Tichys Einblick

Gedanken zu den Morden in Hanau

Im wirren Manifest des Hanau-Täters ist von »illegaler Überwachung« die Rede, von »Krieg« und »Doppelschlag«. – Es gilt: Ob eine Tat in News auf Ideologie oder auf Verwirrung zurückgeführt wird, hängt davon ab, welche Perspektive das linke Narrativ stützt.

Cerys Lowe

Hinweis: Dieser Essay bezieht sich auf ein aktuelles Ereignis vom 19. Februar 2020. Sollten sich im Verlauf des Tages neue wesentliche Sach-Informationen ändern, werden sie hier angepasst. Die Kommentierung aber beschreibt meinen Gedanken vom Morgen des 20. Februar 2020.

Deutschland ist nicht Israel. Husum hat keine Strandpartys wie Tel Aviv. Kibbutzim, wo man sich für die gemeinsame Sache einbringt, haben wir nicht (deutscher Sozialismus bedeutet seit jeher, dass die Gewieften den Fleißigen wegnehmen, nicht dass der Professor neben dem Hilfsarbeiter die Teller wäscht – freiwillig). Auch mit der Technologie und der Kultur haben wir es nicht mehr ganz so.

Jedoch, in einer Angelegenheit ähnelt Deutschland der einzigen Demokratie im Nahen Osten – zumindest in einem Aspekt des Israel von vor 1994.

Was ist das »Protokoll«?

Das war keine Schießerei
Der Täter von Hanau war ein Terrorist und Antisemit
Am Mittwoch den 19. Februar 2020, habe ich mit meinem Sohn nach der Schule draußen gespielt, während die Tochter mit Elli beim Mathematik-Freizeitprogramm war. Am Abend haben wir noch die Instrumente für den Tag geübt und über die anstehende Karnevalswoche geredet. Dann schliefen wir nach und nach in den jeweiligen Räumen ein.

Am Donnerstag 20. Februar 2020 wache ich auf, wie meistens sehr früh, und lese die Horror-Nachricht: Schießerei in Hanau, mindestens elf Tote (bild.de, 20.2.2020, frühe Morgenstunden).

Wir haben liebe Verwandte in Hanau. Ich habe Leser in Hanau. Und das ist der Punkt, wo Deutschland mich heute an das Israel von früher erinnert.

Vor dem Bau des Grenzzauns waren Terror-Anschläge in Israel noch weit häufiger als heute. Jedes Mal aber, wenn in einem Bus oder einem Café eine Bombe explodierte, rief man bei seinen Freunden in Israel an. Selbst wenn die Freunde in einer anderen Stadt lebten, wollte man sichergehen, dass sie nicht zufälligerweise am Ort der Gewalt gewesen waren. Vor allem aber wollte man mitteilen, dass man in Gedanken und im Herz bei und mit ihnen ist – was auch immer das Wert sein mag.

Am Donnerstag den 20. Februar 2020 kehrt das »alte Israel«-Feeling wieder, nur eben mit Hanau. Noch ist es zu früh, um in Hanau anzurufen. Ich werde mich gleich mit Elli beraten, aber noch schläft sie. Was ist das »Protokoll«, wenn in der Stadt, wo Verwandte leben, Gewalt verübt wird?

Scharren der Hufe

Am Morgen wird berichtet, dass der Täter ebenfalls tot ist und neben seiner toten Mutter aufgefunden wurde. Medien deuten an, dass es ein rechtsradikales Bekennerschreiben gibt. In den sozialen Medien kursieren Hinweise auf Social-Media-Postings, die angeblich vom Schuldigen stammen sollen und Hinweise auf eine massive Verwirrung wären, wenn sie sich bestätigen. Man vermutet: Ob eine Tat in der Berichterstattung auf die Ideologie oder auf eine Verwirrung zurückgeführt wird, hängt davon ab, welche Perspektive das linke Narrativ stützt.

Die Toten von Hanau waren noch warm, da setzte ja bereits die Instrumentalisierung durch Linke und andere »Demokratiekritiker« ein. Das bedeutet auch: Man wird versuchen, den vielfachen Mord von Hanau dem politischen Gegner anzuhängen. Das ist das politische Klima in Deutschland: Wer der Regierung widerspricht, der ist eben an allem schuld, was in dem Land passiert, das eben diese Regierung verantwortet.

Morde in Hanau – was wir wissen
Im Aufruhr um Hanau wird untergehen, dass gestern das »NetzDG« brutal verschärft wurde (siehe etwa heise.de, 19.2.2020), und zwar mit Ideen, die an die späten Phasen von Diktaturen erinnern, mit Quasi-Pflicht zur Denunziation in industriellem Maßstab und drakonischen Gefängnisstrafen für die »Diffamierung« von Politikern – ein weiterer Schlag der deutschen Regierenden mit dem harten Baseballschläger gegen Kopf und Zähne der Demokratie. Wäre es zynisch, festzustellen, dass die schreckliche Tat von Hanau auch denen »hilft«, welche gern ihre im Geiste wenig demokratischen Gesetze durchwinken wollen?

In ihrer zynischen Abgebrühtheit werden Politiker der Regierungsparteien auch den Anschlag von Hanau nutzen, um demokratische Werte weiter zu beschädigen. Nicht nur Obama-Berater Rahm Emanuel hat jenes perfide Motto verinnerlicht, wonach keine »gute Krise« ungenutzt bleiben darf, und ich habe wenig Zweifel, dass die Gewalt von Hanau genutzt werden wird, um deren Machtfülle auf Kosten der Demokratie zu erweitern.

Fakt ist, dass in Deutschland wieder Angst herrscht. Fakt ist, dass Politiker aus Regierungsparteien eine Atmosphäre des Hasses schüren, die es in Deutschland wieder »normal« macht, dem Mitmenschen das Menschsein abzusprechen. Fakt ist, dass sich Deutschland heute ein wenig wie Israel vor 1994 anfühlt – allerdings ohne Cocktails und Tanzmusik am Strand.

Kaffee, dann anrufen

Israel baute einen Grenzzaun gegen die Gewalt derer, die – wenn sie nicht gerade in Berlin fröhlich demonstrieren und antisemitische Parolen brüllen – jenes Land auslöschen wollen, von dessen Hilfslieferungen sie abhängig sind.

Wie aber kann Deutschland einen Grenzzaun bauen gegen die Gewalt in seiner eigenen Mitte? Politiker hetzen und wüten gegen Abweichler und Andersdenkende, setzen Terroristen gleich mit Oppositionellen, die es wagen, die Regierung zu kritisieren.

Sagt mir nicht (nur), dass ihr »gegen Gewalt« seid, dass bin ich und jeder auch, nicht selten sogar der Gewalttäter – sagt mir, wofür ihr seid.

Ich weiß, dass ich dafür bin, dass meine Kinder als glückliche und nicht ganz dumme Menschlein aufwachsen, dass wir ihnen ein Zuhause bieten können, auf dass sie dereinst sentimental lächelnd zurückblicken. Ich bin dafür, dass jeder Mensch guten Willens sein eigenes Glück bauen kann.

Natürlich bin ich gegen Dummheit, Ideologie, Gesinnungsethik und Gewalt, doch ich bin dagegen, weil ich für eine liebevolle, lernende, zugleich kluge und selbstbewusste Nation bin, derer Teil ich sein darf.

Elli schläft, sie kennt die Nachrichten noch nicht. Ich werde ihr jetzt einen Kaffee machen. Dann werden wir wohl unsere Lieben in Hanau anrufen. So ist 2020 – ob ich dafür bin oder nicht.


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.