Tichys Einblick
BverfG gegen EuGH

Eine weitere Klage gegen ein neues „Corona – Programm“ der EZB wird nötig

Um weiteren Schaden von den Bürgern abzuwenden, kann es notwendig sein, mit einer weiteren Klage gegen ein neues unter der Flagge „Corona – Programm“ segelndes Euro-Rettungsprogramm vorzugehen. Wie das BVerfG klargestellt hat, können wir nicht damit rechnen, dass die von uns gewählten Vertreter dafür Sorge tragen.

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Das Bundesverfassungsgericht (BverfG) hat am 5. Mai 2020 ein historisches Urteil gefällt, das den Klägern in ihrer Sorge um die Rechtsstaatlichkeit, die Freiheit und die demokratische Basis der Europäischen Union (EU) recht gibt und damit für die Bürger der Bundesrepublik Deutschland und der EU insgesamt einen großen Erfolg darstellt. Die Kläger hatten nicht damit gerechnet, dass sich ihre Bedenken eins zu eins im Urteil des BverfG wiederfinden.

Bereits bei der mündlichen Verhandlung im Sommer des letzten Jahres hat das BverfG ausdrücklich auf die Schäden hingewiesen, die wegen der Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) im Rahmen des Public Sector Purchase Programme (kurz PSPP) für die Bürger unseres Landes, aber beileibe nicht bloß bei uns, entstehen: wachsende Staatsverschuldung, Entwertung der Sparguthaben, Unterminierung der Altersvorsorge, explodierende Immobilienpreise sowie Überleben wirtschaftlich nicht existenzfähiger Unternehmen (Zombie – Unternehmen). Die Liste ließe sich beliebig verlängern.

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Die französische, aber auch die italienische Regierung haben dem BverfG das Recht abgesprochen, über die Politik der EZB und die Rechtsprechung urteilen zu können. Der Sprecher der EU kommentierte entsprechend: „Wir bekräftigen den Vorrang des EU-Rechts und die Tatsache, dass die Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) für alle nationalen Gerichte bindend sind.“ Doch gilt dies nur, solange die Richtsprüche des EuGH dem Grundgesetz entsprechen.

Wir Kläger haben es uns nicht nehmen lassen, die Verhandlungen des EuGH in Luxemburg mit zu verfolgen. Die unterschiedliche Vorgehensweise fiel auf: Die deutschen Prozessvertreter prüften strikt die Kompatibilität der Aktivitäten der EZB mit den Europäischen Verträgen und zeigten auf, wo sie die Grenzen zur monetären Staatsfinanzierung überschreitet und außerhalb ihres Mandats handelt. Die übrigen Prozessvertreter prüften, ob die Politik der EZB mit den Interessen ihrer Länder übereinstimmten. Bei der Lektüre des Urteils des EuGH fällt auf, dass der Beweisgang vom Ende her geführt wird: Die Eurozone muss erhalten bleiben und jede Aktion der EZB, die diesem Ziel dienen soll, ist integrationspolitisch gerechtfertigt und notwendig. Dabei stützt sich der EuGH in seiner Begründung auf die Vorlage der EZB. Weil sich der EuGH nicht am europäischen Recht, sondern am Tun der EZB orientiert, hat ihm das BverfG vorgeworfen, eine ultra-vires Entscheidung getroffen zu haben, also außerhalb seiner Kompetenzen liegend.

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Das BverfG hat der Deutschen Bundesbank eine weitere Teilnahme am PSPP untersagt, wenn nicht die EZB in einer Dreimonatsfrist eine vertragskonforme Rechtfertigung vorlegt, wobei auch die Nebenwirkungen ihrer Politik geprüft werden müssten. Deutsche Chefvolkswirte gehen davon aus, dass die Armada von Volkswirten und Juristen, über die die EZB verfügt, einen solchen Nachweis ohne Schwierigkeiten erbringen könne. Manche Beobachter glauben daher, dass die Vorgabe bloß ein symbolischer Akt sei, aber keine tatsächliche Wirkung entfalte. Wir nehmen dagegen an, dass mehr dahinter steckt. Die Methode Draghi – ich lasse mir etwas einfallen, sammle die Stimmen der überschuldeten Mitgliedstaaten des Zentralbankrates und lasse dann abstimmen – wird vorbei sein. Auch die Kriterien für den Ankauf von Staatsanleihen – nicht mehr als ein Drittel der nationalen Schuld bei Beachtung des Kapitalschlüssels – werden Beachtung finden müssen. Die Einhaltung dieser Kriterien zu gewährleisten, ist dann die Aufgabe der Bundesbank. Allerdings braucht sie die Rückendeckung von Bundesregierung und Bundestag. Doch sind diese beiden Institutionen bisher ihrem Auftrag, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden, nicht nachgekommen.

