Tichys Einblick
Verklärung der Hamas-Morde an Universitäten

Herzen der Finsternis

Die Massaker der Hamas und die Reaktionen darauf zeigen wie ein Kontrastmittel den Zustand des Westens. Nicht die Feier der Morde auf der Straße sind das Entscheidende – sondern ihre Verklärung durch eine selbstberauschte Intelligenzia. Die Zerstörung des Okzidents geht von seinen Universitäten und Schreibstuben aus. Dort herrscht eine tiefe Sehnsucht, endlich die Last der Rationalität abzuwerfen.

Harvard-Studenten fordern mit Transparenten zur Solidarität mit Gaza auf

Screenprint via YouTube / WCVB

Von den Schriften Julien Bendas, der einmal zu den wichtigsten französischen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts gehörte, ragt nur ein Werk heraus, das auch heute noch Aktualität besitzt, ein sehr großes sogar, und dessen Titel sich als Zitat in unzähligen anderen Texten findet: „La Trahison des Clercs“ von 1927, ein Großessay, der auf deutsch erst 1978 unter dem Titel „Der Verrat der Intellektuellen“ erschien. Benda stammte aus einer liberalen jüdischen Familie; die Dreyfus-Affäre und die von ihr verursachte Spaltung der Republik in zwei erbittert kämpfende Lager beeinflusste den bis dahin weitgehend unpolitischen Pariser tief, der sich ganz entschieden auf die Seite der Dreyfusards stellte.

Diese generationenprägende Auseinandersetzung wirkte auch in „La Trahison des Clercs“ nach, seiner Abrechnung mit den Intellektuellen, die seiner Ansicht keinerlei Ähnlichkeit mit den traditionellen Gelehrten mehr besaßen und ihnen auch gar nicht ähneln wollen. In diesem Buch griff er vor allem die weit rechts stehenden Intellektuellen der „Action française“ an, die damals Dreyfus und die Juden in Frankreich überhaupt bekämpften. Später attackierte Benda auch Linke wie Georges Sorel und Jean-Paul Sartre.

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Ihm ging es um einen Typus, der tatsächlich erst am Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Bühne betritt und das zwanzigste ganz wesentlich mitbestimmte: Der Intellektuelle als Schöpfer politischer Glaubenssysteme, als Lieferant von Schlagworten, als Figur, die nicht beobachtet, sondern selbst in die politische Schlacht zieht. Und nicht nur das; dort, in der Schlacht opfert der moderne Intellektuelle auch jede Konsistenz. Er verkündet heute das Gegenteil seiner Ansichten von gestern, er verteidigt auch gleichzeitig Behauptungen, die einander widersprechen, hantiert mit Unterstellungen, von denen er weiß, dass sie falsch sind, er verachtet die Idee universeller Regeln, kurzum, er stellt alles, was er sagt und tut, in den Dienst der Feindbekämpfung. Denn ohne Gegner oder vielmehr Feind existiert der moderne clerc nicht, den Benda meint. „Es ist tatsächlich wahr”, heißt es bei ihm, „dass diese neuen ‚clercs‘ erklären, sie wüssten nicht, was Gerechtigkeit, Wahrheit und andere ‚metaphysischen Nebel‘ bedeuten, und dass für sie das Wahre durch die Nützlichkeit bestimmt wird, und das Gerechte durch die Umstände“.

Die Übersetzung „Intellektuelle“ trifft nicht ganz die Breite seines Begriffs. ‚Clerc‘ in seiner traditionellen Bedeutung meint Geistlicher, auch Beamter, ganz allgemein also einen Produzenten von Ideen und Schriften. In dem Wort steckt das aus dem hellenistischen Griechisch stammende kleros, Anteil am Heiligen. Möglicherweise dachte Benda, der Mathematik und Geschichte studierte, auch an die fundamentalere Bedeutung von kleros im attischen Griechisch, wo es für Erbe, das zugeloste Land steht, auf dem sich auch die Ahnengräber befinden. Verwalter eines Erbes, einer Tradition – das entspricht ziemlich genau Bendas Figur des Gelehrten, die er dem modernen clerc entgegenstellt.

