Tichys Einblick
Interview Prof. Frank Sommer

Corona: Warum Männer gefährdeter sind

Der Mediziner und Forscher Frank Sommer erklärt, warum die Corona-Pandemie das vermeintlich starke Geschlecht härter trifft. Und: wie sich Männer jetzt am besten schützen.

TE: Herr Professor Sommer, Sie gehören zu den wenigen Medizinern in Deutschland, die sich dezidiert mit Männergesundheit befassen. Am SARS-CoV-2-Virus sterben überall mehr Männer als Frauen. Das vermeintlich starke Geschlecht zeigt sich in der Pandemie schwach. Woran liegt das?

Professor Frank Sommer: An mehreren Faktoren. Fangen wir mit der Genetik an: Auf dem X-Chromosom sind die Informationen für antioxidative und antiinflammatorische, also entzündungshemmende Prozesse gespeichert. Das sind wesentliche Abwehrprozesse bei Infektionen. Frauen haben ein doppeltes X-Chromosom, Männer nur eins. Sie sind also genetisch benachteiligt bei der Abwehr eines Virus. Das ist Punkt eins. Die Antwort des Immunsystems auf einen Virus ist aber auch mit den Hormonen verbunden. Hier haben Östrogene einen schützenden Effekt. Sie stärken die Immunantwort des Körpers. Allerdings profitieren Frauen vor allem bis zur Menopause von diesem Schutz. Danach lässt er auch bei ihnen allmählich nach.

Männer haben also einfach die schlechteren Karten?

Nicht ganz. Männer mit einem guten Testosteronspiegel sind generell besser gegen Infektionen geschützt, denn Testosteron wird im Körper zu Östradiol verstoffwechselt. Das heißt umgekehrt: besonders bedroht sind diejenigen, bei denen der Testosteronspiegel tief liegt.

Also vor allem ältere Männer?

Ja, denn im Alter nimmt der Testosteronspiegel in aller Regel ab.

Gibt es noch andere Effekte, die Männer zu leichteren Virus-Opfern machen?

Wir wissen, dass Männer vor allem in der Altersgruppe von 40 bis 65 häufiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben als Frauen. Bei Covid-19 zählt das zu den typischen Vorerkrankungen, die den Betroffenen anfälliger macht. Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems steigern also die Letalität. Auch starke Vorschäden in der Lunge, die beispielsweise durch Nikotin verursacht werden können. Heute stellen wir zwar kaum noch Unterschiede zwischen Männern und Frauen fest, was die Intensität beim Rauchen angeht. Aber da vor allem die höheren Altersgruppen von Covid-19 stark betroffen sind, spielt hier auch das individuelle Verhalten der vergangenen Jahrzehnte eine Rolle.

In Italien, aber auch in Frankreich und Spanien sterben bis jetzt deutlich mehr Menschen am SARSCoV-2-Viurus als in Deutschland. Liegt das auch an körperlichen Unterschieden von Land zu Land?

Nein, da spielen andere Faktoren eine Rolle. Was die körperlichen Voraussetzungen angeht, also Genetik, hormonelle Ausstattung, Vorschädigung durch Krankheiten – die sind in allen Industrieländern gleich oder sehr ähnlich.

Was können Männer tun, um ihr Immunsystem zu verbessern?

Es läuft auf eine Trias hinaus: körperliche Fitness, vernünftige Ernährung, mentale Stärke. All das verbessert die Immunabwehr nachweislich.

Das passt ja gut: Gerade jetzt, wenn wegen der Pandemie viele in Kurzarbeit oder im Home Office sind, müssten sie doch mehr Zeit haben, um mehr Sport zu treiben?

Das klingt logisch, ist aber leider nicht so. Wir haben mit der DGMG gerade eine Telefonumfrage unter 1.026 Männern zu dem Thema Corona und Fitness gemacht. Diejenigen, die vorher einen Einzelsport wie Joggen oder Fahrradfahren betrieben haben, bleiben auch jetzt meist dabei. Aber das ist leider nur ein verschwindend geringer Prozentsatz. Ganz anders sieht es bei denen aus, die vorher im Sportverein aktiv waren – beim Fußball, Rudern oder ähnlichem – oder die ins Sportstudio gegangen sind. Mehr als 50 Prozent tun gar nichts, um die Aktivität, die durch Corona ausfällt, mit andere Sportarten zu kompensieren. Außerdem haben wir in der Umfrage festgestellt, dass die Zeit, die Leute vor dem Fernseher, dem Rechner oder Tablet verbringen, seit dem Shutdown im Schnitt um vier Stunden und 12 Minuten zugenommen hat. Es kommen also mehrere schädliche Dinge zusammen: weniger Bewegung, in vielen Fällen schlechtere Ernährung. Vermutlich auch mehr Alkohol.

