Tichys Einblick
Von „Bürger und Bürgerinnen“ zu „Bürger*innen

Gendern ohne Ende?

Seit den 1980er Jahren wird im Namen der „sprachlichen Gleichstellung“ im Deutschen gegendert. Die sprachliche Form wechselte, aktuell breitet sich die Mutante Gender*stern aus.

picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Der Genderstern (auch „Gendersternchen“ oder „Genderstar“ genannt) ist seit zwei Jahren in der öffentlichen Kommunikation deutlich sichtbar. Den Anfang machte die Stadt Hannover, die im Februar 2019 „Empfehlungen für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache“ herausgab: Danach sollen im Schriftverkehr nur noch „geschlechtsumfassende Formulierungen (z.B. Beschäftigte)“ verwendet werden und, falls dies sprachlich nicht möglich sei, „der Genderstar (z.B. Antragsteller*innen)“. Andere Städte folgten diesem Vorbild, darunter Stuttgart, wo das Sternchen zum Thema bei der Oberbürgermeisterwahl im November 2020 wurde: Mit dem Slogan „Schaffen statt gendern“ gewann der CDU-Kandidat.

Wo Gendersterne leuchten

Am 22. November 2020 beschlossen die Grünen auf einem digitalen Parteitag ihr neues Grundsatzprogramm, das durchgängig mit dem Stern gendert: Fußgänger*innen, Steuerzahler*innen, Bürger*innen und Menschenrechte usw. Ältere Genderformen wie Bürgerinnen und Bürger (Paarform), BürgerInnen (Binnen-I) oder Bürger_innen (Unterstrich) werden nicht mehr verwendet, sie sind historisch geworden. In den Nachrichtensendungen des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks wurde der Genderstern inzwischen auch hörbar gemacht, nämlich durch eine kurze Pause vor der Endung –innen. In der Sprechpraxis ist diese Pause allerdings oft so kurz, dass die Hörer Bürgerinnen verstehen statt Bürger + innen.

Die Sprachgemeinschaft reagiert auf Genderstern und Genderpause negativ. Das bekam kürzlich das Erzbistum München-Freising zu spüren, das getwittert hatte: „Wir freuen uns, dass es im Erzbistum neue Kirchenmusiker*innen gibt“. Eine Leserbriefschreiberin meinte dazu: „Der Gender-Quatsch geht mir ziemlich auf die Nerven“ und fragte: „Welche Frauen fühlen sich eigentlich diskriminiert?“ (Münchner Merkur 17. Februar 2020). „Unsere Sprache soll wertschätzen“, entgegnete das Erzbistum, man wolle niemanden „ausgrenzen“.

Mann, Frau, divers – auch sprachlich

Die massive Verbreitung des Gendersterns (auf Kosten anderer Genderformen) geht zurück auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 10. Oktober 2017, das für „Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen“, einen „positiven“ Geschlechtseintrag im Personenstandsregister forderte. Der Gesetzgeber kam im Dezember 2018 dieser Forderung nach und erweiterte den bisherigen Geschlechtseintrag „männlich“ bzw. „weiblich“ um die Kategorie „divers“.

Damit stellte sich für staatliche Behörden das Problem, bei Personenbezeichnungen das diverse Geschlecht sprachlich zu berücksichtigen. An sich wäre das im Deutschen ganz einfach; denn das Maskulinum bezeichnet grammatisch nicht nur männliche Personen, sondern als sogenanntes „generisches Maskulinum“ auch Personen jeglichen Geschlechts oder deren Geschlecht unbekannt ist: Das Sprichwort „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht“ lässt offen, ob die Bezugsperson Mann oder Frau ist oder ein sonstiges Geschlecht hat. Diese sprachlogische Lösung bleibt aber versperrt durch den seit Jahrzehnten politisch geförderten Sprachfeminismus und dessen Glaubenslehre von der „Männersprache Deutsch“, in der die Frau durch das generische Maskulinum „unsichtbar“ werde.

