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EU-Wahlkampf: „Die guten Menschen von Starnberg“

In der südbayerischen Kreisstadt Starnberg (23.500 Einwohner) fanden auf demselben Platz gleichzeitig vier politische Kundgebungen statt: AfD, Kirche, Anti-AfD und SPD. Ein Lehrstück in fünf Akten.

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Die „Bösen“, hier in Gestalt der AfD, meldeten ihre Kundgebung bürokratisch korrekt an: für Donnerstag, den 23. Mai, um 17:00 Uhr auf dem zentralen Starnberger Kirchplatz. Die „Guten“, konkret: Kirche, Zivilgesellschaft und SPD, ergriffen Gegenmaßnahmen: Die beiden Kirchen laden für 17:15 Uhr mit vorherigem Glockengeläut zu einem „Friedensgebet“ in die am Kirchplatz gelegene katholische Stadtpfarrkirche ein: „Wir wollen versöhnen und die Menschen zueinander bringen“ (katholischer Stadtpfarrer). Ein zivilgesellschaftlicher „Starnberger Dialog“ ruft unter dem Motto „Wir machen sauber“ zu einer Gegenkundgebung auf, um die AfD-Veranstaltung zu stören und danach den Kirchplatz symbolisch „rein“ zu machen: „Die Menschen dürfen gerne mit Besen und Schürze kommen, um den Platz danach wieder zu säubern“ (evangelischer Stadtpfarrer). Schließlich meldet die SPD eine Veranstaltung an, nämlich einen Info-Truck zur EU-Wahl, der von 14 bis 17 Uhr in Starnberg Station macht.

Vier Veranstaltungen an einem Nachmittag auf demselben Platz. Am 23. Mai, einem Frühlingstag mit Sonne und Wolken, war es soweit.

1. Akt

Um 14 Uhr erscheint das SPD-Wahlkampfmobil auf dem Kirchplatz. „Es gibt belgische Waffeln und Gespräche“ (Münchner Merkur 24. Mai 2019).

2. Akt

Ab 16:30 beginnt die AfD, bestehend aus etwa 35 Personen, mit den Vorbereitungen für den Auftritt ihres Bundestagsabgeordneten Martin Hebner (geb. 1959, Diplom-Informatiker, Unternehmensberater, wohnhaft in Dießen/Ammersee). Der Kirchplatz füllt sich langsam. Die AfD-Gruppe stellt Plakate auf wie „Demokratie ist nicht Hetze gegen Andersdenkende“, „Mundtot durch Glocken?“.

3. Akt

Punkt 17 Uhr setzt lautes Glockengeläute ein. Eine Viertelstunde später kommt der AfD-Redner Hebner auf dem Platz an und wird von etwa 250 Gegendemonstranten mit Sprechchören („Nazis raus!“, „Aufhören!“, „Hetzer! Hetzer!“), Trillerpfeifen und Tröten lautstark empfangen.

4. Akt

Die Reden Hebners und eines weiteren AfD-Vertreters gehen in der Geräuschkulisse unter, kurz vor 18 Uhr ist die Kundgebung zu Ende. Ebenso der Gottesdienst, zu dem etwa fünfzig Gläubige kamen. Auf dem Kirchplatz gehen die Diskussionen im kleinen Kreis weiter. Eine SPD-Kreisrätin  findet die Störung der AfD-Veranstaltung „toll“: Die AfD sei zwar nicht verboten, aber es sei wichtig, sie am Sprechen zu hindern.

5. Akt

Um 18:30 fangen die ersten Gegendemonstranten an, den Kirchplatz „symbolisch zu reinigen“ und „Starnbergs gute Stube auszukehren“ (Süddeutsche Zeitung 24. Mai 2019). Die SZ findet dieses Austreibungsritual, das Menschen als „Kehricht“ und „Dreck“ bewertet, „nur konsequent“, mehr noch: „Das war nicht bloß eine Anti-AfD-Demo in Starnberg, sondern auch eine 70-Jahre-Grundgesetz-Party“.  Artikel 1 des Grundgesetzes lautet übrigens: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Epilog

Bei der EU-Wahl am Sonntag, dem 26. Mai, kam die AfD in der Stadt Starnberg auf 6,9% der Stimmen   ̶̶  ein (wie im gesamten Landkreis)  starker Rückgang gegenüber 2014 (10,6%). Aber immerhin wählten sie 801 Starnberger. Das sind dreimal so viel wie die 250 Anti-AfD-Demonstranten (von denen die Mehrzahl gar nicht aus Starnberg stammte).