Tichys Einblick
Berlins Sahel-Krieg

Wobei Europa von Australien lernen kann

Australien macht die Wasserstrategie vor, als es gegen illegale Grenzüberschreitung nicht in Indonesien oder Indochina kämpft, sondern die eigene Küste sichert.

Deutschlands Wehrbeauftragter Hans Peter Bartels (SPD) droht den immer heftiger zuschlagenden Rebellen in der Sahelzone: „Europa wird das nicht ohnmächtig mit ansehen.“ Müssen die Islamisten nervös werden? Nicht unbedingt! Immerhin haben die Europäer bis 1975 ungeachtet viel härterer Drohungen und langjähriger Gemetzel alle Kriege in Afrika verloren. Die dem Deutschen Reich schon 1918 entzogenen Kolonien kommen dabei ebenfalls abhanden.

Die aktuell besonders unruhigen Länder Burkina Faso, Mali, Niger und Tschad haben damals gerade 20 Millionen Einwohner. Trotzdem muss Frankreich mit seinen immerhin 53 Millionen Bürgern abziehen. Heute stehen die vier Länder mit 80 Millionen – das entspricht einem Deutschland – gegen 65 Millionen Franzosen. 2030 soll das Quartett sogar mit 110 zu 67 Millionen vorne liegen.

Da Washington seine 7.000 Soldaten aus dem Raum abziehen will, benötigt Macron für die Unterstützung seiner 4.500 Kämpfer dringend Ersatz. Die deutschen und italienischen Kontingente von zusammen rund 1.600 Mann müssten mindesten um den Faktor 5 aufgerüstet werden, um die überlegene Schlagkraft der Amerikaner auszugleichen. Das ergäbe aber bestenfalls eine Stagnation und keineswegs die erhoffte Überlegenheit bzw. das „robuste Mandat“, mit dem Ministerin Kramp-Karrenbauer am 29. Dezember 2019 auf Sieg setzen will.

Die Sahel-Staaten ringen gegenwärtig mit einem Kriegsindex zwischen 6 und 7 und übertreffen damit sogar die Werte der 1970er Jahre. Auf 1.000 Männer im Alter von 55 bis 59 Jahren folgen 6.000 bis 7.000 Jünglinge zwischen 15 und 19 Jahren, die den Lebenskampf aufnehmen müssen. Sieg oder Heldentod werden gleichermaßen akzeptable Lebenswege. In Italien und Deutschland dagegen sind es weniger als 700, in Frankeich immerhin 1.000. Jeder europäische Gefallene – über 40 bisher aus Frankreich – stirbt als einziger Sohn oder gar als einziges Kind seiner Mutter. Das hält die Kriegswilligkeit in Grenzen. Man weiß nicht, wie der rare Nachwuchs einmal die eigenen Rentner versorgen soll und will ihn deshalb nicht auf fernen Schlachtfeldern verheizen.

Die Afrikaner hingegen können pro Mutter zwei bis drei Söhne verlieren. Witwen werden mit überlebenden Brüdern verheiratet, so dass die Familien weiter wachsen können. Zudem wird die nächste Generation noch einmal stärker als die jetzt aktiven Jahrgänge. Fast 19 Millionen Knaben unter 15 Jahren folgen beim Quartett, aber nur 12 Millionen beim Duo Deutschland-Frankreich.

Die Ministerin wird verspottet, als sie im März 2019 die Bundesmarine mit einem Flugzeugträger verstärken und in das Bündnis mit Frankreich einbringen will. Die Richtung ist nicht falsch, obwohl auch kleinere Einheiten ausreichen. Europas Grenze zu Afrika verläuft durch das Mittelmeer und muss dort auch verteidigt werden. Australien macht diese Wasserstrategie vor, als es gegen illegale Grenzüberschreitung nicht in Indonesien oder Indochina kämpft, sondern die eigene Küste sichert. 2013 startet Canberra die Operation Sovereign Borders, weil seit 2009 die Zahl der durch Schmuggler illegal an Land Gebrachten von 2.700 auf fast 21.000 springt. 2014 kommen – bei über 24.000 km Küstenlinie – nur noch 160. Danach geben die Schlepper auf. Bei ihren Aktionen gibt es von 2009 bis 2013 rund 1.200 Todesopfer. Zwischen 2014 und 2018 sind es noch 32.

Das Sterben geht zurück, weil die Migranten rational handeln. Sie geben ihre 5.000 bis 10.000 Dollar nicht mehr den Kapitänen der Boote, weil sie wissen, dass Australien seine Häfen mit Zerstörern abschirmt. Canberra beendet also nicht nur das Ertrinken, sondern entzieht obendrein dem Menschenschmuggel die Geschäftsgrundlage. Auch der fünfte Kontinent kann es sich nicht leisten, seine wenigen Söhne in den Tod zu schicken, um in der Fremde überzählige Brüder vom Krieg oder vom Verschleiern ihrer Schwestern abzuhalten. Vor dem Einsatz größerer Expeditionsheere sollte deshalb dem Bürger erklärt werden, warum die ozeanische Lösung nicht in Frage kommt.


Gunnar Heinsohn (*1943) lehrt seit 2011 Kriegsdemografie am NATO Defense College (NDC) in Rom.

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