Was bedeutet das für die Volksgesundheit?

Wahrscheinlich richtet die Corona-Pandemie dadurch einen erheblichen Kollateralschaden an. Wir werden eine Zunahme oder eine Verschlechterung von Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen und Metabolischem Syndrom sehen. Je länger die Corona-Pandemie und die damit verbundene Lebenseinschränkung dauert, desto schlimmer wird es.

Was sollten die Männer also tun? Fitnessstudios bleiben ja noch eine ganze Weile zu.

Das ist ein großes Problem. Übrigens auch die Tatsache, dass kaum noch Geräte für den Sport zuhause zu bekommen sind. Ein Patient hatte mir gerade frustriert erzählt, dass er vergeblich versucht hatte, einen Sandsack oder Zugbänder für Heimübungen zu bestellen.

Welche Alternative bleibt?

Sie können auch ohne Geräte Sport treiben. Etwa durch Bewegung draußen im Park, kombiniert mit Freiluftübungen. Wer den Schwierigkeitsgrad erhöhen will, kann beispielsweise seine Füße auf der Parkbank abstützen und einarmige Liegestütz machen. Auch die gute alte deutsche Kniebeuge kann man auf einem Bein machen. Ich empfehle zusätzlich noch eine Zugübung. Dafür kann man sich einen stabilen niedrigen Ast suchen und sich in schräger Stellung – die Füße auf dem Boden – nach oben ziehen.

Also: Ab in den Park?

Grundsätzlich ja, aber mit einer Einschränkung. Wer die letzten fünf Jahre gar nichts gemacht hat, sollte sehr moderat einsteigen. In normalen Zeiten würde ich jedem, der längere Zeit gar keinen Sport getrieben hat, empfehlen, erst einmal den Arzt zu konsultieren, damit der einen Blick auf Blutdruck, Herz und Bewegungsapparat wirft, und dann mit ihm besprechen, was möglich ist. Das wird jetzt schwierig, da manche Arztpraxen geschlossen sind, oder der Besuch wegen der Ansteckungsgefahr vermieden werden sollte. Jeder muss jetzt also ein bisschen improvisieren und auf seinen Körper hören. Also: wenn es bei den Übungen anfängt zu zwacken, sollte man lieber herunterschalten. Das ist gerade jetzt sehr wichtig. Wenn jemand den Körper durch Sport stark belastet, fällt in etwa in den ersten vier Stunden nach der sehr anstrengenden körperlichen Aktivität in ein so genanntes immunologisches Loch. Das heißt, er ist für Infektionen erst einmal anfälliger. Das gibt sich dann auch wieder. Aber bis sich das Immunsystem durch regelmäßige sportliche Betätigung verbessert, vergehen erst einmal in der Regel drei bis fünf Wochen.

Manche könnten sich in der freien Corona-Zeit also zu viel zumuten?

Ich hatte gerade einen Patienten, der mir erzählte, wie er jetzt zum ersten Mal fast einmal um die Alster gejoggt ist. Er war untrainiert und hatte hinterher fürchterlichen Muskelkater. In seinem Fall wäre es besser gewesen, erst einmal länger spazieren zu gehen, und beim nächsten Mal vielleicht zwei Minuten zu joggen, zwei Minuten zu gehen, und das für vier Intervalle. Auf der Internetseite der DGMG zeigen wir auch Übungen für zuhause, mit denen man moderat einsteigen kann.

Auch diejenigen, die sportlich sind, sollten sich jetzt übrigens nicht mit Spitzenleistungen auspowern.

Sport verbessert den Testosteronspiegel und damit die Immunabwehr. Es gibt aber auch die Möglichkeit der zusätzlichen Testosterongabe durch Pflaster oder Gel. Ist das ratsam, um jetzt in Corona-Zeiten seine Abwehrkräfte zu steigern?

