Tichys Einblick
Propaganda

Die Flutung der Öffentlichkeit mit Produkten des grünen Apparats

Gegen die anschwellende Kritik greifen Politiker von Habecks Partei und ihre Verbündeten zu einer ganz besonderen Propagandamethode, die angeblich aus den USA stammt. Aber auch der Masseneinsatz von alternativen Fakten stößt mittlerweile an Grenzen.

Robert Habeck nach der gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse für Wirtschaft, und Klimaschutz und Energie, Berlin 10.05.2023

IMAGO / photothek

In der Verfilmung des Tom-Wolfe-Romans „Fegefeuer der Eitelkeiten“ unterhält sich der in schwere Bedrängnis geratene Wall-Street-Händler Sherman McCoy mit seinem Vater über einen möglichen Ausweg aus seiner ruf- und vermögensbedrohenden Affäre. Der Senior hält erst eine Lobrede auf den Wert der Wahrheit, gibt dem Sohn dann aber einen praktischen Ratschlag: „Wenn dich die Wahrheit nicht befreien kann, dann lüge.“

Im Fall Robert Habecks und seiner Umgebung gestalten sich Problem und Lösung schon deshalb komplexer, weil es viele Beteiligte gibt. Außerdem geht es nicht nur wie bei Wolfe um Ruf und Geld – das zwar auch –, sondern vor allem um den Plan, „unsere Wirtschafts- und Industriegesellschaft komplett umzubauen“. So jedenfalls formulierte der heutige Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen das Vorhaben, als er noch die Lobbyorganisation „Agora Energiewende“ leitete, eine Organisation, die unter anderem über zwei zwischengeschaltete Stiftungen der britische Großinvestor Christopher Hohn mitfinanziert, ein Unternehmer, der in einer etwas anderen Liga spielt als Wolfes Romanfigur.

Große Dimensionen verlangen auch nach größeren Abwehrmaßnahmen, wenn Kritik daran aufkommt, dass miteinander verwandte und verschwägerte Kader im Wirtschaftsministerium und diversen Umfeldorganisationen diesen Umbau obendrein noch als Familien- und Freundesprogramm betreiben. Wenn Graichen als Wirtschaftsstaatssekretär seinem Freund und Trauzeugen Michael Schäfer zum Chefposten der Deutschen Energieagentur (Dena) verhilft, dann geht es erst einmal nur um eine Formfrage (der Staatssekretär hätte nicht in der Auswahlkommission sitzen dürfen), aber zweitens wäre das Verfahren auch ohne die Trauzeugen-Facette hoch anrüchig. Denn Schäfer verfügt über keine Erfahrung mit der Leitung einer größeren Einheit – die Dena zählt etwa 500 Mitarbeiter –, kommt aber von der „Agora Energiewende“, die Graichen bis 2021 leitete.

Diese Formverstöße führen möglicherweise dazu, dass mehr Leute als vorher auch nach Sinn, Zweck und Nutzen des Komplettumbauprogramms fragen, das nicht nur Heizkeller betrifft. Weil also mehr auf dem Spiel steht als nur ein paar Posten in Berlin, müssen die Verteidiger zu Mitteln greifen, die über die bisher übliche Abwehr politischer Vorwürfe hinausgehen. Von Steve Bannon stammt angeblich die Empfehlung im Kampf mit Trump-gegnerischen Medien: „Flood the zone with shit“. Bannon blieb bekanntlich nicht lange Trumps Berater und es ist nicht ganz sicher, ob es sich bei der Methode wirklich um seine Erfindung handelt. Möglicherweise würde er auch antworten, es sei nur seine Antwort auf Medien gewesen, die Trump damals mit einer ganz ähnlichen Methode zusetzten.

Jedenfalls basiert die Methode der Flutung nicht nur auf ein paar einzelnen taktischen Lügen wie bei Sherman McCoy. Ihre Idee liegt darin, durch einen Masseneinsatz von Gegenangriffen, Behauptungen, Falschbehauptungen und Verdrehungen die unerwünschte Kommunikation der Gegenseite regelrecht wegzuspülen. Es kommt nicht auf die Qualität der Wortmeldungen an, sondern auf eine möglichst hohe Zahl, auf Druck und den Willen, die öffentliche Kommunikationszone so weit wie möglich von echten Debatten zu säubern. Genau diesen Großversuch unternehmen die Funktionsträger der Habeck-Partei mit ihren Unterstützern in den Medien und Institutionen gerade, flankiert von der grünen Netzfeuerwehr. Was Masse und Druck angeht, setzt das breite Bündnis neue Maßstäbe.