Das diverse Geschlecht musste also ebenfalls „sichtbar“ gemacht werden, und die Lösung war der Genderstern, den die Stadt Hannover ausdrücklich mit dem geänderten Personenstandsgesetz begründete. Auf der Strecke blieben die traditionellen Formen des Genderns, die auf einem binären Geschlechtermodell beruhen, das auch im Titel der in Hannover 2003 eingeführten und nun abgeschafften Regelung zum Ausdruck kam: „Empfehlungen für eine zeitgemäße, Mann und Frau angemessen berücksichtigende Verwaltungssprache“. Nach fünfzehn Jahren war die damals empfohlene „Paarformulierung“ (Bürger und Bürgerinnen) nicht mehr „zeitgemäß“: Jetzt ging es darum, nicht ein bestimmtes Geschlecht, die Frauen, sprachlich „sichtbar“ zu machen, sondern die Geschlechtervielfalt. Frauen spielen darin nur noch eine Nebenrolle, beschränkt auf die Endung –innen, die vom Genderstern überstrahlt wird: Bürger*innen.

Gruppensprachliches Merkmal Gender*stern

„Sprache ändert sich“, heißt es oft zur Begründung des Genderns. Tatsächlich ändert sich die politische Gesinnung bestimmter Gruppen und deren sprachliche Symbolik. „Das Gendersternchen“, bemerkte Ende 2018 der Spiegel (Nr. 42), „scheint zur Corporate Identity aller halbwegs linken, künstlerischen Institutionen zu gehören. Theater, Galerien, Popfestivals – gefühlt nutzen sie es alle.“ Von der Kulturszene wanderte dieses gruppensprachliche Symbol in die Bildungsinstitutionen. Die Universität Bielefeld erklärte 2019 ihren Studenten den Genderstern folgendermaßen:

„Symbolisch stehen die Strahlen des Sternchens, die in verschiedene Richtungen zeigen, für die unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten. […] Das Gendersternchen bildet Vielfalt ab.“

Die Universität Regensburg erkannte, dass die Standardanrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ für bestimmte Geschlechtsidentitäten „diskriminierend“ sei und stellte in einer Rund-Mail vom 18. Dezember 2020 – das Robert-Koch-Institut meldete für diesen Tag deutschlandweit 11 200 Neuinfektionen an Corona und 813 Todesfälle – eine „geschlechterneutrale Alternative“ vor: „Sehr geehrte Persönlichkeiten“.

Über die Gruppensprache der Kultur- und Bildungseinrichtungen kam der Genderstern auch in die Politik. Vorreiter waren die Grünen, die schon 2015 beschlossen hatten, innerparteilich bei Anträgen „im Regelfall den Gender-Star [zu] verwenden (Bürger*innen, Student*innen …)“. Es war dann nur noch eine Frage der Zeit, diese Sprachregelung auch für den behördlichen Sprachgebrauch verbindlich zu machen, was zuerst in Hannover geschah.

Verordneter Sprachwandel

Sprachwandel ist außer im Wortschatz ein langsamer, in Jahrhunderten ablaufender Prozess, der von außen nicht gesteuert werden kann. Möglich sind allerdings – neben dem Sonderfall der „Rechtschreibung“ – punktuelle Eingriffe in alltägliche Sprachroutinen. Zwei historische Beispiele:

● Während der Französischen Revolution wurden Standesbezeichnungen („Graf“, „Herzog“ usw.) abgeschafft und die gleiche Anrede für alle eingeführt: „Bürger“ (citoyen) bzw. „Bürgerin“ (citoyenne).

● Die Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung pflegten untereinander einen eigenen Gruß, den sogenannten „Deutschen Gruß“ (Heil H.). Nach der Machtergreifung, 1933, wurde dieser gruppensprachliche Gruß sofort für „den dienstlichen Bereich“ der Staatsverwaltung vorgeschrieben und dann, im Dezember 1933, für das Schulwesen. In wenigen Jahren setzte sich der Hitlergruß auch im nicht-privaten Schriftverkehr durch sowie bei der mündlichen Kommunikation in der Öffentlichkeit.

