Tichys Einblick
Grüne Fake News

Griechenland-Kredite sind fort für immer

Das dritte Programm läuft aus. Gerettet ist Griechenland nicht. Angesicht der guten wirtschaftlichen Lage in Europa insgesamt fällt das aber derzeit nicht weiter ins Gewicht. Erst wenn wieder Ebbe ist, sieht man, wer bei Flut nackt baden war.

GEERT VANDEN WIJNGAERT/AFP/Getty Images

Berlin, 28. Februar 2018, Fragestunde im Deutschen Bundestag. „Ja“, lautete die unmissverständliche Antwort von Finanzstaatsekretär Michael Meister auf meine Frage, ob die Bundesregierung nach wie vor davon ausgeht, dass Griechenland die im Rahmen der drei Hilfspakete erhaltenen Kredite vollständig und fristgerecht tilgen wird.

Allein im Rahmen dieser drei Programme hat Griechenland seit Mai 2010 etwa 229 Milliarden Euro erhalten. Parallel dazu wurden die Zinsen für diese Kredite nach und nach gesenkt und/oder gestundet. Am 20. August 2018 soll Griechenland planmäßig sein drittes Hilfsprogramm beenden. Dass das Land auch danach nicht auf eigenen Beinen stehen kann, ist offenkundig. Damit dies bis auf weiteres niemanden auffällt, wird für Griechenland ein teures Abschiedspaket geschnürt. Und die Aussagen vom 28. Februar sind vier Monate später schon wieder Makulatur.

Denn die Eurogruppe beschloss am 21. Juni 2018 nicht nur die Auszahlung einer weiteren Kredittranche in Höhe von 15 Milliarden Euro an Griechenland, sondern auch weitere Zinserleichterungen sowie eine Verschiebung des Tilgungsbeginns. Eigentlich hätte Griechenland im Jahr 2023 mit der Rückzahlung der Kredite aus dem zweiten Hilfsprogramm beginnen sollen. Nun wurde der Tilgungsbeginn auf den Sankt Nimmerleinstag im Jahr 2033 verschoben. Sollte Griechenland in diesem Jahr wirklich mit der Rückzahlung beginnen, werde ich schon – so Gott will – 72 Jahre alt sein. Bei der Abstimmung über das erste Griechenlandpaket war ich noch keine 50. Schon heute haben die meisten Abgeordneten im Deutschen Bundestag bei dem ganzen Euro-Rettungsgeflecht den Überblick verloren. Wie soll es erst in 15 Jahren aussehen? Mir schwant nichts Gutes, wenn ich mir das ausmale. Mahner gibt es schon heute nicht mehr allzu viele. Bei der namentlichen Abstimmung zu diesem Thema am 29. Juni 2018 stimmten nur 12 Mitglieder aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Nein. 7 Kollegen enthielten sich.

Ich habe auch mit Nein gestimmt. Neben vielen anderen und auch grundsätzlichen Erwägungen stieß mir besonders ein Punkt extrem negativ auf: Obwohl die Troika den tatsächlichen Bedarf zur Deckung des Schuldendienstes auf 5,5 Milliarden Euro beziffert, sollen stolze 15 Milliarden Euro überwiesen werden! Die restlichen 9,5 Milliarden Euro soll die griechische Regierung zum Aufbau eines „Liquiditätspuffers“ verwenden. Nach Auskunft des Bundesministeriums der Finanzen muss Griechenland in diesem Jahr Schuldentitel in Höhe von 1,87 Milliarden Euro tilgen. In den Jahren 2019 bis 2022 sind es 9,021 Milliarden, 1,366 Milliarden und 4,312 Milliarden Euro. In den nächsten Jahren muss Griechenland also etwa 16,5 Milliarden Euro für den Schuldendienst aufbringen. Was uns hier euphemistisch als „Liquiditätspuffer“ untergejubelt wird, ist in Wahrheit nichts anderes als eine weitere Kreditlinie, die den griechischen Refinanzierungsbedarf für fünf Jahre zu über 90 Prozent abdeckt. Da muss man sich nicht über verbessertes Rating bei den Agenturen wundern!

