Tichys Einblick
"gerne in einem Land leben, in dem ..."

Sechzehn bescheidene Bitten zur gefälligen Beachtung in Berlin Mitte

Die Menschen, das wissen Politiker und wohlmeinende Medienschaffende, müssten jetzt „besser mitgenommen“ werden. Wohin auch immer. Bürger haben allerdings – Überraschung – auch ihre Vorstellungen. Beispielsweise diese hier.

Im Jahr 1729 veröffentlichte Jonathan Swift sein Essay „A Modest Proposal“, also einen bescheidenen Vorschlag zur Lösung der Hungerkrise in Irland. Deutschland leidet nicht unter einer Hungerkrise, und Swifts Sprache steht selbstverständlich unerreichbar hoch. Aber nach seinem Vorbild möchte ich hier einige bescheidene Bitten aussprechen. Ähnliche Vorstellungen äußern auch bemerkenswert viel Bürger, die der Autor kennt. Bei dem folgenden kleinen Katalog mit 16 Punkten handelt es sich also um eine Art kollektive Wunschliste, die besser nicht unbeachtet bleiben sollte.

1. Ich würde gern in einem Land leben, in dem ich mir keine Gedanken über die Sicherheit der Energieversorgung machen muss.

2. Ich würde gern in einem Land leben, in dem der Staat mir über alle Steuer- und Abgabenarten hinweg mindestens 60 Prozent von dem lässt, was ich erwirtschafte.

3. Ich würde gern in einem Land leben, in dem die allermeisten Journalisten sagen: „Unsere Aufgabe ist Regierungskritik, was sonst?“

4. Ich möchte gern in einem Land leben, dessen Fernsehsender so interessant sind (wenigstens einer), dass ich dafür freiwillig bezahlen würde.

5. Ich möchte gern in einem Land leben, dessen Spitzenpolitiker mindestens zehn Jahre Erfahrung in einem bürgerlichen Beruf nachweisen können. Und das nicht gezwungenermaßen, sondern aus Einsicht.

6. Ich möchte gern in einem Land leben, in dem die Politiker sich auf die staatlichen Kernaufgaben konzentrieren: die Garantie zureichender Bildung und guter Infrastruktur, auf die öffentliche Sicherheit und die Kontrolle darüber, wer über die Grenze kommt.

7. Ich würde gern in einem Land leben, in dem Politiker verinnerlichen, dass sie die Angestellten der Bürger sind, nicht ihre Kontrolleure und Erzieher.

8. Ich würde gern in einem Land leben, in dem die Regierung zwischen politischem Asyl und Flucht vor Krieg einerseits und Einwanderung andererseits unterscheidet, und die Einwanderung konsequent an den Bedürfnissen des Landes ausrichtet.

9. Ich möchte gern in einem Land leben, in dem keine Friedensrichter Stammeskriege schlichten, und zwar schon deshalb, weil keine Stammeskriege stattfinden.

10. Ich würde gern in einem Land leben, das durch seine Steuer- und Lebensbedingungen international begehrte Fachkräfte anzieht.

11. Ich würde gern in einem Land leben, in das Investoren auch dann kommen, wenn ihnen der Staat nicht 10 Milliarden Euro Schmerzensgeld dafür bietet.

12. Ich möchte gern in einem Land leben, in dem ein verspäteter Zug mit kaputten Toiletten und Klimaanlagenausfall die absolute Ausnahme darstellt.

13. Ich möchte in einem Land leben, in dem U- und S-Bahnhöfe nicht wie Kloaken aussehen und riechen.

14. Ich würde gern in einem Land leben, in dem jüdische Einrichtungen keinen Wachschutz brauchen.

15. Ich würde gern in einem Land leben, in dem ich mich für das Englisch wie das Deutsch der Person, die das Auswärtige Amt leitet, nicht schämen muss.

16. Und ich möchte sehr gern – falls dieser Wunsch noch erlaubt ist – dafür nicht auswandern müssen.