Technisch scheint das Zonenfluten bisher gut zu funktionieren. Die erste Welle besteht aus Äußerungen, die sich etwa so zusammenfassen lassen: Es geht nur um einen kleinen Formfehler bei der Besetzung eines Spitzenpostens, eigentlich gibt es nichts zu sehen und wer jetzt trotzdem noch Fragen stellt, gehört zu den Feinden der Energietransformation. Darüber weiß zum Beispiel der Büromitarbeiter des grünen Bundestagsabgeordneten Sven-Christian Kindler Bescheid.

Für Medien, die beispielsweise Fragen stellen, beispielsweise auch nach den Finanziers von „Agora Energiewende“, der „Letzten Generation“ und „Extinction Rebellion“ gibt es neuerdings den Begriff „Fossilmedien“. Es handelt sich natürlich um pure Verleumdung, etwas direkter ausgedrückt: einen Dreckwurf, was diejenigen, die das Wort benutzen, auch wissen. Kein Medium, das sich bisher in die Verflechtungen von Weltrettungsideologie und Geschäft hineinbohrte, empfängt Zuwendungen von der vielzitierten fossilen Lobby. Interessant ist, wer diesen Begriff benutzt, um Medien, die klassische Medienarbeit erledigen, die dunkelsten Motive zu unterstellen: Beispielsweise spricht Jessica Kordouni von „Fossilmedien“.

Kordouni sitzt im Rundfunkrat des NDR, wo sie eigentlich auf die Einhaltung des Rundfunkstaatsvertrags achten sollte, in dem unter anderem die Verpflichtung zur Berichterstattung über relevante Themen vorkommt. Die engagierte Frau gehört den Grünen an. Ganz nebenbei, laut Rundfunkrat heißt die Organisation, die sie in das Gremium schickte, trotzdem CDU Schleswig-Holstein. Der gegenüber zeigt sie sich nun wirklich unabhängig.

Die ARD ihrerseits, die sich bisher weder mit dem kleineren Netzwerk um die Graichens und ihre Freunde noch mit dem etwas weitergespannten befasste, beteiligt sich auf ihre Weise an der Offensive, indem sie die Grünen als ‚alternativlos‘ bezeichnet. Das Qualitätssiegel, eine politische Kraft zur Alternativlosigkeit für Deutschland zu ernennen, vergab der öffentlich-rechtliche Funk

Screenprint: Tagesschau

bisher für keine andere Partei. Auch für einen Journalisten des Tagesspiegel – ebenfalls kein Fossilmedium – steht es außer Frage, dass es sich bei der Kritik an Habeck und Graichen und den Fragen nach Finanzströmen um eine „rechte Kampagne“ handelt.

Schon in der Corona-Zeit reichte es für diesen Medienschaffenden übrigens völlig aus, einem ihm nicht genehmen Virologen nicht etwa mit Argumenten zu kommen, sondern mit der Aufzählung von dessen Twitter-Followern.

Aber zurück zu seiner Aufforderung an die Partei, doch endlich mal in den Kampfmodus zu kommen: Sie klingt ein bisschen wie die Beschwerde, Rundfunkrätinnen, öffentlich-rechtliche Einrahmer und Journalisten auf der hellen Seite der Macht täten nun schon alles Medienmögliche, damit der Schutzwall um die Grünen hält, aber sie könnten unmöglich die ganze Flutungsarbeit allein schaffen.

Müssen sie auch nicht. Mit seiner mittlerweile erreichten Mobilmachung bietet das Milieu mittlerweile beträchtliche Kräfte auf. Den Rahmen für den Kampf markieren die folgenden zwei Tweets, jeweils pars pro toto für viele dutzend andere. Parteichefin Ricarda Lang erklärt, worum es geht: den Planeten.

Er bildet gewissermaßen den Bezugspunkt der Grünen. Wer deren planetarische Arbeit stört, und sei es nur mit Fragen, der kann das nur aus verachtenswerten Motiven tun und selbstverständlich dürfen im Ringen um das Weltganze alle nötigen Mittel mobilisiert werden. Beispielsweise auch die ganz direkte Lüge, also das Mittel, das die NDR-Aufseherin in der Hand der Fossilknechte vermutet, ohne ein konkretes Beispiel zu nennen. Der Direktor des Helmholtz-Instituts Ulm Maximilian Fichter – Wortmeldung zwei – klärt darüber auf, dass Patrick Graichen schon von CDU-Umweltminister Norbert Röttgen eingestellt worden sei.

