Tichys Einblick
Kampf um politisches Koordinatensystem

Etablierte Parteien und Medien befördern falsches Faschismus-Narrativ

Um zu verhindern, dass das nach links verschobene politische Koordinatensystem in Deutschland wieder nach rechts korrigiert wird, erfinden die etablierten Parteien und Teile der Medien die Gefahr einer nationalsozialistischen Machtübernahme, vor der mittlerweile selbst einzelne Unionspolitker warnen.

JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images

Die Auseinandersetzung um die Wahl des FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten durch die Abgeordneten von CDU, FDP und AfD schlägt immer weitere Kapriolen, bis hin zum unerwarteten Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer vom CDU-Vorsitz. Sie trägt mittlerweile Züge einer von den etablierten Parteien und einigen Medien erzeugten politischen Hysterie, deren Grundlage die vom abgewählten thüringischen Ministerpräsidenten, Bodo Ramelow, in die Welt gesetzte Gleichsetzung dieser Wahl mit der Ernennung Adolf Hitlers durch Paul von Hindenburg im Jahre 1933 ist. Sieht man einmal davon ab, dass damit Björn Höcke mit Paul von Hindenburg und Thomas Kemmerich mit Adolf Hitler historisch in eins gesetzt werden, wird mit dieser Gleichsetzung zweier gänzlich verschiedener politischer und geschichtlicher Ereignisse insinuiert, Deutschland stünde aufgrund der Wahl Kemmerichs durch die AfD kurz vor der Machtübernahme einer neuen NSDAP sowie der Zustimmung zu einem neuen Ermächtigungsgesetz.

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Der Historiker Heinrich August Winkler hat in der Welt am Sonntag vom 9. Februar darauf hingewiesen, wie falsch und schädlich derlei Gleichsetzungen sind. Das hindert aber die SPD und die Grünen nicht daran, sich dem von der SED-Nachfolgepartei DIE LINKE in die Welt gesetzten politischen Narrativ zusammen mit dem CDU-Politiker Peter Altmaier lauthals anzuschließen. Er warf in der Talkrunde von Anne Will vom 9. Februar seiner Partei vor, 1933 in Teilen für das Ermächtigungsgesetz gestimmt und nun in Thüringen denselben Fehler nochmals begangen zu haben. Für beides bat er ausdrücklich um Entschuldigung, übersah dabei aber vollständig, dass die CDU erst nach dem Krieg im Jahr 1945 gegründet wurde. Der in der Talkrunde mit anwesende FDP-Vizevorsitzende Wolfgang Kubicki wies auf diesen für die Union vielleicht nicht ganz bedeutungslosen historischen Sachverhalt hin, wurde von der Moderatorin, die dem neuen Narrativ zur Thüringer Ministerpräsidentenwahl in ihrer Sendung offenkundig mit zum Durchbruch verhelfen wollte, aber umgehend stillgestellt.

Altmaiers Faux Pas und Wills Reaktion darauf zeigen schlaglichtartig, dass es bei der Gleichsetzung der Wahl in Thüringen mit der Machtübernahme der NSDAP nicht um die Abwehr eines drohenden neuen Nationalsozialismus, sondern um die Abwehr aller Versuche geht, das unter Merkel nach links verschobene politische Koordinatensystem der Bundesrepublik wieder zurecht zu rücken. Die Beschwörung eines vermeintlich notwendig gewordenen „antifaschistischen Kampfes“, der früher die Domäne der RAF war und inzwischen die Domäne linksextremer Kampfgruppen (Antifa) ist, wird mittlerweile in das Waffenarsenal der etablierten Parteien übernommen und damit breiter legitimiert. Wer heute die Familie von Thomas Kemmerich bedroht, um Deutschland vor dem Faschismus zu retten, kann dies in dem Bewußtsein tun, einer großen Sache zu dienen, für die sich namhafte Politiker der etablierten Parteien stark machen.

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Beim derzeit ausgetragenen Kampf um das zukünftige politische Koordinatensystem in Deutschland geht es allerdings nicht wie in der Weimarer Republik um die Frage „Demokratie oder Diktatur“, sondern einzig um die Frage, wie weit links und wie weit rechts die Grenzen des politisch Legitimen in einer parlamentarischen Demokratie verlaufen dürfen. Während diese Grenzen nach links inzwischen recht weit reichen und mit der Linken selbst eine Partei mit einschließen, deren Funktionäre in Deutschland vierzig Jahre lang eine „Diktatur des Proletariats“ praktizierten, wurden sie in den letzten Jahren, nicht zuletzt durch die Union selbst, nach rechts zusehends enger gezogen. Als „rechts“ und damit politisch illegitim gelten selbst einzelnen Unionspolitikern inzwischen viele Positionen, die unter Helmut Kohl noch zum Kernbestand christdemokratischer Identität zählten. Dazu zählt unter anderem auch die Zustimmung zur friedlichen Nutzung der Kernenergie.

