Tichys Einblick
Übergriffiger Staat gegen junge Menschen

Ich habe freiwillig Wehrdienst geleistet – eure „Dienstpflicht“ könnt ihr euch schenken

Überwiegend welche der Boomer-Generation fordern jetzt vehement eine Dienstpflicht für junge Leute. Nachdem ihre Politiker uns zwei Jahre lang mit unwirksamen Corona-Maßnahmen malträtiert haben, passt das in die Reihe. Wir Jungen haben uns eure Schwachsinns-Politik, die jetzt versagt, nicht ausgedacht. Von Adrian Hurtado

Das Sommerloch kommt: Das merken Sie daran, dass alte Debatten wieder aufgewärmt werden. Plötzlich werden Rufe nach der Dienstpflicht laut – angestoßen vom Bundespräsidenten, der es wohl geboten sah, aus seinem Sofa in Bellevue mal einen „gesellschaftlichen Impuls“ zu setzen. Doch damit scheint er irgendwo einen Nerv getroffen zu haben. Das ist zumindest mein Eindruck der letzten Tage, wenn mir in verschiedenen sozialen Medien mehr oder weniger seriöse Umfragen entgegengespült wurden. Wehr- und Zivildienst: 11 Jahre nach dem Aussetzen der Wehrpflicht scheint die Mehrheit der Deutschen diesen alten Knochen zurück zu wollen, wenn auch unter einem anderen Label. Denn auch damals war es keine reine Pflicht zum Dienst an der Waffe; wer den Antrag zur Kriegsdienstverweigerung rechtzeitig stellte, konnte alternativ in anderen Bereichen seine Pflicht ableisten.

Gefordert wird die Dienstpflicht natürlich so gut wie nur von den Menschen, die sie nicht (mehr) betrifft – „Ich habe meinen Dienst geleistet und es hat mir gut getan“, tönen die zumeist alten Herren und begründen damit den Vorschlag. Und ja, der Dienst in der Bundeswehr oder an anderer Stelle kann einen menschlich, persönlich voranbringen im Leben: Man kann und wird wahrscheinlich an der Aufgabe wachsen. So erging es mir, der nach dem Abitur zur Bundeswehr ging – zunächst als freiwillig Wehrdienstleistender, dann als Soldat auf Zeit. Ja, auch ich wünsche mir eine größere Bundeswehr und natürlich auch ausreichend besetzte Pflegeeinrichtungen – was spricht also gegen die Dienstpflicht? Für mich vieles.

Noch mehr Zwang, ernsthaft? 

Zuerst das grundsätzlichste Argument: Ein „Pflichtjahr“ ist Zwangsarbeit. Es führt kein Weg an diesem harten Wort vorbei, wie sehr man es auch beschönigen mag. Ein Jahr seines Lebens an den deutschen Staat „abgeben“ zu müssen, ist staatlich verordnete Zwangsarbeit – völlig egal übrigens, ob man dabei „was fürs Leben lernt“, davon profitiert oder Spaß hat. Das gerade in einer Zeit zu fordern, in der der Staat ohnehin schon immer übergriffiger wird und Grundrechte immer weiter aushöhlt, ist schon ironisch.

Dann wird behauptet, dass die Bundeswehr von mehr Rekruten profitieren würde. Da sie ja Teil des Pflichtjahres wäre, dürfte man sich über eine große Anzahl an neuen Soldaten freuen … oder eher fürchten. Denn wohin sollen die ganzen neuen Wehrpflichtigen eigentlich gesteckt werden? Es müssten zigtausende neue Stellen für die ganzen Vorgesetzten geschaffen werden, im Grunde müssten neue Verbände von jetzt auf gleich aus dem Boden gestampft werden. Und wir kennen unser Bürokratiemonster Bundesrepublik Deutschland – dieser Prozess braucht dann viele Jahre.