Bevor sich dieser Text näher mit den Studenten in Harvard befasst, die nach dem Massaker der Hamas ein Transparent aufhängten, das zur Solidarität mit Gaza auffordert, ohne ein einziges Wort über die getöteten Juden zu verlieren, mit dem Cornell-Professor, der erklärte, die Nachricht von der Ermordung hunderter Juden habe ihn „berauscht“ (exhilarated) und „energetisiert“, mit der Yale-Professorin, die erklärte, Siedler – wobei ihrer Ansicht offenbar nach alle Israelis in diese Kategorie fallen – seien keine Zivilisten und damit legitime Ziele, mit der Assistenzprofessorin der London School of Economics, die das Abschlachten dieser Nichtzivilisten als antikolonialen Kampf rühmte, und mit den vielen anderen Akademikern, Black-Lives-Matter- und Klimabewegungskadern, die sich bei ihren Beifallskundgebungen keinen Zwang antaten, bevor hier also der akute Geisteszustand von clercs vermessen werden soll, geht es noch schnell zurück zu einem Zitat, das schon 17 Jahre zurückliegt.

Im Jahr 2006, als gerade der Krieg zwischen der Hisbollah und Israel tobte, trat Judith Butler bei einer Diskussionsveranstaltung in der Universität Berkeley auf. Sie beantwortete Fragen von Studenten, unter anderem auch die nach ihrer Sicht auf die Hamas und eben jene Hisbollah. Butlers Antwort lautete innerhalb einer längeren Ausführung: „Gleichermaßen denke ich: ja, die Hamas, die Hisbollah als soziale Bewegungen zu verstehen, die progressiv sind, dass sie zur Linken gehören, zur globalen Linken, ist extrem wichtig.“ („Similarly, I think: Yes, understanding Hamas, Hezbollah as social movements that are progressive, that are on the Left, that are part of a global Left, is extremely important.“)

In Bendas Zeiten gab es für Organisationen dieser Art auf der Linken den ziemlich treffenden Begriff ‚klerikalfaschistisch‘. Den Kern sowohl von Hamas wie Hisbollah bildet eine religiös begründete Überlegenheitsideologie, verbunden mit einem Todeskult, der sich sowohl auf die eigenen Mitglieder als auch auf ihre Feinde erstreckt. Für seine Kader versteht es sich von selbst, das eigene Leben und das von unbegrenzt vielen arabischen Zivilisten zu opfern, um den Feind zu vernichten, die Juden. Und zwar nicht nur die Juden Israels, sondern weltweit. Wenn eine Verwandtschaft zu einer anderen historischen Gruppierung besteht, dann am ehesten zu der Waffen-SS. Dass sie selbst hier ihre Vorbilder sehen, machen die Mitglieder der Hisbollah bei ihren Aufmärschen durch den ausgestreckten rechten Grußarm für jeden deutlich, der sich dafür interessiert.

Selbstredend hielt sich Judith Butler stets vom Wirkungsgebiet der beiden von ihr als progressiven Kräfte gelobten Truppen fern. Wenn es um die eigene Existenz geht, nimmt der Abstraktionswille bei ihr und anderen westlichen Intellektuellen sehr plötzlich wieder ab. Wie diese aus Berkeley-Sicht Progressiven mit ihr, einer lesbischen Amerikanerin aus jüdischer Familie, umgehen würden, konnte und kann sie vermutlich auch ohne lange Argumentationsschleifen realistisch einschätzen. Es verhält sich bei ihr ähnlich wie mit dem Redaktionskollektiv der Zeitschrift „Social Text“, die 1996 den Scherzartikel des Physikers Alan Sokal druckten, der aus der Behauptung bestand, bei der Schwerkraft handle es sich um ein soziales Konstrukt. Sokals These passte zwar in das Glaubenssystem der Redakteure, in dem keinerlei Objektivität existiert. Aber so weit, eine Probe auf das Exempel zu machen und einfach über die Dachkante des Redaktionsgebäudes zu schreiten, wollten die Mitarbeiter von „Social Text“ dann wortwörtlich doch nicht gehen. Exakt das entspricht der Figur des modernen clercs, dessen Aufstieg Benda vorhersagte: Er benutzt seine Intellektualität dafür, Doktrine zu entwickeln, über deren innere Falschheit und intellektuelle Würdelosigkeit er selbst bestens Bescheid weiß. Vorzugsweise aus seiner Daueranstrengung, dieses Wissen sofort wieder zu verdrängen, gewinnt er das Baumaterial für seine turmhohen Thesengebäude.