Deutlich formulierte das BverfG deshalb seine Kritik an der Bundesregierung und am Bundestag als parlamentarischer Kontrollinstanz, die hier ihre Aufsichtspflicht gegenüber der EZB und damit der Verantwortung gegenüber den Bürgern dieses Landes nicht gerecht geworden sind. Unmittelbar daraus folgt nun, dass Bundesregierung und Bundestag zukünftig verpflichtet sind, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden politischen und rechtlichen Mitteln darauf hinzuwirken, dass die EZB ihren aus diesem Urteil folgenden Rechtspflichten nachkommt. Dies bedeutet im Einzelnen, dass eine tragfähige Begründung für die Nebenwirkungen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen erbracht werden, sowie ein Ausstiegsszenario aus diesem Programm erarbeitet werden muss. Erfolgt dies nicht, so ist es der Bundesbank verwehrt, weiterhin an den Anleihekäufen im Rahmen des PSPP mitzuwirken.

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Dies ist eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung, die in der Vergangenheit nur zu gern weggeschaut hat, sicherte doch das „whatever it takes“ dem ehemaligen Vorsitzenden der EZB, Mario Draghi weitreichenden Handlungsspielraum zu, wodurch den südeuropäischen Ländern Zeit verschafft werden sollte, um notwendige Reformen durchzuführen (was im Übrigen bis heute weitgehend unterblieben ist). Es war auch eine Ohrfeige für den Bundestag, der seine parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung weitgehend aufgegeben hat. Das jahrelange bewusste Wegsehen von Bundesregierung und Bundestag war gegenüber der Euro-Zone und der EZB bequem, denn politische Entscheidungen, den gemeinsamen Währungsraum betreffend, konnten beliebig in die Zukunft verschoben werden. Damit hat der Deutsche Bundestag seine Zuständigkeit für die Budget-Hoheit vernachlässigt – seine höchste Pflicht.

Dem hat das BverfG nun einen deutlichen Riegel vorgeschoben, in dem er diese Institutionen daran erinnert hat, wem sie verpflichtet sind: den Wählern dieses Landes. Die Adressaten hingegen erwecken den Eindruck, als hätten sie diesen Schuss vor den Bug nicht wahrgenommen.

Im Rahmen des PSPP sind in den vergangenen Jahren 2,6 Billionen, davon 2.200 Milliarden Euro für Staatsanleihen, in den Geldkreislauf geblasen wurden, ohne dass dadurch eine messbare Wirkung erzielt wurde, wie bei der Anhörung im Juli 2019 vom BverfG festgestellt werden musste. Hinzu kommen die Verpflichtungen im Rahmen des Target-2-Systems, die sich momentan bei ca 935 Milliarden Euro bewegen.

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Das nun neu aufgelegte Anleihekaufprogramm PEPP, das die finanziellen und wirtschaftlichen Gefahren aus der Corona-Krise abfangen sollen, ist zunächst bis Ende 2020 mit 750 Milliarden Euro veranschlagt. Nach den Erfahrungen mit dem PSPP ist davon auszugehen, dass auch hier zukünftig mit weiteren „Fantastilliarden“ operiert wird. Es steht zu befürchten, dass auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen nicht geprüft und weiterhin Euro-Rettung unter dem Deckmantel der Pandemie-Bewältigung betrieben wird.

So ist das Urteil vom Dienstag ein großer Erfolg für die Demokratie. Um weiteren Schaden von den Bürgern dieses Landes abzuwenden, kann es jedoch notwendig sein, mit einer weiteren Klage gegen ein neues unter der Flagge „Corona – Programm“ segelndes Euro-Rettungsprogramm vorzugehen. Wie das BVerfG klargestellt hat, können wir nicht damit rechnen, dass die von uns gewählten Vertreter dafür Sorge tragen.


Die Verfasser Hans-Olaf Henkel, Bernd Kölmel, Joachim Starbatty und Ulrike Trebesius sind ehemalige Abgeordnete des Parlaments der EU.