Tichys Einblick
POLITISCHE SPRACHE

Gehört zu, gehört nicht zu, gehört noch nicht zu, gehört …

Ideal für die Erfüllung des Wunsches, "der Islam soll zu Deutschland gehören", wäre ein Deutschland ohne Deutsche. Ein solches Deutschland ist zwar faktisch derzeit nur denkbar, aber sprachlich schon vorhanden: in der Regierungserklärung der Kanzlerin vom 21. März 2018.

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Nicht nur Wörter machen Politik, auch Sätze. Bei der zentralen Feier zum Tag der Deutschen Einheit, am 3. Oktober 2010, sagte der damalige Bundespräsident Christian Wulff: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. […] Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“  In vereinfachter Form, ohne aber, inzwischen und auch, dient der Islamsatz bzw. dessen Verneinung heute als politische Leitformel, an der sich die Geister scheiden. Diese Wirkung beruht auf einem politsprachlichen Trick.

Der Aussage Das Oktoberfest gehört zu Bayern werden wenige widersprechen: Es ist seit 1810 ein Haupt- und Staatsereignis, das die altbayerische Volksfestkultur geprägt hat. Aber stimmt auch der Satz Betrunkene gehören zum Oktoberfest? Ja und nein: Einerseits gibt es auf dem Oktoberfest Betrunkene, andererseits sind sie für seinen Ablauf nicht wesentlich. Um letzteres  sprachlich zu verdeutlichen, sagt man: Betrunkene gehören auch zum Oktoberfest oder gehören einfach dazu. Die Redewendung das gehört einfach dazu bedeutet „etwas lässt sich nicht ganz vermeiden“, zum  Beispiel Betrunkene auf einem Bierfest.

I

Die grammatische Konstruktion X gehört zu Y drückt formal aus: „X ist ein Teil von Y“. Dabei bleibt rein sprachlich offen, wie wichtig ein Teil für das Ganze ist. Genau diesen breiten Interpretationsspielraum nutzt der politische Schlüsselsatz Der Islam gehört zu Deutschland.

Die Interpretation hängt davon ab, ob man die Beziehung zwischen Teil und Ganzem als „stark“ oder „schwach“ bewertet, im Sinne von

(1) Der Islam gehört wesentlich zu Deutschland

oder

(2) Der Islam gehört auch zu (den Religionen in) Deutschland.

Im ersten Fall liegt eine Wesensaussage vor: „Der Islam ist ein notwendiger Teil von Deutschland“, woraus logisch folgt: „Ohne Islam kein Deutschland“. Bei der zweiten Interpretation handelt es sich um eine Existenz- und Klassifikationsaussage: „Es gibt in Deutschland den Islam, und er gehört zu den Religionen des Landes“.

II

Nun bezweifelt niemand, dass der Islam heute zu den Religionen in Deutschland zählt; bei dieser Interpretation wäre die Aussage „Der Islam gehört zu Deutschland“ überflüssig. Es geht also in der aktuellen „Islamdebatte“ um die „starke“ Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland.

Deutschland ‒ so die klassische Wörterbuchdefinition ‒ ist ein „Ländername für das Territorium der deutschen Nation“. In der tausendjährigen Geschichte dieser Nation, der Deutschen, spielte der Islam keine direkte Rolle, konnte es auch nicht: Deutschland grenzte nicht an die islamische Welt und hatte bis Mitte des 20. Jahrhunderts keine Muslime. Bei der Volkszählung von 1900 wurden sie unter die 11.000 Personen „sonstiger“ Religion gezählt.

Heute leben in Deutschland schätzungsweise fünf Millionen Muslime (vor 25 Jahren: 1,7 Millionen), die oder deren Vorfahren seit den 1960er Jahren im Zuge der Arbeits-, Asyl- oder Fluchtmigration in das Land kamen. Soweit deutsche Staatsbürger, gehören die Muslime zum politischen Deutschland, nicht aber der Islam: Die Bundesrepublik Deutschland hat keine Staatsreligion(en); es herrscht Religionsfreiheit, der Islam gehört zu den Muslimen ‒ so wie das Christentum zu den Christen.

III

Fazit: Die politische Formel Der Islam gehört zu Deutschland lässt sprachlich zwei Deutungen zu: Die eine ‒ „Der Islam gehört auch zu den Religionen in Deutschland“ ‒  ist als Aussage richtig, aber trivial. Die andere Deutung ‒ „Der Islam gehört wesentlich zu Deutschland“ ‒ widerspricht den geschichtlichen Tatsachen. Sie gilt auch nicht ‒ sofern man Religion im heutigen Deutschland für „wesentlich“ hält ‒  in der Gegenwart, weil der Islam (noch) als Migrantenreligion wahrgenommen wird.

Aber vielleicht wird ja der Satz nicht als faktenbezogene Aussage verstanden, sondern als Ausruf und Wunsch im Sinne von „Der Islam soll zu Deutschland gehören!“. Ideal für die Erfüllung dieses Wunsches wäre ein Deutschland ohne Deutsche. Ein solches Deutschland ist zwar faktisch derzeit nur denkbar, aber sprachlich schon machbar: Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD kennt keine Deutschen mehr, sondern nur noch Menschen (vgl. TE 11.2.2018: Deutschland = Land der Menschen). Entsprechend sind in der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vom 21. März 2018 die Deutschen unter den vielen Menschen ein sprachlicher Restposten, der als „einheimische Deutsche“ und „Deutsche, die schon immer hier leben“ etikettiert wird.


Helmut Berschin ist Prof. em. für Romanische Sprachwissenschaft