Tichys Einblick
Frankfurt am Main

Warum hassen Linke die neue Altstadt?

In Frankfurt wird eine Wunde des Weltkriegs geheilt, ein Stück alte Heimat rekonstruiert. Doch linken Ideologen ist das ein Dorn im Auge. Sie schreien „Rechts-Alarm“.

75 Jahre nach den verheerenden Bombardements ist in Frankfurt ein kleines Wunder geschehen: Ein Teil der damals zerstörten Altstadt zwischen Dom und Römer steht jetzt wieder, sie leuchtet und strahlt. Wo noch vor wenigen Jahren ein graues Beton-Monster stand, empfängt die Besucher nun eine menschliche, farbenfrohe Architektur. Fachwerkhäuser mit spitzen Giebeln, ein Renaissance-Bau mit vergoldeten Schnitzereien, mit Schieferziegel gedeckte Häuschen, klassizistische Bürgerbauten, dazwischen verwinkelte Gassen und Höfe mit Brunnen und Skulpturen – ein sehenswertes Ensemble mit heiterer Stimmung. Die allermeisten Besucher sind begeistert über die mit Liebe zum Detail und erstaunlicher Handwerkskunst rekonstruierten Häuser, dazwischen einige neue Bauten, die sich mit ihren Proportionen gut einpassen.

Ende September wird die neue Altstadt mit einem dreitägigen Volksfest eingeweiht, bis zu 250.000 Besucher erwartet die Stadt. SPD-OB Feldmann ist ganz ergriffen und schwärmt, dass die rekonstruierte Altstadt Frankfurt ein Stück „Heimat und Identität“ wiedergebe.

Aber nicht alle freuen sich. Der linke Architektur-Professor Stefan Trüby ärgert sich schwarz. Er verfolgt die Freude der Bürger leise weinend oder zähneknirschend. Denn die begeisterten Frankfurter sind seiner Meinung nach auf einen finsteren rechten Trick hereingefallen. „Geschichtsrevisionistisch“ und „skandalös“ sei die neue Altstadt. Akuter „Räächz“-Alarm!

Für Trüby steht fest, dass mit dem Wiederaufbau der im Weltkrieg verbrannten Altstadt nicht nur ein „aalglattes Stadtviertel“ mit „unterkomplexem Heile-Welt-Gebaue“ entstanden ist – nein, viel schlimmer: Mit der wiederaufgebauten Altstadt wollen sinistere Rechtsradikale die Spur der NS-Schuld tilgen und sogar den Holocaust vergessen machen, so schrieb der Architekturtheoretiker Trüby vor einigen Wochen in einem ganzseitigen Aufsatz in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Als Beleg diente ihm, dass der erste Antrag für eine Rekonstruktion der Altstadt im Stadtparlament 2005 von dem rechten Publizisten Claus Wolfschlag für die Wählervereinigung „Bürger für Frankfurt“ formuliert worden war. Der Antrag fiel auf fruchtbaren Boden, bis auf die ganz Linken nahmen sich alle Parteien der Sache an. Heute beanspruchen CDU und SPD gleichsam den Erfolg der neuen Altstadt.

Wie kam es überhaupt zur „modernen“ Bebauung des 1943 und 1944 schwer bombardierten Altstadtareals? Zwei sogenannte „Tausend-Bomber-Angriffe“ hatten weite Teile der Alt- und Innenstadt zerstört, geschätzt 70 Prozent der Häuser lagen in Trümmern. Nach dem Krieg gab es eine heftige Diskussion über Wiederaufbau oder Neubebauung. Dabei arbeiteten die Gegner einer Rekonstruktion der Altstadt mit einer gezielten Lüge, wie man im Historischen Museum der Stadt Frankfurt heute erfahren kann. Die Befürworter eines „modernen“ Neubaus der Innenstadt erstellten ein Modell des zerstörten Domareals, das eine total verwüstete Ruinen- und Trümmerlandschaft zeigt. Diese angebliche realistische Darstellung war aber eine Übertreibung der echten Zerstörungen, eine Fälschung, wie im Museum zugegeben wird.

Mit dem gefakten Modell sollte suggeriert werden, dass ein Wiederaufbau der historischen Häuser völlig unmöglich wäre, da fast nichts mehr übrig sei. Dabei waren sehr wohl viele Fassaden erhalten. Doch wurden sie nun erbarmungslos von den Modernisten weggeräumt.

