Tichys Einblick
Gespräch

„Investoren umfahren Deutschland“

Unter Boris Jelzin war Alfred Reingoldowitsch Koch stellvertretender Ministerpräsident. Ab 1991 arbeitete er in leitenden Funktionen in der Privatisierungsbehörde, deren Vorsitzender er 1996 wurde. Als Putin-Kritiker verließ er Russland und lebt, arbeitet und investiert heute in Deutschland.

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Die Wohnungsnot in der Bundesrepublik ist hausgemacht“, klagt der frühere russische Vizepremier und Wirtschaftswissenschaftler Alfred Koch. Er berichtet von haarsträubenden Erlebnissen mit der Bürokratie bei eigenen Bauprojekten. Deutschland sei international nicht mehr konkurrenzfähig. Eine Abrechnung mit Deutschlands Sozialismustendenzen.

„Als jemand, der bis zum 30. Lebensjahr im Sozialismus gelebt hat und ihn in einer besonders krassen Ausführung, der sowjetischen, durchmachte, erschreckt es mich, dass es in Deutschland heute so eine große Sympathie für den Sozialismus gibt“, sagt der frühere russische Vize-Regierungschef und Leiter der russischen Privatisierungsbehörde Alfred Koch, der heute als Unternehmer und Schriftsteller in Oberbayern lebt: „Sozialismus ist eine Sackgasse, man darf diesen Weg nicht gehen, das Land würde damit Zeit und Ressourcen verlieren, mehrere Generationen würden auf der Müllhalde dieser irren Ideen landen.“

Über Juso-Chef Kevin Kühnert schüttelt der 58-Jährige Russlanddeutsche nur den Kopf: „Dass so ein wirrer, nicht belesener und ungebildeter Junge die Jugendorganisation der SPD leitet, das ist eine bittere Pille, die wir alle schlucken müssen, von einer Partei, die einst für Willy Brandt stand. Dieser Junge versteht nicht nur nichts von der Weltgeschichte und der Geschichte seines eigenen Landes, er hat auch offenbar nicht die Dokumente seiner eigenen Partei gelesen; sonst würde er verstehen, dass die SPD sich schon vor 50 Jahren vom Marxismus als Leitideologie losgesagt hat. Er ist offenbar in die falsche Partei eingetreten, er hätte in die Linke eintreten müssen.“

Koch, der Wladimir Putin aus gemeinsamen Petersburger Tagen kennt und zu dessen Team gehörte, bis er sich mit ihm überwarf und zum Regimekritiker wurde, sieht massive Defizite bei deutschen Politikern: „Ihre Inkompetenz verwundert heute niemanden mehr, denn die meisten haben entweder keine vernünftige Ausbildung oder nie normal gearbeitet oder beides, sie haben angefangen in den Jugendorganisationen ihrer Parteien, dann Parteikarriere gemacht.“ Jetzt hätten „ausgerechnet diese Leute den Anspruch, ein großes Land mit einer großen Geschichte zu regieren und seine Bewohner zu belehren, wie sie zu leben haben“, klagt Koch, der inzwischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt: „Und das, obwohl dieses Land und seine Leute alles durchgemacht haben, Sozialismus, Nationalsozialismus, Imperium, Fleckenstaat, Feudalismus und vieles mehr. In meinen Augen erübrigt sich jede ernsthafte Debatte über Leute wie Kühnert. Wieso sollte man sich über Schwachsinn Gedanken machen?“

Statt zur Bekämpfung der galoppierenden Mieten über Enteignungen von Wohnungen zu diskutieren, sollte sich die Politik der wahren Ursachen des Problems annehmen, mahnt Koch: „Ich fürchte, dass weder Herr Seehofer noch Frau Merkel auch nur ahnen, was wirklich den Bau neuer Wohnungen verhindert in Deutschland. Ich bin selbst im Bauwesen aktiv hier, spreche also aus eigener Erfahrung. Der Staat ist es, der Neubauten verhindert, die Bürokratie. Nur ein Beispiel: Eine Baugenehmigung zu erhalten in Deutschland, das ist eine Qual. Das dauert Jahre. Nicht Monate, nicht ein halbes Jahr, nicht ein Jahr. Jahrelang! Um für ein unbebautes Grundstück eine Baugenehmigung zu erhalten! So etwas gibt es in keinem anderen Land der Erde! Nicht in China, nicht in den USA, nicht in Russland, nur in Deutschland.“

Koch kann nicht verstehen, warum Baugenehmigungen so schwer zu erhalten sind in einem Land, in dem alle klagen, dass Wohnungsnot herrscht: „Warum ist diese Bürokratie kaum ein Thema, weder in der Politik noch in den Medien? Da müssten doch alle darüber reden. Dampf machen!“

Zweifel an der neuen Heimat

Der Russlanddeutsche zweifelt zuweilen an der Logik in seiner neuen alten Heimat: „Wie kann man gleichzeitig 2,5 Millionen Flüchtlinge aufnehmen und den Bau neuen Wohnraums verhindern? Das kann doch nicht gut gehen. Und dann wundern sich alle und empören sich, dass die Mieten steigen. Wie bitte sollen sie nicht steigen, wenn immer mehr Menschen Wohnungen brauchen und gleichzeitig viel zu wenig neue Wohnungen gebaut werden? Wenn ich richtig informiert bin, herrscht in Deutschland immer noch Marktwirtschaft, wenn auch eine soziale, und der Preis wird durch die Nachfrage bestimmt.“

