Tichys Einblick
Verspekuliert

EU-Gipfel: Merkel holt sich eine saftige Abfuhr – für Macron gleich mit

Beim Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU ist gestern Nacht Merkels Vorstoß für ein EU-Gipfeltreffen mit Putin am Widerstand der Partner gescheitert. Das Putin-Treffen war von Merkel als offener Affront gegen Biden geplant worden.

Angela Merkel in ihrem Dienstwagen am 24. Juni 2021

IMAGO / Emmanuele Contini

Angela Merkel hat hoch gepokert und in der vergangenen Nacht beim Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU eine schwere Niederlage einstecken müssen. Was als großer Coup von ihr im Bündnis mit Präsident Macron ausgetüftelt worden war, wurde zum Rohrkrepierer in Brüssel. Der Vorschlag des Duos, ohne Mitwirkung der USA möglichst zeitnah ein Treffen der EU-Staatschefs mit dem russischen Präsidenten Putin zu veranstalten, wurde von der Mehrheit als das erkannt, was es ist: eine bewusste Demütigung Joe Bidens und damit das Ersticken des Transatlantischen, das gerade erst wieder zaghaft begann. Die Mehrheit der EU-Staats- und Regierungschef möchte, anders als Merkel, unbedingt an der Partnerschaft mit den USA festhalten.

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Angela Merkel gehört nicht zu denen, die Niederlagen hinnehmen und still akzeptieren. Genau so aber ist ihr die offene Feldschlacht geradezu widerwärtig. Sie bevorzugt den leisen Rückzug, das Sammeln der Kräfte und dann erfolgt der überraschende und plötzliche Angriff einer Schlange. Ganze Kohorten von Politikern, insbesondere der CDU, können davon ein Lied singen. Jetzt sollte einer der ganz Großen im Pokerspiel der Mächte ihr nächstes Opfer werden. Kein geringerer als US-Präsident Joe Biden sollte begreifen lernen, mit welchem Kaliber er es bei der Pfarrerstochter aus dem brandenburgischen Templin zu tun hat.

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Wenn auch ernüchtert, war Biden einigermaßen zufrieden vom G 7-Gipfel und dem anschließenden Tête á Tête mit Russlands Diktator Putin nach Washington zurückgekehrt. Schien es doch so, als ob es ihm gelungen sei, die Führungsrolle der USA im Bündnis wieder herzustellen und damit auch die Einheit des Westens. Weder China noch Russland sollten weiterhin die Hoffnung hegen, Europa und die USA gegeneinander ausspielen zu können. Merkel und besonders ihr Sonderemissär Thomas de Maizière taten alles, um das Abschluss-Kommuniqué zu verwässern. Vergeblich, nach Meinung Aller stand Merkel mit ihrer eher milden Haltung gegenüber Xi Jinping und Putin isoliert da. Doch jetzt schlug Merkel zurück.

Eher beiläufig sprach die Kanzlerin sich in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag zum aktuellen EU-Gipfel dafür aus, dass EU-Europa auch unabhängig von den USA mit Moskau reden sollte. Zwei Stunden später, nach ihrer Ankunft in Brüssel, wurde die deutsche Seite konkreter. Berlin empfahl die Wiederaufnahme der Gespräche mit Russland im EU-Russlandrat, die nach der Invasion der Krim 2014 vom Westen eingestellt worden waren. Doch bei Merkel konnte das nicht alles gewesen sein – und siehe da, nur eine weitere knappe Stunde später schloss sich Frankreichs Präsident Macron an. Die EU sollte demonstrativ eigene Wege gehen und von Amerika abrücken. Und – wie schnell es doch manchmal gehen kann – zur Krönung kam frohe Kunde aus dem Kreml: Erfreut begrüße man diese unerwartete Gesprächsofferte.

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Als besonders die osteuropäischen Staaten fassungslos reagierten, soll Merkel nach Zeugnis mehrerer Teilnehmer geäußert haben, wenn der amerikanische Präsident Gespräche mit Putin führe, müsse das auch jeder andere europäische Staat tun können. Klingt einfach, ist aber grundfalsch. Selbst Angela Merkel, als Repräsentantin des größten EU-Mitglieds, ist für Putin mangels eigener nuklearer Fähigkeiten nur ein zu belächelndes Leichtgewicht. Als Stalin einmal in die Runde seiner Generäle fragte, ob man den Vatikan, die ärgerliche katholische Kirche, nicht einfach ausschalten könne, gab Außenminister Molotow zu bedenken, dass der Papst über eine weltweite Reputation verfüge. Der Georgier ging darauf gar nicht erst ein, sondern fragte schmunzelnd, wieviele Divisionen habe denn der Papst? Als er als Antwort hörte, die Schweizer Garde, beendete er das Gespräch mit der Bemerkung „Dann sagen Sie das doch gleich, mehr wollte ich doch gar nicht wissen.“ An dieser Art zu denken, hat sich bis heute nichts geändert. Freilich darf man zweifeln, ob die jungen Leute im Auswärtigen Amt davon überhaupt jemals etwas gehört haben.

Wie schön es doch wäre, wenn Trump noch im Amt wäre, dürfte die Frau aus Berlin in der Nacht heimlich denken. Er passte doch so gut als Feindbild. Jetzt aber ist dieser kühle Gentleman-Typ Biden ihr gegenüber. Schon in etwa drei Wochen ist Merkel zu Gast im Weißen Haus. Biden dürfte noch etwas freundlicher sein als bisher. Sein Blick dafür aber um etliche Grade kälter. Auch Macron dürfte seine von Merkel angestachelte Eitelkeit bereuen, sich für einen Moment als Leader der Grande Nation gefühlt zu haben. Auch wenn Merkel jetzt gescheitert ist, wird ihr Vorstoß von hinten Spuren in Washington hinterlassen. Eine Frage aber bleibt bei allem: Was sind Angela Merkels Motive? Wessen Interessen vertritt sie? Ist der Einfluß von Kreisen der deutschen Wirtschaft bis hin zu Ex-Kanzler Schröder wirklich so groß?

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