Selbst um den Wiederaufbau des zerstörten Goethe-Hauses 500 Meter vom Dom entfernt gab es einen skurrilen, ideologischen Streit. Der Links-Katholik Walter Dirks, Mitherausgeber der „Frankfurter Hefte“, war ein vehementer Gegner. Man müsse „die Kraft zum Abschied haben, zum unwiderruflichen Abschied“, forderte er. Laut Trüby stand dahinter „völlig zu Recht die Sorge, dass man mit einer Rekonstruktion die Spuren des Nationalsozialismus und damit auch der eigenen Schuld löschen wollte“. Ziemlich irre: Goethes Wohnhaus sollte also besser zerstört bleiben als Sühne für den Nationalsozialismus, ein humanistischer Klassiker sollte für Hitler büßen. In München gab es übrigens engagierte Landesbaukonservatoren und Denkmalschützer, die nach dem Weltkrieg energisch für den Wiederaufbau der wichtigsten historischen Bauten und Straßen eintraten.

Was dagegen die tonangebenden „progressiven“ Frankfurter Kreise wollten, waren moderne Neubauten, oft brutal hingeklotzt. Etwa das Technische Rathaus, das 1974 wie ein Raumstation aus Sichtbeton zwischen Dom und Römerberg errichtet wurde. Der Bau wurde von den Bürgern als hässlich abgelehnt. Als „Elefantenfüße“ verspottete der Volksmund die vier grauen Betontürme – die nun für die neue Altstadt verschwunden sind.

Der Römerberg vor dem Rathaus war noch Jahrzehnte nach dem Krieg ein ziemlich kahles Gelände, mit sichtbaren Wunden und Lücken aus der Bombenzeit. Erst in den achtziger Jahren kam es auf Betreiben des Bürgermeisters Walter Wallmann zur Bebauung der Nordzeile des Römers mit historisch aussehenden Fachwerkhäusern, die heute Hunderttausenden Touristen als Fotomotiv dienen. Die meisten Jüngeren wissen wohl nicht, dass diese „mittelalterlich“ wirkenden Häuser erst gut dreißig Jahre alt sind. Aber so geht es: Mit dieser Bebauung sind zumindest ein Teil der Kriegswunden an zentraler Stelle wieder geheilt worden.

Deutschland ist heute vom Rekonstruktionsfieber erfasst, stellte vor kurzem ein FAZ-Feuilletonist fest, nicht ohne sorgenvoll die Stirne zu runzeln, denn Kritiker sähen ja in den Rekonstruktionsprojekten »„Deutschtümelndes“ und Reaktionäres“«. In Berlins Mitte wird an der Stelle, wo einst der asbestverseuchte DDR-Republikpalast („Erichs Lampenladen“) stand, das alte Stadtschloss der Hohenzollern wieder aufgebaut; vor vier Wochen hat man die prächtige Barockfassade enthüllt. In Braunschweig baute man das Schloss wieder auf, das jahrhundertelang die Residenz der Welfen-Herzöge war.

Besonders aktiv waren die Dresdener: Schon vor dreizehn Jahren haben sie ihre herrliche barocke Frauenkirche rekonstruiert, rund herum erheben sich heute rekonstruierte barocke und klassizistische Bürgerhäuser. Dresden wollte sich nicht damit abfinden, dass es im Feuersturm 1944 verbrannte – die sächsische Metropole hat ihren Stolz wiedergefunden (höchst verdächtig findet das der Antifa-Architekturprof Trüby und zieht eine Linie von der „historisch überkodierten Stadt“ mit ihrem „Opfermythos“ bis zu Pegida).

Auch in Potsdam werden eifrig historisch wichtige Gebäude rekonstruiert, mit dem barocken Stadtschloss angefangen, in dem heute der Landtag sitzt. Seit 2017 baut man die legendäre Garnisonskirche wieder auf – ein Projekt, das Linke mit Ingrimm verfolgen, weil die Kirche doch ein Symbol des preußischen Militarismus sei. Auch dass die scheußliche DDR-Fachhochschule, graffitisierter Betonklotz gegenüber dem Stadtschloss, derzeit abgerissen wird, liegt Freunden der „DDR-Moderne“ schwer im Magen. Ein Feuilletonist der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ lamentierte gar, man solle nun „den letzten Sommer der Ostmoderne“ genießen: „Besuchen Sie Potsdam, solange es noch steht!“

Auch das ist irre: Kein einziger Besucher kam wegen des DDR-Klotzes in die brandenburgische Hauptstadt. Nur ein paar versponnene Intellektuelle finden die „Ostmoderne“ mit Plattenbau-Charme attraktiv. Natürlich zählt dazu auch der Architektur-Linksideologe Trüby, der neulich in einem „taz“-Interview betrübt feststellte: „Hier geht es um die Siegerarchitektur der BRD über die DDR“. Alle diese Rekonstruktionen arbeiteten mit einer bereinigten deutschen Geschichte.