Zwar gab es schon vor Butler Linke, die in den Terrorkommandos der PFLP Verbündete für die Weltrevolution und in Moshe Dajan den „Himmler unserer Zeit“ entdeckten wie die RAF-Ideologin Ulrike Meinhof. Allerdings schaffte die RAF noch nicht einmal in Deutschland, einen nennenswerten Teil der Universitäten geistig zu besetzen, Judith Butler dagegen legte mit ihrem 1990 veröffentlichten Buch „Gender Trouble“ den Grundstein für die Genderlehre, die sich seitdem als eine Art innerweltliche Theologie in allen Hochschulen des Westens ausbreitet, wo sie mittlerweile sogar die Naturwissenschaften kontaminiert. Keine einzelne Person machte sich so sehr um die Entrationalisierung des Wissenschaftsbetriebs verdient wie die Frau, die in tausenden Artikeln als Philosophin firmiert, obwohl zwischen Butler und Philosophie ungefähr die gleiche Verbindung besteht wie zwischen Trofim Lyssenko und der Biologie. Immerhin muss man ihr zugestehen, dass sie innerhalb der neuen, also an sozialen Ungleichheiten desinteressierten Linken zu den wenigen zählt, die überhaupt etwas Eigenes hervorbrachten.

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Das unterscheidet sie beispielsweise von dem von der Intelligenzia angeschwärmten Star der Kritischen Rassentheorie Ibram X. Kendi, dessen Werk sich darauf beschränkt, Frantz Fanon für ein Publikum abzuschreiben, dem die originäre Fanon-Lektüre intellektuell zu schwer fällt. Kendis bis jetzt und vermutlich für alle Zeiten wichtigste Leistung besteht darin, die Spenden des früheren Twitter-Chefs Jack Dorsey und weitere Millionen in einem speziell für ihn gegründeten Kendi-Rassismusforschungsinstitut nahezu spurlos verschwinden zu lassen.

Aber zurück zu der Clerc-Generation vor Kendi, also zu Judith Butler. Kurz nach dem Massaker der Hamas an Kibbuzbewohnern und an hunderten Besuchern eines Musikfestivals meldete sie sich im London Review of Books mit einem längeren Beitrag, in dem sie auf eine Erklärung des „Harvard Palestine Solidarity Committee“ antwortet, wo es heißt, „ausschließlich das Apartheid-Regime“ – gemeint ist Israel – sei für das Blutbad verantwortlich. Das, meint Butler, sei ein argumentativer Fehler. Sie verurteilt außerdem die Morde der Hamas als „schreckliches und abstoßendes Massaker“ („In fact, I do condemn without qualification the violence committed by Hamas. This was a terrifying and revolting massacre“), um danach sofort wieder zu der israelischen „Okkupation“ und dem übergreifenden Projekt überzugehen, den „Siedlerkolonialismus“ zu beenden: „Trotzdem, wenn es uns verboten wird, uns auf ‚die Besatzung‘ zu beziehen (was Teil des gegenwärtigen deutschen Denkverbots ist), wenn wir noch nicht einmal eine Debatte darüber führen können, ob die militärische Herrschaft Israels über die Region rassistische Apartheid oder Kolonialismus darstellt“, heißt es dort, „dann haben wir keine Hoffnung, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft zu verstehen.“ („If, however, we are forbidden to refer to ‘the occupation’ (which is part of contemporary German Denkverbot), if we cannot even stage the debate over whether Israeli military rule of the region is racial apartheid or colonialism, then we have no hope of understanding the past, the present or the future.“)