Fichtner genießt eine gewisse Bekanntheit als Verfechter der völligen Verkehrstransformation zur Elektromobilität. Außerdem gilt der Helmholtz-Direktorenposten in der Aufmerksamkeitsökonomie immer noch etwas. Dass Robert Habeck Patrick Graichen 2021 als Staatssekretär holte, lässt sich in dutzenden Quellen nachlesen, unter anderem ganz offiziell auf der Ministeriumsseite. Es findet sich auch mühelos der Hinweis auf Graichens Tätigkeit als Referent im Bundesumweltministerium ab 2001, damals eingestellt unter Jürgen Trittin.

Hier lässt sich besonders schön der fast abgeschlossene Strukturwandel der Öffentlichkeit erkennen: Viele Anhänger eines von der eigenen Mission erfüllten Milieus machen sich gar nicht mehr die Mühe, irgendwo anders nachzulesen. Eine Falschbehauptung bleibt also erst einmal stehen. Übrigens auch die ebenso glatte Lüge der „Letzten Generation“, ein Rettungswagen, der kürzlich in Berlin-Wilmersdorf durch die Blockade einer Straße im Stau steckenblieb, sei in Wirklichkeit gar nicht behindert worden, sondern vorsorglich wegen der Blockierer gekommen, um mögliche Verletzte zu versorgen. Obwohl die Berliner Feuerwehr diese Behauptung dementierte, verbreitete die Bewegung sie einfach weiter.

Das liegt in der Logik einer fast völlig gespaltenen Öffentlichkeit: Die Führungsfiguren dieser durchprofessionalisierten, aus Geldern des „Climate Emergency Fund“ mit Sitz in New York finanzierten Organisation wissen, dass eine Richtigstellung die eigenen Anhänger verunsichern und damit mehr Kredit kosten würde als das Festhalten an ihrer erfundenen Geschichte. Darin liegt ja der Sinn der Zonenflutungs-Technik: Wer eine Behauptung zurücknimmt oder sich sogar für eine Lüge entschuldigt, verringert genau das, worauf es dabei ankommt, nämlich Druck und Tempo.

Bei den Missionaren in öffentlich-rechtlichen und anderen Medien gehört es zwar zur Praxis, auf etwas Sicherheitsabstand zu den Leuten der „Letzten Generation“ zu achten. Faktisch gibt es aber kaum Unterschiede zwischen einer Rundfunkrätin, die allen, die ihre Nase in bestimmte Netzwerke stecken, unterstellt, sie stünden auf der Lohnliste der fossilen Macht, einem Journalisten, der jeden Kritiker der Grünen als rechts definiert, und der PR-Maschine einer radikalen Organisation, die einfach Falschbehauptungen ausstreut. Wie gesagt, die Beispiele stehen stellvertretend für tausende andere, die aus Redaktionen heraus und in sozialen Netzwerken etwas ausstoßen, wofür sich am ehesten der Begriff Meinungspartikel anbietet. Diese Partikel wirken durch ihre Zahl, sie erzeugen auch keine eigentliche Botschaft mehr, sondern eher ein Rauschen, das zumindest Teile der Öffentlichkeit betäubt und die Kommunikation erstickt.

Selbst dann, wenn es liberale Gegenstücke zu den notorischen Faktencheckern der ARD und zu Correctiv gäbe, also finanziell bestens ausgestattete Organisationen mit üppigem Personalbestand, die sich mit den Zonenflutern auseinandersetzen, sie könnten diesem Materialeinsatz wenig entgegenstellen. „Strategie“, heißt es bei Clausewitz, „ist die Ökonomie der Mittel.“ Es ergibt also eher Sinn – zumindest für ein kleines Medium wie dieses hier – die Technik des Flutens als Ganzes zu beschreiben, unterfüttert mit einer Handvoll ausgewählter Belege, die sich fast beliebig vermehren ließen.

Um noch eins – oder doch noch zwei, aber dann ist wirklich Schluss – anzuführen: Auf allen bespielbaren Kanälen erklären grüne Politiker und ihre Alliierten gerade, das von Habeck und Graichen ausgearbeitete Wärmepumpengesetz werde die Immobilienbesitzer so gut wie gar nicht belasten, die Kosten übernehme weitgehend der Staat. Mit dem Steuergeld dieser Immobilieneigner natürlich.

Aber darin besteht nicht der eigentliche Punkt. In der Kampagne mit dem propagandistisch vielleicht nicht ganz idealen Titel „fairheizen“ überschwemmen die ersten bis vierten Reihen des einschlägigen Milieus die Öffentlichkeit gerade mit der Zahl 80 Prozent. So viel betrage die Förderung, also der staatliche Kostenersatz für Haus- und Wohnungseigentümer, die sich eine Wärmepumpe einbauen müssen, wenn ihre alte Öl- oder Gasheizung sich nicht mehr weiterbetreiben lässt.