Auch sind 12 Monate für die Bundeswehr einfach viel zu kurz. Gerade in der Kampftruppe spezialisieren sich Waffensysteme und Tätigkeiten immer weiter. Der Beruf des Soldaten ist heute komplizierter denn je – ein Jahr reicht gar nicht mehr aus, um Rekruten wirklich verwendungsfähig zu machen. Meine Grundausbildung und Dienstpostenausbildung als Panzergrenadier beispielsweise haben gut 8 Monate in Anspruch genommen. Danach war ich aber noch lange nicht voll ausgebildet und in der Lage, tatsächlich sinnvoll in den Einsatz zu gehen, denn auch in der Stammeinheit lernte und lerne ich noch vieles dazu, um auf Übungen oder im Einsatz zu bestehen. Die Zeiten des Massenheeres sind vorbei. Die Vorteile, die insbesondere die Reserve von neuen Wehrdienstleistenden haben könnte, sind zwar grob vorstellbar, aber nicht absehbar. Die Wehrfähigkeit könnte zwar gestärkt werden – aber längst nicht so, wie sich das mancher vorstellen mag.

Wie wäre es mit besseren Gehältern in der Pflege? 

Aber was ist mit der Pflege? Wir alle wissen doch um den Pflegenotstand: Es klingt doch nach einer guten und simplen Idee, einfach die Schulabgänger auf die vielen unbesetzten Stellen zu bringen, um die Lücke auszugleichen, oder? Ja – wenn man will, dass der eigene Opa, Vater oder Onkel nicht von einer Fachkraft umsorgt wird, sondern von einem unausgebildeten und wahrscheinlich auch lustlosen 18-Jährigen. Und natürlich ganz besonders, wenn man will, dass es weiterhin keinen Grund für Pflegeeinrichtungen gibt, Löhne und Arbeitsbedingungen zu verbessern; schließlich kommt ja jedes Jahr ein neuer Schwung quasi kostenloser Arbeiter.

Ich bezweifle sehr, dass sich an den lächerlichen Gehältern, die aktuell im Freiwilligen Sozialen Jahr oder Bundesfreiwilligendienst gezahlt werden, bei einer Pflicht großartig etwas ändern würde – und eine bessere Versorgungslage lässt sich mit unausgebildeten Pflegekräften wohl auch nur dürftig erreichen. Ich respektiere jeden, der freiwillig im zivilen Bereich einen Dienst für die Gemeinschaft leistet – dass die Gemeinschaft von einem Zwangsdienst aber so profitieren würde, bezweifle ich.

Soldaten und Pfleger? Da gibt es noch einen wichtigen, aktuellen Punkt, den kaum ein Dienstpflicht-Fan bedenkt: Noch herrscht in Deutschland eine einrichtungsbezogene Impfpflicht sowie die Duldungspflicht der Bundeswehr für zwei Corona-Impfungen. Wenn diese Dienstpflicht eingeführt wird, bedeutet das faktisch eine Impfpflicht für alle jungen Menschen: Es kommt mir zynisch vor, wenn gerade diejenigen, die zwei Jahre lang zurecht gegen die Impfpflicht gekämpft haben, jetzt völlig außer Acht lassen, dass diese mit einer Dienstpflicht zwangsweise mitschwingt.

Aber an einen denken die meisten Dienstpflicht-Befürworter wohl ohnehin nicht – die jungen Menschen. Viel zu oft schwingt in der Debatte ein Ton mit, dass die „verwöhnte junge Generation“ gar nicht mehr wisse, was es heiße, etwas für die Allgemeinheit zu opfern, zu sehr Ich-bezogen sei und mal überhaupt richtig arbeiten lernen müsse. Für viele von uns klingt das mehr als nur zynisch: Dass junge Leute nicht solidarisch oder opferbereit für die Gemeinschaft wären, kann man nach zwei Jahren weitgehend sinnloser Corona-Maßnahmen – für uns junge Menschen noch sinnloser als ohnehin schon –  nicht mehr behaupten.

Immerhin war von Anfang an klar, dass „die Jungen“ sich für „die Alten“ zurücknehmen – jetzt, kaum aus dem Maßnahmen-Dschungel raus, dreht sich die alte Generation auf dem Absatz um und zeigt mit dem Finger auf die Jungen, die zwei Jahre „solidarisch waren“ (oder besser: zu einer Pseudosolidarität gezwungen wurden), sich zurücknahmen, auch auf die vielleicht schönsten Erinnerungen ihres Lebens verzichteten. Wir zahlen schon genug Zeche.


Adrian Hurtado (*2001) leistete nach dem Abitur in Berlin freiwilligen Wehrdienst und ist seitdem Berufssoldat bei den Panzergrenadieren. Er engagiert sich beim Jugendmagazin Apollo News vor allem im Bereich Video.

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