Mit jeder Zeile verbiegt und verdreht sie in diesem Text die Wirklichkeit auf lächerlichste Weise. Natürlich verbietet weit und breit niemand, in diesem Themenkomplex von ‚Besatzung‘ zu reden, schon gar nicht an angelsächsischen und westeuropäischen Universitäten (wobei jeder weiß, dass im Gazastreifen seit 2005 keine Besatzung mehr herrscht, genauso, wie jeder weiß, dass in diesen Kreisen ‚Besatzung‘ als Chiffre für die pure Existenz Israels steht, egal in welchen Grenzen). Und selbstverständlich streitet unter den Erwachten an den Universitäten so gut wie niemand darüber, ob es sich bei Israels Selbstbehauptung nun um Apartheid oder Kolonialismus handelt. Die Antwort lautet von Berkeleys Kritischen Rassentheoretikern bis zu den Postcolonial-Scholastikern an der Humboldt-Universität längst: natürlich beides.

Aber immerhin schimmert bei Butler 2023 noch ein leichtes Grauen vor dem Massenmord an Zivilisten in Israel durch, auch ein gelindes Erschrecken darüber, dass ihre Erben in Harvard und anderswo offenbar noch nicht einmal diesen kurzen Reflex verspüren. Der 67-jährigen Butler geht es so wie vielen anderen Wegbereitern der Irrationalität in der Geschichte: Sie stellt fest, dass ihre Nachfolger sie in der Radikalität weit überbieten, und damit auch in gewisser Weise aus dem Geschäft drängen.

Um diese Radikalisierung zu erfassen, die jetzt auch eine Judith Butler überrollt, genügt ein zwangsläufig unvollständiger Blick auf die Höhepunkte in amerikanischen, britischen und auch deutschen Hochschulen und Medien während der letzten beiden Wochen.

Bei einer Kundgebung in Ithaca, New York am 15. Oktober bekannte – wie oben schon kurz erwähnt – Russell Rickford, Professor für Geschichte an der Cornell University, ihn habe die Nachricht von den Massakern des 7. Oktober „berauscht“ und „energetisiert“.

In seiner Rede fehlte erwartungsgemäß nicht der Satz, er persönlich verabscheue Gewalt. Später erklärte Rickford schriftlich, er habe nicht die richtigen Worte gefunden, seine Begriffswahl entspreche „nicht meinen Werten“. Im Gegenzug behielt er seinen Posten, während andere Hochschullehrer in der Vergangenheit schon wegen kleinster Vergehen und trotz öffentlicher Abbitte ihre Stelle verloren.

In Stanford forderte eine Lehrkraft jüdische Studenten auf, ihre Sachen zu packen, sich in eine Ecke zu stellen, und beschimpfte sie als „Kolonialisten“, die schlimmer als die Nazis seien. Die Universitätsleitung teilte mit, der nicht öffentlich genannte Mitarbeiter sei gegenwärtig „vom Lehren freigestellt“, der Fall werde untersucht. Aber offenbar behielt er bis jetzt seine Stelle.

Ameil J. Joseph, außerordentlicher Professor für Sozialarbeit an der kanadischen McMaster University, twitterte als Reaktion auf die Morde und Entführungen: „Postkolonial und Dekolonial sind nicht nur Worte, die ihr in eurem EDI-Workshop gehört habt.“

Fast das gleiche schrieb Mahvish Ahmad, Assistenzprofessorin für Menschenrechte und Politik an der London School of Economics, ebenfalls auf X: „Dekolonialisierung ist keine Metapher“. Beide folgen einer inhärenten Logik, wenn sie daran erinnern, dass derjenige, der das A von den israelischen Siedlerkolonialisten sagt, sich auch zum B der ermordeten Kleinkinder und niedergemähten Konzertbesucher bekennen muss.