Die Versicherung Achtzig Prozent entfaltet natürlich eine gewisse Suggestionskraft, wenn es erst einmal darum geht, den Widerstand gegen ein noch nicht beschlossenes Gesetz kleinzubekommen. Die Wirkung beruht allerdings darauf, dass kaum jemand nachschaut, für wen dieser achtzigprozentige staatliche Kostenersatz eigentlich gilt. Nach den aktuellen Plänen der Grünen qualifiziert sich dafür ein Single oder ein Paar, wenn das Haushaltseinkommen unter 20.000 Euro im Jahr liegt. Brutto, wohlgemerkt. Bei einem Haushalt mit zwei Verdienern dürften beide also weniger als 1000 Euro monatlich vor Steuern erwirtschaften. Unter dieser Grenze gibt es einige schlecht versorgte Rentnerehepaare, möglicherweise auch die einen oder anderen wirklich Armen im ererbten Haus. Aber die allermeisten Immobilieneigner dürften darüber liegen. Den gleichen Plänen zufolge endet die sehr viel bescheidenere 40-Prozent-Förderung schon bei einem gemeinsamen Haushaltsbruttoeinkommen von 60.000 Euro.

Wer „Förderung bis zu 80 Prozent“ als zentrale Botschaft im Fernsehen verkündet, in Zeitungen schreibt oder auf Twitter in die Öffentlichkeit drückt, lügt zwar nicht ganz direkt. Aber er manipuliert hemmungslos. Ungefähr so wie alle aus der alternativlosen Partei und ihren Helfern, die Twitter mit einem Beitrag des Bayerischen Rundfunk und der Tagesschau überschwemmten, in dem es heißt, die Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke im April hätten sich kaum auf den Börsenstrompreis ausgewirkt, er sei sogar billiger geworden.

Keiner, wirklich keiner aus den tiefgestaffelten Reihen versäumte es, die Botschaft mit einem kurzen Triumphruf weiterzuverbreiten.

 

Schon im zweiten Absatz des BR-Textes findet sich allerdings der Hinweis darauf, dass der europäische Börsenstrompreis im Frühjahr immer fällt – weil Solaranlagen mehr produzieren als im Winter, weil mehr Wasserkraft zur Verfügung steht, aber auch, weil die Nachfrage sinkt, wenn in Frankreich die Stromheizungen in den Häusern nicht mehr laufen. Aus spiegelbildlichen Gründen steigt der Börsenstrompreis im Herbst wieder. Die Tagesschau, der BR und vor allem die dazugetippten Sätze formen also eine banale Feststellung zur kausalen Behauptung um, Strom werde durch die Abschaltung von Kernkraftwerken günstiger. Auch hier beruht die gesamte Narrativwelle auf der Erwartung, dass möglichst keiner unterhalb der Überschrift weiterliest. Und erst recht nicht vergleicht, wie sich der nationale Strompreis in einem Land entwickelt, das seine Kernkraft ausbaut.

Dafür, die Kommunikationszone zu fluten, besitzen die Grünen im Verhältnis zu ihrer eigentlichen politischen Größe mehr Mittel als alle anderen. Zu diesem Zweck gibt es schließlich Vorfeldorganisationen, Helfer in Medien und Institutionen und die Netzfeuerwehrtruppe mit der Hauptkompetenz, Gegenbrände zu legen.

Diese Feststellung klingt erst einmal pessimistisch, so, als müsste sich diese Methode unter allen Umständen auszahlen. Allerdings verschleißt eine Materialschlacht auch denjenigen, der sie führt. Der wirklich beeindruckende Kraftaufwand reicht gerade so aus, um in der früheren Hochburg Bremen noch etwa 12 Prozent der Wählerstimmen zu sichern. Er genügte in der Milieuhauptstadt nicht für eine Mehrheit beim Volksbegehren „Berlin klimaneutral 2030“. Und er verhinderte bisher auch nicht, dass in Umfragen zwischen 70 und gut 80 Prozent das Habeck-Graichen-Heizungsgesetz ablehnen. Es braucht also immer mehr Einsatz, um ein vergleichsweise bescheidenes Terrain zu halten. Großartige Geländegewinne gibt es für die Transformationsanhänger kaum mehr. Der Satz von der Ökonomie der Kräfte gilt für alle Seiten.

Bei Tom Wolfe heißt es an einer anderen Stelle: “A lie may fool someone else, but it tells you the truth: you’re weak.” Und der nächste Satz wiederum klingt, als würde er aus einer deutschen Variante des Fegefeuer-Romans stammen:

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