Tichys Einblick
Europa allein zuhaus'

Gravierende Veränderungen in der Sicherheitsstrategie der USA

Das eigentlich Gravierende an dem überraschenden Sicherheitsabkommen zwischen Australien, Großbritannien und den USA ist, dass vorab keine Konsultationen mit den Nato-Verbündeten stattgefunden haben. Das böse Erwachen für Deutschland hat erst begonnen.

IMAGO / ZUMA Wire

Es scheint so, als ob der jüngste geopolitische Vorstoß des amerikanischen Präsidenten Biden Europa in Schockstarre versetzt hat. Die Enttäuschung über den noch bei Amtsantritt als Friedensengel und Erlösung von dem „Monstrum“ Trump gefeierten Demokraten, ist so groß, dass man sogar seit längerem fest vereinbarte Verhandlungen über Handelsabkommen zwischen der EU und den USA abgesagt hat. Dabei hätte es jeder besser wissen können, der auch nur ein bisschen Kenntnis über den Charakter von Interessenpolitik hat. Es war klar, dass eine Großmacht wie die USA die kalte Schulter nicht einfach so hinnehmen würde, die ihm besonders Deutschland, aber auch die anderen Europäer, mit Ausnahme Großbritanniens, zeigten, als sie um einen engen Schulterschluss gebeten wurden zur Eindämmung des aggressiven Verhaltens Chinas und Russlands. Dann geht man eben eigene Wege. Die wirklich neue Erfahrung ist: Im Gegensatz zum oft nur bellenden und rüpelhaften Trump handelt Biden als professioneller Politiker mit jahrzehntelanger Erfahrung einfach.

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Das eigentlich Gravierende an dem überraschenden Sicherheitsabkommen zwischen Australien, Großbritannien und den USA ist, dass vorab keine Konsultationen mit den Nato-Verbündeten stattgefunden haben und Frankreich so ganz nebenbei ein sicher geglaubter U-Boot-Deal von über 50 Milliarden Dollar durch die Lappen ging. Zur Wahrheit gehört dabei aber auch, dass die Franzosen über ein halbes Jahr hinter dem vereinbarten Zeitplan zurücklagen und Amerikas nukleargetriebenen U-Boote weit über dem französischen und, was noch viel bedeutender ist, dem chinesischen Standard liegen. Da ist es logisch, dass ein neues Sicherheitsbündnis auch dessen Vorteile sofort einsetzt.

Dass dies Staaten wie Deutschland und Frankreich, die auf gute, vor allem wirtschaftliche Beziehungen zu China und Russland angewiesen sind, nicht in den Kram passt, ist nachvollziehbar. Nur der Schmollwinkel hilft nicht weiter. Die Interessen und weltpolitischen Gegebenheiten haben sich verändert und damit auch die jeweiligen Sichtweisen. Dass die Amerikaner sich nicht mehr abstimmen, ist aber ebenso verständlich. Denn Partner, mit denen die gemeinsamen Interessen schwinden, verlieren gleichzeitig nicht nur an Bedeutung, sondern auch an Vertrauen.

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Insbesondere Deutschland als größte Volkswirtschaft in Europa mit seiner besonderen geographischen Lage ist anzuraten, spätestens jetzt die schmerzhaften Herausforderungen anzunehmen. Dazu gehören auch wesentlich höhere Ausgaben für die Verteidigung. Denn bekanntlich muss derjenige, der die Lippen spitzt, auch pfeifen können. Die Ereignisse am Flughafen von Kabul haben gezeigt, dass außer einem Hüsteln da nicht viel aus europäischen Kehlen herauskommt. Arrogante und moralisierende Kritik an den USA, die von den gleichen Leuten, die diese üben, immer wieder wie selbstverständlich als Schutzmacht in Anspruch genommen werden, führt nicht weiter.

Wie wenig man sich hierzulande in den Eliten, aber auch in der breiten Bevölkerung, über diese dramatischen Veränderungen auch nur ansatzweise im Klaren ist, zeigt die völlige Abstinenz der deutschen Außenpolitik in dem gerade zu Ende gehenden Wahlkampf. Dümmliches Lachen oder das Plaudern über Scholz als versuchte Merkel-Kopie und ähnlich Nebensächliches bestimmten die Talk-Sendungen auf allen Kanälen. Während die USA abwehrbereit sind und den Wert der Freiheit und den Preis für die Auseinandersetzung mit den Feinden der Freiheit nicht scheuen, möchte insbesondere Deutschland in der warmen Kuschelecke der Nachkriegsjahrzehnte unter dem Schutz der USA verbleiben. Nur diese Rechnung geht nicht auf, das böse Erwachen hat gerade erst begonnen.

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