Währungs- versus Haftungsunion
Die "Liraisierung" des Euro
Zum Verständnis müssen zum Jahr 2014 zurückgehen. Das zweite Griechenland-Rettungspaket lief zum 31. Dezember 2014 aus. Griechenland sollte nach Abschluss des zweiten Hilfspaketes mit einer Kreditlinie mit erweiterten Bedingungen (Enhanced Conditions Credit Line, ECCL) über Wasser gehalten werden. Diese Kreditlinie sollte „als Sicherungsnetz bereit [stehen] und würde nur dann in Anspruch genommen, sollte Griechenland doch keinen Zugang mehr zum Kapitalmarkt haben bzw. nur zu unangemessenen Bedingungen.“ Die Kommission schätzte den Finanzbedarf Griechenlands 2015 auf sechs bis zwölf Milliarden Euro. Die ECCL sollte bis zu 90 Prozent abdecken und 10,9 Milliarden Euro umfassen. Die 10,9 Milliarden Euro waren ursprünglich für die indirekte Rekapitalisierung der griechischen Banken vorgesehen, wurden aber nicht abgerufen und waren somit „noch übrig“.

Für die Gewährung einer ECCL muss der Deutsche Bundestag zweimal befasst werden. Zunächst muss der Bundestag die Bundesregierung zu Verhandlungen über eine ECCL ermächtigen. Sobald das Paket fertig ausgehandelt ist, muss der Bundestag dann final den Daumen heben (oder senken). Das ist ein aus Sicht der Bundesregierung äußerst leidiges Verfahren. Für uns Abgeordnete war eine ordentliche Parlamentsbeteiligung aber immer sehr wichtig und wurde auch vom Bundesverfassungsgericht eingefordert. Das deutsche Parlament darf kein Abnickverein für Vorlagen der Regierung sein! Umso perfider ist die jetzige Vorgehensweise. Das missliebige Verfahren wird umgangen, indem einfach deutlich mehr überwiesen wird. 9,5 Milliarden Euro sind für ein Land wie Griechenland mit einem BIP in Höhe von etwa 174 Milliarden Euro eine gewaltige Summe. Übertragen auf Deutschland (BIP 3.144,1 Milliarden Euro) würde sich der „Liquiditätspuffer“ auf stolze 171,5 Milliarden Euro belaufen – diese Zahl dient aber nur zur Veranschaulichung.

Und dennoch wird von einigen Seiten immer wieder der Eindruck erweckt, wir müssten den Griechen dankbar sein – und nicht umgekehrt. So mahnte der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos kürzlich, man dürfe nicht vergessen, „was das griechische Volk in diesen acht Jahren durchmachen musste.“ Einige sagen sogar, wir Deutsche hätten in den letzten Jahren kräftig am Leid der Griechen verdient. So setzten die Grünen mithilfe der dpa das Märchen in die Welt, der deutsche Fiskus hätte 2,9 Milliarden Euro mit der „Rettung“ Griechenlands verdient – und außer ein paar rühmlichen Ausnahmen druckte der gesamte deutsche Blätterwald diese Fake News nach. Falschmeldungen als solche zu entlarven, ist schwieriger, als sie in die Welt zu setzen.

Auch hierfür ist ein Rückblick notwendig: Am 9. Mai 2010 beschloss der EZB-Rat, im Rahmen eines Securities Markets Programme (SMP) Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt aufzukaufen. Im Verlauf der Zeit kaufte die EZB griechische Staatsanleihen in einem Volumen von 33,9 Milliarden Euro. Die EZB ging damals gegen den massiven Widerstand unserer deutschen Vertreter im EZB-Rat, Axel Weber und Jürgen Stark, ein unkalkulierbares Risiko ein. Keiner war damals bereit, auch nur einen Cent in griechische Staatsanleihen zu investieren. Folglich wurden die Staatsanleihen weit unter Nennwert gehandelt.