Der – kurzzeitige – Erfolg dieser beiden Eingriffe in die Alltagssprache beruhte auf zwei Faktoren: Erstens den politischen Zwangsmitteln eines diktatorischen Staates und, zweitens, der kommunikativen Vereinfachung durch die neue Sprachregelung. „Bürger(in)“ reduzierte die vielen Anredevarianten des alten, monarchischen Frankreich auf eine einzige Standardform, und der Hitlergruß die Grußvarianten des bürgerlichen Deutschland: Zum Beispiel gab es damals für die Schlussformel eines Geschäftsbriefes eine Fülle abgestufter Höflichkeitsfloskeln, die man nun – wie heute bei „Mit freundlichen Grüßen“ – nicht mehr beachten musste.

Gendern für alle?

Könnte der Staat den Genderstern nicht nur im amtlichen, sondern auch im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzen? Grundsätzlich würde die Corona-Krise, in der viele Gewohnheiten außer Kraft gesetzt werden, eine günstige Gelegenheit bieten. Und den Haupteinwand gegen den Genderstern, er würde die deutsche Sprache „verunstalten“, müsste der Staat nicht fürchten: Ethik, hier: gute Gesinnung, geht vor Ästhetik.

Gendern, gleichgültig ob mit oder ohne Stern, verkompliziert die Sprache. Beim spontanen Sprechen, wo keine Zeit zu sprachlichen Überlegungen ist, übersteigt ein systematisches Gendern die Formulierungsgabe der meisten Deutschsprecher. Es geht ja nicht nur darum, Personenbezeichnungen zu ersetzen, auch der Satzbau muss angepasst werden: Sätze wie „Jeder oder jede, der oder die zustimmt, muss wissen, welche Folgen das für ihn oder sie haben kann“ formuliert man nicht aus dem Stand.

In der geschriebenen Sprache kann man sich die notwendige Formulierungszeit nehmen, aber die Praxis zeigt, dass die meisten gegenderten Texte fehlerhaft sind. Selbst das Grundsatzprogramm der Grünen weist eine Reihe eindeutiger Genderfehler (durchgestrichen) auf: Zum Beispiel gibt es neben „Akteur*innen“ auch „nicht staatliche Akteure“ und neben der „Bürger*innenversicherung“ eine „bürgerorientierte Verwaltung“; die „Patient*innen“, „Arbeitnehmer*innen“ und Verfassungsfeind*innen“ werden gegendert, „Diktatoren“, „Großinvestoren“ und „Arbeitgeberverbände“ aber nicht (Diskriminierung?). Ob das „Partnerschaftsprinzip“ (in den internationalen Beziehungen) genderkorrekt ist, kann hier offen bleiben.

Fazit: Grammatisch korrektes und konsequentes Gendern ist zu aufwendig. Wer gendert, macht das deshalb fast nie systematisch, sondern nur punktuell, um damit seine positive Gesinnung zu zeigen. Typisch hierfür sind die ZDF-Nachrichten, in denen etwa 10 Prozent der vorkommenden geschlechtergemischten Personengruppen gegendert werden, meistens in der Paarform und ab und zu mit Genderpause; ansonsten herrscht das generische Maskulinum. Sprachliches Gendern ist hier ein Gesinnungssignal – „Ich gendere , also bin ich politisch korrekt“. Nicht nur „Rechtsextremisten demonstrieren ihre Gesinnung oftmals in der Öffentlichkeit, [wobei] eine besondere Bedeutung der Verwendung bestimmter Zeichen und Symbole zukommt“ (Bundesamt für Verfassungsschutz: Rechtsextremismus, 2018, S. 4).

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Das verbindliche Gendern wurde von den Grünen 2015 damit begründet, dass „Sprache durch ihren großen Einfluss auf unser Denken und unsere Wahrnehmung die Gesellschaft mit formt“. In der Sprachpraxis führt das Gendern zu sprachlicher Desorganisation, Komplikation und Unklarheit, kurz: es ist kommunikativ ineffizient. Wie Ineffizienz „die [deutsche] Gesellschaft mit formt“, zeigt aktuell das staatliche Handeln in der Coronakrise („Impfchaos“. „Impfstoffdesaster“ u. Ä). Hat die gendersprachliche Verwirrung hier das „Denken“ der Behörden beeinflusst?

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