Hormonsubstitution kann grundsätzlich ein Weg sein, um den Männern zu helfen, die durch einen Testosteronmangel so müde und abgeschlagen sind, dass ihnen die Energie fehlt, um überhaupt mit dem Sport anzufangen. Aber das geht nur mit umfangreicher Abklärung und unter ärztlicher Aufsicht. Erst einmal muss untersucht werden, welchen Grund die Abgeschlagenheit überhaupt hat, und der Testosteron-Ausgangswert muss festsehen. Hormonpräparate sind rezeptpflichtig. Ich rate dringend davon ab, sich jetzt irgendetwas im Internet zu bestellen, um sein Immunsystem zu verbessern. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass man damit seinem Körper nichts Gutes tut, sondern noch schadet. Außerdem ist es nicht so, dass eine Hormonsubstitution sofort eine Wirkung hätte. Bis sich ein Effekt einstellt, vergehen drei bis sechs Wochen.

Neben der körperlichen Fitness leidet in Corona-Zeiten bei vielen auch die mentale Stärke: viele machen sich Gedanken, wie es mit ihrem Job oder ihrem Unternehmen weitergeht. Dazu kommt noch die Einschränkung der sozialen Kontakte. Was können wir tun, um nicht in ein psychisches Loch zu fallen?

Das sind in der Tat existenzielle Fragen, die vielen jetzt durch den Kopf gehen. In dem Videoangebot der DGMG stellen wir neben den körperlichen Übungen jede Woche auch einen Ernährungstipp und eine mentale Übung vor.

Beschreiben Sie für unsere Leser mal eine.

Sie können sich beispielsweise früh nach dem Aufstehen wie Tarzan auf die Brust trommeln und sagen: ich bin stark, ich trotze dem Tag. Aber vielleicht machen Sie das besser, wenn niemand zusieht. Es hat auch nachweislich einen positiven mentalen Einfluss, ein paar Mal wie ein Sieger die Arme nach oben zu reißen.

Wer schon vor Corona psychische Probleme hatte, beispielsweise durch eine Depression, dem wird die Tarzan-Übung wenig helfen.

Das stimmt. Und die Vereinzelung im Home Office oder in der Kurzarbeit verstärkt natürlich noch psychische Probleme, vor allem bei denjenigen, die allein leben. Für die ist es wichtig, alle Möglichkeiten zu nutzen, die Internet und Telefon zur Kommunikation bieten. Das kann zwar den persönlichen Kontakt zu Freunden und Kollegen nicht ersetzen. Aber es ist immer noch besser als nichts. Auch die Online-Angebote beispielsweise der Deutschen Depressionshilfe sind sehr wertvoll. Wer merkt, dass sich seine depressiven Symptome verschlechtern, sollte unbedingt professionelle Hilfe suchen. Auch jetzt sind Notaufnahmen in psychiatrischen Kliniken weiter geöffnet.

Was können all diejenigen generell tun, die jetzt zuhause sitzen – im Home Office oder mit Kurzarbeit Null?

Home Office ist ja noch eine milde Variante: man hat weiter Termine, Besprechungen per Telefonkonferenz, also eine gewisse Struktur. Schwierig wird es, wenn jemand vorübergehend gar nicht mehr arbeitet. Dann ist es sehr wichtig, seinem Tag immer noch eine gewisse Gliederung zu geben. Also morgens weiter den Wecker zu stellen, Körperpflege weiter zu betreiben, und Dinge zu planen. Zum Beispiel: zwischen 11 und 12 rufe ich Freunde an. Es ist gut, körperliche Aktivitäten fest einzuplanen. Auch die Essenszeiten und die Zeit, zu der man ins Bett geht. Tagesstruktur ist sehr wichtig, um mental fit zu bleiben.

Können Sie als Männer-Mediziner der Pandemie denn auch etwas Positives abgewinnen?

Indirekt schon. Ich hatte ja schon erwähnt, dass nach unseren Daten bei den meisten Männern die sportliche Aktivität zurückgeht. Aber bei vielen, die sich generell mit Sport etwas schwer tun, war früher die Begründung immer: das schaffe ich zeitlich nicht. Diese Ausrede fällt jetzt weg. Also: gerade jetzt gibt es gute Gründe, sein Immunsystem zu stärken. Und auch noch die Zeit, endlich damit anzufangen.


Frank Sommer, Jahrgang 1967, ist Urologe und seit 2007 Inhaber der ersten deutschen Professur für Männergesundheit. Er forscht am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und ist Autor mehrerer Bücher zum Thema Gesundheit und Sexualität. Seit 2005 leitet er die Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit (DGMG).


Hinweis für Menschen, die an Depression leiden: Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können.

Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.