Tichys Einblick
Grünes Partei-Ausschlussverfahren

Grüne: Ohne Boris Palmer auf dem Weg ins Spießertum

Nachdem die grüne Führung angekündigt hat, Boris Palmer aus der Partei ausschließen zu wollen, hat der Landesvorstand in Baden-Württemberg den entsprechenden Antrag gestellt. Die Grünen tun einen weiteren großen Schritt in Richtung eines identitätslinken Autoritarismus.

Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen und Mitglied der Grünen

IMAGO / ULMER Pressebildagentur

Nachdem die SPD-Führung ihren ehemaligen Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin aufgrund seiner asyl- und migrationskritischen Publikationen als „Rassisten“ gebrandmarkt und nach mehreren Anläufen aus der SPD ausgeschlossen hat, droht inzwischen einem weiteren politischen Abweichler der Parteiausschluss, dieses Mal aus Bündnis90/Die Grünen: dem Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer. Die in beiden Parteien tonangebende, von Sahra Wagenknecht treffend beschriebene „Livestyle Linke“ führt ihren „Kampf gegen Rechts“ mittlerweile nicht nur gegen die Union und die AfD, sondern auch gegen ihre eigenen Funktionäre mit zunehmend härteren Bandagen. Diese werden angezogen, sobald sie sich, wie Sarrazin und Palmer, ihrer Ideologie der „Weltoffenheit“ und „Diversität“ öffentlich entgegenstellen, um so nicht nur eine öffentliche, sondern auch eine innerparteiliche Debatte über deren fragwürdige Seiten in Gang zu bringen. 

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Nur wenig fürchten die links-grünen Parteiführungen inzwischen mehr als genau dies. Ihr einstiger Ruf nach einem „herrschaftsfreien Diskurs“ (Habermas) verstummt sofort, wenn entlarvende Kritik an ihrer eigenen Weltsicht laut wird. An seine Stelle tritt dann der Ruf nach Kritikverbot sowie die Verfemung der Kritiker bis hin zu deren innerparteilichen Ausgrenzung via Parteiausschluss – sofern sie aus den eigenen Reihen stammen. Diese schon lange gebräuchliche Variante von „Cancel-Culture“ greift immer dann um sich, wenn herrschende Ideologien ihren Zenit überschritten haben und sich erste Risse in ihren Fundamenten bis in die (Partei-)Gebäude ihrer Gralshüter fortsetzen. Die Reihen müssen nun fest geschlossen werden, um der voranschreitenden Erosion wenigstens im eigenen Haus Einhalt zu gebieten, wenn diese sich außerhalb dieses Hauses immer schwerer aufhalten lässt.

Im Falle Sarrazins ist es der SPD-Führung inzwischen zwar gelungen, einen Kritiker nicht nur ihrer Asyl- und Migrationspolitik, sondern auch ihrer Europa- und Euro-Politik aus den eigenen Reihen zu verbannen und so ihren Funktionären und Mitgliedern zu signalisieren, dass derlei Kritik innerparteilich nicht geduldet wird und drastische Strafen nach sich zieht; dass erhebliche Bedenken gegenüber der herrschenden Parteilinie unter ihnen damit verschwunden sind, darf aber bezweifelt werden, zumal andere sozialdemokratische Parteien in der EU, etwa in Dänemark und Schweden, der Ideologie der „Weltoffenheit“ und „Diversität“ zusehends abschwören. Auf dem innerparteilichen Vormarsch dürfte nach dem Rauswurf Sarrazins daher vielmehr jene „Schweigespirale“ (Noelle-Neumann) in Fragen von Asyl, Migration und Europa sein, die nach Untersuchungen des Allensbacher Instituts für Demoskopie inzwischen (wieder einmal) das ganze Land prägt. Zweifler und Kritiker trauen sich aus Furcht vor sozialer Stigmatisierung und Ausgrenzung allenfalls noch im engeren Verwandtschafts- oder Freundeskreis oder (meist anonym) in den sozialen/alternativen Medien, ihre vom polit-medialen, links-grünen Mainstream abweichenden Meinungen offen zu äußern.

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Innerhalb der grünen Partei dürften solche Zweifler und Kritiker am herrschenden Weltbild oder Teilen davon weit seltener anzutreffen sein als (noch) in der SPD. Ein deswegen wohl parteiintern besonders verhasstes Einzelexemplar ist daher fraglos der Tübinger OB Boris Palmer. Ihn will der Landesvorstand der Partei in Baden-Württemberg, mit Rückendeckung aus Berlin, nun aus der Partei ausschließen, da er sich mit seinen Büchern und sonstigen öffentlichen Stellungnahmen zur Asyl-, Migrations-, Integrations- und Menschenrechtspolitik immer weiter von der Linie der Partei entfernt hat. Das Ganze gipfelt seitens der beiden Landesvorsitzenden Oliver Hildebrand und Sandra Detzer in dem Vorwurf, er kokettiere mit Rassismus und fremdenfeindlichen Ressentiments. Beides habe bei den Grünen keinen Platz und würde der Partei erheblichen Schaden zufügen. Ein Vorwurf, der auch schon bei Sarrazins Ausschluss aus der SPD eine entscheidende Rolle gespielt hat und mittlerweile eine wichtige Funktion im identitätslinken „Kampf gegen Rechts“  einnimmt. 