An der New York University rissen Studentinnen Plakate ab, die Gesichter der von Hamas-Terroristen entführten Geiseln zeigen. Die eifrigen jungen Frauen taten das nicht heimlich. Und sie fanden offenkundig nichts dabei, sich bei ihrer Tätigkeit filmen zu lassen.

Das, was sich an den Universitäten abspielt – und wie gesagt, dieser Text dokumentiert allein schon aus Platzgründen nur eine Auswahl der Auswahl – unterscheidet sich grundlegend von der Hamas- und Hisbollah-Apologetik früherer Zeiten. Hier findet nicht nur eine Entschuldigung, sondern ausdrücklich eine Feier der Morde statt. Das „berauschend“ von Rickford trifft die Stimmungslage dieser clercs vermutlich am ehrlichsten. Es handelt sich um einen Rausch, um die Selbstbesoffenheit eines jahrelang von Medien und Politik mit Rechtfertigung, Lob und Reichweitenverstärkung versehenen Milieus. Dass der Cornell-Professor später meinte, seine Worte seien nicht ganz so gemeint gewesen, schmiegt sich übrigens perfekt an die jüngste Erklärung der Hamas-Führung, die jetzt, nachdem tagelang ihr eigenes Videomaterial kursierte, das zeigt, wie ihre Truppen einen Kibbuz überfallen, Geiseln durch die Straßen zerren und eine fast nackte Frauenleiche im Triumph durch die Straßen von Gaza Stadt karren, behauptet, die Massaker habe es nie gegeben, sondern höchstens ein paar zivile Kollateralschäden.

Zum Gesamtbild in den USA gehören außerdem organisatorische Ausläufer dieses akademischen Betriebs, zu sehen etwa in einem Posting des Black Livers Matter-Chapter Chicago, das die per Gleitschirm nach Israel eingedrungenen Hamas-Mitglieder ikonisiert, die das Blutbad unter den Musikfestivalbesuchern anrichteten.

Die großen Medien und Sender in den USA, die kürzlich auch die von der Hamas gestreute Falschnachricht über die angebliche Bombardierung eines christlichen Krankenhauses in Gaza Stadt durch Israel ohne Prüfung nachgeplappert hatten, diese Medien also berichten durchaus über die meisten der akademischen Mordfeiern an den großen und kleineren Universitäten. Sie schlagen dabei einen ähnlichen Ton wie Judith Butler an, leicht konsterniert, mitunter sogar befremdet. Aber sie lassen nie einen Zweifel daran, dass es sich hier um ein Milieu handelt, zu dem sie selbst gehören.

Hier schlagen vielleicht einige über die Stränge, so ungefähr lautet der Subtext, aber sie tun es in grundsätzlich guter Absicht. Bei Washington Post, New York Times und vielen anderen fehlt in den Berichten über berauschte Professoren und Hamas-Jubler unter den Studenten der polemische Überhang, der ansonsten jeden Text über Jordan P. Peterson, Bari Weiss, die Republikaner und erst recht über den allgemeinen Gottseibeiuns Donald Trump zuverlässig auszeichnet.

In EU-Europa forderte eine Podemos-Politikerin, die demnächst zur linken Regierungskoalition Spaniens gehört, Israel und Benjamin Netanjahu wegen „Völkermords“ vor ein internationales Gericht zu bringen, während sie über die Morde der Hamas noch nicht einmal eine beiläufige Bemerkung verliert.

Danièle Obono, Abgeordnete der französischen Nationalversammlung für die linksradikale La France Insoumise, bezeichnete die Hamas in einem Radiointerview ausdrücklich als „Widerstandsorganisation“, womit sie fast wortwörtlich die Eingemeindung der Hamas in die linke Welt wiederholt, wie Butler sie damals vorgenommen hatte.

Mit länderübergreifender Wirkung ließ sich Greta Thunberg mit Gaza-Solidaritätslosungsschildern ablichten, auch hier ohne jeden wenigstens formalen Verweis auf die am 7. Oktober ermordeten Juden.