Tatsächlich ist es legitim und notwendig, die Wunden der Geschichte zu bereinigen. Andere Nationen, die weniger von Selbsthass geplagt sind als wir, machen dies unbefangener. Die Polen haben nach 1945 rasch mit einem ziemlich gut gelungenen Wiederaufbau der zerstörten Danziger Altstadt begonnen, bei dem polnische Handwerker und Baumeister ihr Können zeigten. Auch das von Deutschen gesprengte Warschauer Schloss haben die Polen noch im Kommunismus in den siebziger Jahren rekonstruiert.

Mehr nach dem Geschmack von Trüby wäre vielleicht, was die Sowjet-Russen im besetzten Königsberg (Kaliningrad) machten. Dort wurden nach 1945 fast alle Spuren der „faschistischen“ Deutschen und ihrer siebenhundertjährigen Kulturgeschichte getilgt. Der Dom verfiel, das ausgebrannte Schloss wurde dem Erdboden gleich gemacht. Beherrschende Gebäude wurden das Beton-Monster „Haus der Räte“, das aber wegen Statikmängeln nie genutzt werden konnte. Das verschachtelte Sowjet-Haus sackte in den Boden ab, was der Volksmund der Stadt als „Rache der Preußen“ bezeichnete. Heute gilt die Betonruine von seltener Hässlichkeit als Mahnmal.

Trüby findet übrigens, man solle sich bei hässlichen Betonbauten der „brutalistischen“ Mode (mit „beton brut“ gebaut) nicht so anstellen. Seine schlichte Ästhetiktheorie lautet: „Schönheit und Hässlichkeit sind Begriffe, die wissenschaftlich nicht haltbar sind. Sobald etwas hundert Jahre alt ist, finden wir es schön.“ Also werde man auch Betonhochhäuser aus den 1970er Jahren, wie etwa seinen Stuttgarter Uni-Büroturm, einmal schön finden. „Hart, aber herzlich“-Optik sagt der Professor dazu, der hinter jedem rekonstruierten Fachwerkhaus nach Nazis schnüffelt.

Dabei hat er übersehen, dass ja die Nazis selbst die verwinkelten alten deutschen Fachwerk-Innenstädte ablehnten. Hitler wetterte in Parteitagsreden gegen die „Mittelalterbauweise“ und zog die „kulturellen Museumswächter“ ins Lächerliche, wie der Architekturjournalist Dankwart Guratzsch in einem Artikel in der „Welt“ gegen Trüby erinnerte. Hitler und seine Nazis waren Modernisten, sie erträumten ein „Zeitalter von Stahl und Eisen, Glas, Beton“ (O-Ton Hitler). Die wiedererstandene Frankfurter Altstadt aus Holz, Backstein und Schindeln könnte man zum „antifaschistischen“ Akt des Widerstands gegen den NS-Staat erklären, wenn Antifa-Getue nicht so lächerlich wäre.

Wo Trüby allerdings recht hat, ist seine Einschätzung, dass überall in Deutschland ein Kulturkampf auch in der Architektur abläuft. Auch hier gibt es einen Kampf von „Rechts gegen Links“, von Konservativen und Liberalen gegen Progressisten. Die Modernisten mit ihrer Beton-Wut, die sich früher ungehemmt austoben durften, stehen heute in der Defensive, zumindest unter Rechtfertigungszwang.

Unproportionierte Monsterbauten oder Fremdkörper kommen bei den Bürgern nicht an. So entschied sich im Frühjahr in Mainz in einem Bürgerentscheid eine große Mehrheit gegen den umstrittenen Bibelturm mit Metallfassade, der als 20 Meter hoher, spitzer Keil neben den tausend Jahre alten Dom und dem Gutenberg-Museum gesetzt werden sollte. Das progressive Polit-Establishment war tief betroffen über das negative Bürgervotum.

Ob in Frankfurt, Berlin, Potsdam oder Dresden: Viele Bürger wollen den Rückgriff auf die Geschichte, auf das architektonische Erbe. Es gibt einen unübersehbaren Retro-Trend hin zu den klassischen Bauformen, zur bauhistorischen Vielfalt früherer Zeiten, für menschengemäße Proportionen und gegen die brutale Betonmonumentalität. Immer mehr Städte überlegen, zumindest einen Teil ihres verlorenen historisch-architektonischen Erbes zurückzuholen. Das ist eine gute, unterstützenswerte Entwicklung.