Im Moment kämpft Palmer, wie zuvor schon Sarrazin, noch um seinen Verbleib in seiner Partei, wohl in der Hoffnung, doch noch genügend Parteifreunde zu finden, die sein Ansinnen einer Öffnung der Partei für einen kritischen Diskurs ihrer identitätslinken Ideologie unterstützen. Einige wenige Stimmen in diese Richtung haben sich vor Monaten eher verhalten öffentlich zu Wort gemeldet, nachdem im Frühsommer dieses Jahres erstmals bekannt geworden ist, dass die Parteiführung aktiv seinen Ausschluss betreibt. Dabei handelte es sich allerdings um einflusslos gewordene Parteiveteranen wie Antje Vollmer sowie Funktionäre aus der zweiten oder dritten Reihe – sieht man einmal vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ab, der sich vor wenigen Monaten in der Causa Palmer noch für den Erhalt einer „pluralistischen und meinungsfreudigen Partei“ stark machte. 

Davon ist allerdings inzwischen auch bei ihm keine Rede mehr, nachdem Palmer in einem Tweet zur Verteidigung des früheren Fußballprofis Dennis Aogo den Begriff „Neger“ verwendet hat. Dieser wiederum hatte zuvor über die Spieler des englischen Fußballclubs Manchester City verlauten lassen, sie seien so erfolgreich, weil sie „bis zum Vergasen“ trainierten. Daraufhin brach zunächst ein medialer Shitstorm über ihn herein, dem der Shitstorm gegen Palmer dann zeitnah folgte. Ein ebenso anschauliches wie verstörendes Beispiel für die Hysterie, mit der die identitätslinke Hetzjagd gegen „Rassisten“ hierzulande inzwischen betrieben wird. Sie nimmt inzwischen Züge der McCarthy-Ära in den USA der 1950er Jahre an, in der man anders als heute allerdings gegen „Kommunisten“ und nicht gegen „Rechte“ zu Felde zog.

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Aogo will mittlerweile, wie der Stern berichtet, Deutschland verlassen und mit seiner Familie nach Dubai umziehen, während Palmer mit seiner Familie nach wie vor im beschaulichen Tübingen weilt und möglicherweise hofft, bei der anstehenden Wahl im kommenden Jahr ein drittes Mal zum Bürgermeister dieser schwäbischen Universitätsstadt gewählt zu werden. Den Wahlkampf wird er dann wohl, unabhängig vom Ausgang des Ausschlussverfahrens, gegen seine eigene Partei führen müssen. Diese hat inzwischen nämlich seine ehemalige Mitarbeiterin Ulrike Baumgärtner, eine promovierte Politologin, ins Rennen um den Bürgermeisterstuhl geschickt und so trotz seiner Beliebtheit in der Tübinger Wählerschaft das Tischtuch mit ihm auch in dieser Hinsicht vorsorglich zerschnitten. 

Erst anlässlich seiner Entscheidung für oder gegen einen Wiederantritt zur Wahl wird sich somit zeigen, wie ernst es Palmer mit seiner Kritik an einer Partei ist, die sich einst ihrer antiautoritären Haltung rühmte. Zur Verbreitung und Absicherung ihrer identitätslinken Ideologie greift sie inzwischen immer stärker zu Mitteln aus dem Werkzeugschrank des Autoritarismus und entpuppt sich gleichzeitig als Vorreiter eines identitätslinken Spießertums. Vielleicht knickt Palmer aber auch ein und nimmt das Angebot seines grünen Landesvorstands an, seine Parteimitgliedschaft für zwei Jahre ruhen zu lassen, um sich in dieser Zeit einer gesinnungsmäßigen Läuterung zu unterziehen. Dem einstigen Mao-Fan Kretschmann könnte diese Lösung, die weniger an McCarthy als an das Vorgehen des chinesischen „Kulturrevolutionärs“ der 1960er Jahre erinnert, für den Umgang mit einem Rechtsabweichler aus den eigenen Reihen gut gefallen. Er müsste dann nur noch einen Ort finden, der sich für Palmers Läuterungsprozess ähnlich gut eignet wie chinesische Reisfelder oder Kohleminen. Der OB-Posten in Tübingen wäre das wohl eher nicht.