An der Hochschule für Bildende Künste Hamburg versahen die beiden Gastprofessoren Reza Afisina und Iswanto Hartono auf X ein Video mit einem Like, das zeigt, wie lachende und süßigkeitenverteilende Muslime auf der Sonnenallee das Massaker vom 7. Oktober feiern. Bei dem Duo – das zur Erinnerung – handelt es sich um linksradikale Straßenagitatoren aus Indonesien, die übergeschnappte Westler zu Künstlern erklärten und mit dem Documenta-Kuratorenjob betrauten, wo sie unter anderem ein an Stürmer-Karikaturen erinnerndes Propagandawandbild mit schweinemasken- und reißzahnbestückten Juden zeigten. Anschließend schanzte ihnen das deutsche Subventionsbetriebsnudeltum noch je eine Professorenstelle zu. Dass sie zum Hamas-Massaker den virtuellen Daumen reckten, überraschte den Rektor der Hamburger Kunsthochschule Martin Köttering nach dessen Bekundungen zutiefst. So etwas, gab er bekannt, hätte er nie und nimmer erwartet.

In Berlin klatschten sich Studenten zu dem Sprechgesang „free Palestine from german guilt“ in Trance und wiederholten damit exakt die Forderung von Dieter Kunzelmann 1969, die Deutschen müssten endlich ihren „Judenknax“ überwinden. Kunzelmann, der sich seinerzeit in Amman im Bombenbasteln ausbilden ließ, während er seine Tochter in Berlin der Obhut eines pädosexuellen Mitgenossen überließ, der am 9. November 1969 zur Therapie des von ihm diagnostizierten Judenknaxes eine Bombe im jüdischen Gemeindehaus Westberlins platzierte, die zum Glück nicht explodierte, und der später mit grüner Unterstützung ein Mandat im Berliner Abgeordnetenhaus ergattern konnte, dieser Dieter Kunzelmann erreichte zeitlebens genauso wie die RAF nicht die von ihm gewünschte Massenwirksamkeit. Jetzt kommt seine Hauptbotschaft zumindest im Kreis der neuen deutschen Erwachten in ihrer ganzen Breite an. Seine Erben finden, dass vor allem der deutsche Schuldkomplex einer gerechten Endlösung der Israelfrage im Weg steht und sie wünschen, das dringend zu ändern (wobei sie ähnlich wie Rickford vermutlich kein echtes Blut sehen können). Aber warum sollte der innerste Leitsatz dieses Milieus, nämlich „die Arbeit tun die anderen“ (Schelsky) ausgerechnet hier nicht gelten?

Niemand kann angesichts dieser Kundgebungen in den Zentren des Westens ernsthaft überrascht tun. Jedenfalls dann, wenn er nicht seit Jahren mutwillig alle seine Wahrnehmungskanäle verrammelt und jede Konsistenz für eine Handvoll Doktrine opfert. Allerdings definiert sich exakt so ein moderner clerc. Köttering und andere westliche Hochschulrektoren, die jetzt angesichts der Hassbekundungen in ihrem Beritt leicht zusammenzucken, Journalisten, die sich jetzt fragen, ob die Ausrufung der „Regenbogengesellschaft“ als Ergebnis der Massenmigration (so der Spiegel-Journalist Cordt Schnibben 2015) nicht doch ein bisschen voreilig war, Politiker, die Organisationen wie Black Lives Matter mit Lob überschütteten, wirken wie der legendäre Captain Renault in „Casablanca“, der erklärt, er sei schockiert, dass es sich bei seinem Lieblingscasino, wie er jetzt feststellen muss, um eine schlimme Spielhölle handelt (wobei er sich noch schnell seine Jetons in die Tasche stopft).

Eine Machtdemonstration auf dem Alexanderplatz, divers wie das Politbüro der Hamas, Jagdszenen wie hier in London auf einen einzelnen Israel-Unterstützer gehören zu den düsteren, aber sekundären Phänomenen dieser Gegenwart.