Investoren müssten in Deutschland enorme Geduld und Leidensbereitschaft mitbringen, so Koch: „Wenn ich dann endlich eine Baugenehmigung habe, kann ich die Wohnungen nicht verkaufen. Das erlebe ich gerade. Ich habe Käufer – aber das Grundbuchamt weigert sich monatelang, sie ins Grundbuch einzutragen. Einen einfachen Kauf, den ein Notar besiegelt hat. Für viel Geld. Und solange das Grundbuchamt sich weigert, den einzutragen, bekomme ich kein Geld vom Käufer. Das ist absurd. Man bekommt nicht einmal eine Antwort vom Grundbuchamt, warum sie nichts eintragen. Man wird aus dem Amt geschmissen oder kommt gar nicht rein. Sie haben unter der Woche freie Tage, an denen sie gar nicht arbeiten.“

Sein aktuelles Bauprojekt laufe seit sechs Jahren, klagt Koch: „In jedem normalen Land wären es zweieinhalb gewesen, ein halbes Jahr für die Genehmigungen und zwei fürs Bauen.“ Wer solle unter solchen Bedingungen investieren in Deutschland, fragt der promovierte Wirtschaftswissenschaftler: „Deutschland ist international nicht konkurrenzfähig.“

Koch erhebt schwere Vorwürfe gegen die Politik: „Nehmen Sie Berlin, ich kenne den Markt dort, da gibt es unzählige Bauanträge, aber die Behörden verzögern die sehr oft oder lehnen sie ab. Sehr viele neue Wohnungen könnten schon lange fertig sein, stattdessen wurde nicht mal angefangen mit dem Bau“, klagt er: „Und parallel empören sich die Menschen über hohe Mieten. Ihr Zorn richtet sich nicht auf die Behörden und die Politiker, die den Bau neuer Wohnungen verhindern, sondern auf die Besitzer der Wohnungen. Und die Bausenatorin, die verantwortlich ist für die Misere, das Nichterteilen von Baugenehmigungen, läuft dann bei einer Demonstration gegen hohe Mieten ganz vorne mit. Das kann man sich kaum ausdenken.“

Bürokratie treibt die Mieten

Koch hadert mit den Zuständen in Deutschland: „Es will mir nicht in den Kopf, warum die Menschen hier nicht verstehen, dass die hohen Mieten nicht die Schuld von habgierigen Eigentümern sind, sondern der Bürokratie, die Baugenehmigungen massenhaft verhindert und das Problem nicht durch Neubauten lösen will, sondern dadurch, dass sie die Mietpreise vorschreibt. Jedes Kind versteht doch, dass dadurch die Zahl der Wohnungen nicht steigt. Stattdessen stehen die Leute dann in Warteschlangen für Wohnungen. Dafür kann man dann noch mehr Beamte anheuern, die das alles regeln. So wächst die Bürokratie. Sie ist der Nutznießer der Regulierungen. Die Beamten werden noch mehr Gehalt bekommen und noch langsamer arbeiten.“

Der Putin-Gegner, der bekannt ist für seine massive Kritik an den Zuständen in Russland, klagt auch über massive Korruption in Deutschland. Während etwa im russischen Gesetz strikte Fristen vorgeschrieben seien, innerhalb derer Beamte Entscheidungen treffen müssten, und teilweise das Ausbleiben einer Antwort als positiver Bescheid zu werten sei, gäbe es in der Bundesrepublik keine solchen Vorschriften: „Der deutsche Beamte kann sich auch ein Jahr lang Zeit lassen, oder zwei oder drei, und er wird immer im Recht sein, man kann nicht klagen gegen ihn. Er kann immer sagen, dass er noch Zeit braucht!“ Immobiliengeschäfte würden in Russland binnen eines Tages registriert, so Koch, der die russischen Behörden sonst massiv kritisiert.

Die meisten seiner russischen Geschäftsfreunde würden inzwischen bei Investitionen Deutschland weiträumig umfahren, berichtet der bestens vernetzte Unternehmer – vor allem wegen „Korruption“ und „unglaublicher Bürokratie“ hierzulande. „Ich kann mir nichts Sinnfreieres vorstellen als deutsche Beamte“, schimpft Koch. „Viele Unternehmer meiden Deutschland, sie investieren lieber in Südkorea, Vietnam, in China. Wenn man vor der Wahl steht, wo man investieren will, dann würde man eigentlich lieber im alten Europa aktiv werden, gerade in Deutschland, aber wenn die Leute dann die Bürokratie hier erleben, winken sie schnell ab. Sie sagen: ,Hier in Deutschland dauert auch alles viel zu lange, man kann ein und dasselbe Projekt etwa in China um ein vielfaches schneller machen.‘“ Die Investitionsbedingungen in Deutschland seien die schlechtesten weltweit, pointiert Koch.

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