadrieren.)

Am Ende des Tages, mein Freund, ist es Deine Gesellschaft und Deine Polizei. Wie gesagt, ich habe keine Lust auf weitere Begegnungen mit der Bonner Polizei. Polizeibrutalität ist eine der schlimmsten Aspekte der gegenwärtigen amerikanischen Gesellschaft. Es ist rassistisch und es ist gemein. Du magst denken, dass die Dinge in Deutschland anders sind, aber ich bezweifle das sehr.

Der einzige Grund, warum die Präsidentin der Bonner Polizei bei mir um „Entschuldigung“ gebeten hat, ist, dass ich Professor an der John Hopkins Universität bin. Wenn ich ein Außenseiter der deutschen Gesellschaft wäre, würde sich niemand darum kümmern (und offensichtlich würde niemand dem Beschwerdeführer glauben).

Wenn die Sonne an diesem Freitag in Baltimore untergeht, möchte ich Dir Shabbat Shalom wünschen, mein Freund. Vergiss bitte nicht, dem modernen „Ausländer, Waise und Witwe [גג, יתםם אאאנננ]“ zuzuhören, auch wenn sie sich beschweren und erklären, von den Behörden missbraucht worden zu sein. Denn sie könnten vielleicht Recht haben.

Dein Yitzhak Yohanan Melamed
Baltimore, 13. Juli 2018


Dieser Beitrag ist zuerst bei Tapfer im Nirgendwo erschienen.