Im Zentrum der westlichen Selbstzerstörung stehen die Universitäten, die Schreibstuben, die Orte der Ideenproduktion, die ureigenen Zonen der clercs. In der 1088 gegründeten Universität von Bologna und anderen frühen Orten der Gelehrsamkeit entstanden einmal die Gedanken, die Europa ausmachten. Sie brauchten Jahrhunderte, um sich zu entfalten. Ihre Abwrackung verläuft sehr viel schneller, vor allem deshalb, weil es eben nicht nur ein theorieproduzierendes Herz der Finsternis gibt, sondern hunderte im gleichen Takt. In den schon weitgehend durchhomogenisierten westlichen Hochschulen und Medienredaktionen bekennen sich die Verantwortlichen stolz dazu, schon viele vertrieben zu haben, die sich dieser Einheitlichkeit nicht unterwerfen, und auch die kleinen störenden Reste demnächst noch wegzuputzen, selbstverständlich im Namen von Diversität und Inklusion. Ähnlich wie schwarze Löcher strahlen diese neuartigen Clerc-Festungen nicht nur kein Licht aus. Sie verdunkeln auch ihre Umgebung. Das düstere Zeitalter, das bevorsteht, nimmt hier seinen Ausgang.

In der neuen Universallehre, die Hochschulen, Redaktionen und politische Mitspieler fest verbindet, bildet der alte weiße Westen eine einzige Zone der Schuld, während der herbeihalluzinierte ‚globale Süden‘ gleichzeitig die Rolle des Opfers, des moralisch Überlegenen und des Zerstörers übernimmt, der den Westen gewissermaßen von sich selbst befreien soll. Der Kampf gegen Israel fügt sich als ein Stein von vielen in dieses Überzeugungsgebäude, wobei sicherlich ein großer Reiz darin besteht, an diesem Außenposten anzusetzen, der winzigen Insel des Erfolgs inmitten von Tribalismus, Irrationalismus und Dysfunktionalität.

Vermutlich besitzt kein einziger, der in den Finsterniszentren wirkt und webt, ein Sensorium dafür, was unter dem Berauschtsein im Angesicht von bestialischen Morden, unter den Gaza-Sprechchören und dem Dekolonisierungstheorieschrott liegt: die tiefe Sehnsucht einer Intelligenzia, endlich, endlich die Last der westlichen Rationalität abzuwerfen. Denn Mühe kostete die gedankliche Weltaneignung, wie sie nur im Westen und nirgendwo sonst entstand, schon immer. Zu ihrem Konstruktionsprinzip gehörte auch von jeher der Zweifel und damit auch der Selbstzweifel, das ewige Ungenügen, das Defizit, das Unbeantwortete. Orthodoxe Glaubensgebäude üben deshalb eine so unwiderstehliche Anziehungskraft auf bestimmte Menschen aus, weil darin keine Zweifel vorkommen, keine offenen Fragen, kein ewig quälender Rest.

Bei jedem Zerstörungswerk gibt es Profiteure. Die neue Orthodoxie, die sich von den Schulen und in den Zeitungen mit den historisch großen Namen ausbreitet, belohnt die Talentlosen, aber Machtgierigen. Diese Kombination gab und gibt es in jeder Gesellschaft. Der jahrhundertelange Erfolg des Westens beruhte hauptsächlich darauf, dass Angehörige dieser speziellen Gruppe zwar immer mitspielten, aber nie dauerhaft die Mehrheit innerhalb der Eliten stellten.

Einer der witzigsten Köpfe des alten Europa, Georg Christoph Lichtenberg, notierte in seinen „Sudelbüchern“ ein Paradox, das auf einen Julien Benda schon 1927 nicht mehr so paradox wirkte: „Jetzt sucht man überall Weisheit auszubreiten, wer weiß, ob es nicht in ein paar hundert Jahren Universitäten gibt, die alte Unwissenheit wieder herzustellen.“ Mittlerweile ist dieses Werk fast abgeschlossen.

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