Die AfD hat diesen Prozess der Grenzverschiebung nach links mit ihren Wahlerfolgen vorerst gestoppt und fordert Korrekturen, die auch in Teilen der Union, und dort nicht nur in den neuen Bundesländern, schon länger gefordert werden. Solche Forderungen muss man nicht teilen, in einer Demokratie aber akzeptieren, solange sie sich nicht gegen das demokratische System selbst richten und dessen Abschaffung fordern. Derlei Forderungen werden von den seriösen Kritikern der Verschiebung des politischen Koordinatensystems nach links nirgendwo aufgestellt, dafür zum Beispiel aber die Forderung, etwa in der Asylpolitik oder der Europapolitik geltendes Recht wieder anzuwenden, das mit unterschiedlichen Begründungen nicht mehr angewendet wird.

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Der Staatsrechtler und frühere CDU-Minister Rupert Scholz hat in diesem Zusammenhang in einem Interview mit Welt online vom 27. Januar festgehalten: „Die Migrationsentscheidung vom Herbst 2015 war verfassungswidrig und europarechtswidrig. Ein Zustand, der bis heute andauert. Leider hat dies bis heute keine Partei thematisiert, mit Ausnahme der AfD.“ Er fordert die Rückkehr zum geltenden Recht, gegen das nicht nur in der Asyl- und Migrationspolitik sehenden Auges verstoßen wird. Da die Vertreter solcher Forderungen in der Union bislang aber zunehmend weniger Gehör finden und bis heute abgewiesen werden, bleibt ihnen bislang kein anderer Weg, als den Druck auf die eigene Partei von außen wie von innen zu erhöhen. Auch dies ist alles andere als ein Akt gegen, sondern ein Akt für die Demokratie. Ihn als eine Hinwendung zum Faschismus zu diffamieren, ist mehr als nur ein starkes Stück.

Die linken Parteien in Deutschland, zu denen man inzwischen auch Teile der Union zählen muss, haben an einer „Rechts-Korrektur“ des politischen Koordinatensystems, die in anderen Ländern wie etwa den USA, Großbritannien oder auch Österreich schon längst demokratisch vollzogen ist, naheliegenderweise kein Interesse und bekämpfen es mit allen ihnen zur Verfügung stehenden, auch unlauteren Mitteln. Ihnen zur Seite stehen dabei die meisten etablierten Medien, allen voran das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das seinen „Kampf gegen Rechts“ nicht nur aus ideologischen Gründen, sondern auch aus unmittelbar materiellen Eigeninteressen führt. Ein weiteres Erstarken der AfD in den Ländern und im Bund würde die derzeit geplante Erhöhung der Zwangsgebühren erschweren und das öffentlich-rechtliche Abgabensystem unter Umständen selbst ins Wanken bringen. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn Anne Will und Maybrit Illner alle Standards politisch neutraler, professioneller Moderation über Bord werfen, wenn es mal wieder nicht anders geht, als jemanden von der AfD in ihre Talkrunden einzuladen, die dann regelmäßig mit tatkräftiger Unterstützung der Moderatorinnen in AfD-Tribunale münden.

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Tapfer zur Seite steht den selbsternannten antifaschistischen Kämpfern gegen „Rechts“ auch das einstige „Sturmgeschütz der Demokratie“, der SPIEGEL. In seiner jüngsten Ausgabe schreibt er, der Thüringer Landtagsfraktion der CDU gehe es um die Botschaft: „Lieber mit der Rechten kungeln, als mit der Linken an der Macht leben.“ Dass das Ziel einer sich traditionell der politischen Rechten zuordnenden liberal-konservativen Partei nicht darin bestehen kann, „mit der Linken an der Macht zu leben“, scheint dem Autorenteam des SPIEGEL eine so abwegige Vorstellung zu sein, dass auch sie das neue Narrativ befördern, in Thüringen ginge es bei der Frage, wer dort Ministerpräsident wird, wie am Ende der Weimarer Republik um die Frage von „Demokratie oder Diktatur“.

Angesichts einer solchen ebenso geschichtsvergessenen wie verantwortungslosen Dramatisierung eines in Demokratien nicht nur normalen, sondern sogar existenznotwendigen Konflikts um die Austarierung des bestehenden politischen Koordinatensystems, muss man sich nicht wundern, wenn linksextreme Kampfgruppen sich aufgerufen fühlen, gegen Politiker der AfD, inzwischen aber auch der FDP mit Mitteln vorzugehen, die nicht an wirkliche Antifaschisten, sondern an die Kampfgruppen von NSDAP und KP erinnern. Wenn der AfD zurecht vorgehalten werden kann, sie befeure mit der dramatisierenden, radikalen Rhetorik von einigen ihrer Führungsfiguren und Vordenker Gewalttaten der rechtsextremen Szene, dann gilt dies mittlerweile ebenso für Teile der etablierten Parteien und Medien und die in der linksextremen Szene mittlerweile um sich greifende Progromstimmung gegen „Rechte“, gleich welcher Partei. Es ist deswegen höchste Zeit, dass beide Seiten politisch wie rhetorisch ab- statt weiter aufrüsten. Zur Hoffnung, dass sie dies tun werden, gibt es angesichts der aktuellen Aufrüstungs-Aktivitäten unserer selbsternannten „Anti-Faschisten“ in Politik und Medien indes wenig Anlass.

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