Da die EZB die Anleihen bis zur Endfälligkeit in ihrem Portfolio hielt, fielen nach und nach Gewinne an. Doch diese Gewinne sollten nach einem Beschluss aus dem Herbst 2012 nicht von der Bundesbank an den Bundeshaushalt ausgeschüttet werden, sondern via ESM an Griechenland weitergeleitet werden. Die EZB rechnete insgesamt mit Gewinnen in Höhe von zehn Milliarden Euro. Daraus resultierte für die Bundesbank eine Gewinnabführung gemäß EZB-Schlüssel von 2,743 Milliarden Euro. Im Jahr 2012 musste die Bundesbank 599 Millionen Euro an Athen überweisen. Für 2013 war derselbe Betrag vorgesehen. Die letzten Zahlungen sollten 2038 erfolgen. Der Haushaltsausschuss musste dafür eine außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigung ausbringen. Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter gab am 12. Dezember 2012 im Haushaltsausschuss zerknirscht zu, dass die Eurokrise somit unmittelbar den Bundeshaushalt belastet.

Weiteres Not-Opfer für Griechenlands Lebensstil
Griechenland-Retterei: Schweigen und zahlen
Als die SMP-Gewinne für das Jahr 2014 an Griechenland weitergereicht werden sollten, hatten der damals von den Griechen frisch ins Amt gewählte Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein Finanzmister Yanis Varoufakis die Vereinbarungen aus dem damals laufenden, zweiten Hilfspaket aufgekündigt. Die Gelder wurden vom ESM auf einem Sperrkonto verwahrt. Die Grünen haben indes den Eindruck erweckt, dass all diese Gewinne in den Bundeshaushalt geflossen seien. Das Gegenteil ist der Fall! Die SMP-Gewinne wurden drei Jahre lang an Griechenland ausgezahlt. Nur die Jahre 2015 und 2016 sind für die Griechen „verloren“ – aus eigenem Verschulden. Und im Jahr 2016 wurde Griechenland in Aussicht gestellt, dass das Land die auf dem Sperrkonto liegenden Gelder sowie beginnend ab dem Haushaltsjahr 2017 wieder alle SMP-Gewinne ausgezahlt bekommt. Genau das wurde auch von der Eurogruppe beschlossen. Lügen, ohne rot zu werden, gelingt auch den Grünen!

Noch schlimmer: Ein sattes Minus machten infolge der Privatsektorbeteiligung die Abwicklungsanstalten des Bundes. Beim Schuldenschnitt in Griechenland im Jahr 2012 verlor der deutsche Steuerzahler 7,613 Milliarden Euro. Da der Finanzmarktstabilisierungsfonds SoFFin, an dessen Tropf zwei betroffene bundeseigene Bad Banks hängen, jedoch bis zu seiner Auflösung buchhalterisch vom übrigen Vermögen des Bundes getrennt bleibt, wurden die dort verbuchten Verluste (noch) nicht haushaltswirksam. Von 9,1 Milliarden Euro blieben bei der FMS-Wertmanagement, der Bad Bank zur Abwicklung der Hypo Real Estate (HRE), nach Schuldenschnitt und Abzinsung gerade einmal 2,2 Milliarden Euro Buchwert übrig. Die Erste Abwicklungsanstalt, die die Überbleibsel der WestLB verwaltet, konnte von ihren 1,09 Milliarden nur 377 Millionen Euro retten.

Gleichzeitig bildete die Bundesbank Risikorückstellungen in Höhe von 16,425 Milliarden Euro (Stand 31. Dezember 2017). Die Gewinnausschüttungen der Bundesbank an den Bundeshaushalt sanken dadurch deutlich.

Der spanische Ökonom Pablo Triana hat vor einiger Zeit sogar errechnet, dass Griechenland für seine Schulden faktisch eine Prämie in Höhe von minus 0,28 Prozent erhält (negativen Zinssatz). Auf diese Weise verdient der griechische Staat an seinen Schulden sogar noch Geld. „Niemals in der Geschichte souveräner Staaten wurde ein Schuldner besser behandelt als Griechenland“, fasste Triana konsequenterweise zusammen. Die griechische Schuldenstandsquote beläuft sich nach Angaben der EU-Kommission auf etwa 180 Prozent. Das ist das Dreifache von dem, was gemäß der Maastricht Kriterien erlaubt ist. Der Schuldenschnitt und andere Maßnahmen sind verpufft wie Wassertropfen auf der heißen Herdplatte.

Das dritte Programm läuft aus. Gerettet ist Griechenland nicht. Angesicht der guten wirtschaftlichen Lage in Europa insgesamt fällt das aber derzeit nicht weiter ins Gewicht. Erst wenn wieder Ebbe ist, sieht man, wer bei Flut nackt baden war.