Tichys Einblick
Schwarzgrün allein

Eine neue politische „Mitte“ soll es machen als Minderheitsregierung

Regelrecht geschwärmt wird von CDU, CSU und Grünen von ihrem Bündnis der „politischen Mitte“. Dann sollten Union und Grüne auch zusammen regieren. Die Kanzlermehrheit ist quer durch alle Fraktionen zu kriegen - wg. persönlicher Angst vor Neuwahlen

Nachdem seit Sonntag Nacht offenkundig ist, dass mit Merkel nur die Grünen zusammen regieren wollen, sollte die SPD dieser neuen Liebesheirat nicht dadurch im Wege stehen, dass sie nun doch noch einer Neuauflage der Großen Koalition ihren Segen gibt. Damit würde sie sich zwar bereit erklären, die Suppe, die sie zusammen mit Merkel dem Land und seinen Bürgern mit ihrer Flüchtlings- und Migrationspolitik eingebrockt hat, in den nächsten vier Jahren gemeinsam auszulöffeln; diesen Gefallen sollte sie der Kanzlerin trotzdem nicht tun, da diese damit erneut über eine satte Mehrheit verfügen würde, mit der sie so weitermurksen kann wie bisher. In dieser Hinsicht ist Schulz zuzustimmen, wenn er betont, dass die Große Koalition mit zusammen vierzehn Prozent Verlusten am 24. September abgewählt wurde. Hinzu kommt, dass Merkel bei jeder Gelegenheit öffentlich betont, sie habe keinerlei Fehler gemacht und wolle ihre Politik unverändert fortsetzen. Eine solche, zur Selbstkritik unfähige Kanzlerin darf nicht dadurch belohnt werden, dass man ihr erneut die Kanzlermehrheit verschafft.

Dazu sind nach gegenwärtiger Lage der Dinge einzig die Grünen bereit. Nachdem im Anschluss an die Landtagswahlen im Saarland und Nordrhein-Westfalen zu Beginn des Jahres immer klarer wurde, dass es zu keiner rot-rot-grünen Regierung auf Bundesebene kommen konnte, setzten die Grünen zusammen mit Merkel, Altmaier und anderen aus der CDU auf ein schwarz-grünes Regierungsbündnis. Die Wähler verhinderten dann allerdings Merkels Wunschkoalition, der durch den Einzug der AfD und der FDP zulasten von CDU und CSU die erforderlichen Stimmen fehlen. Mit Jamaika sollte die FDP Schwarz-Grün diese Stimmen verschaffen, wofür sie von ihren Wählern aber nicht gewählt wurde. Diese wählten sie für ihr Wahlprogramm, in dem zehn „Trendwenden“ gefordert werden, von denen sich in den Sondierungsgesprächen offenkundig keine einzige als realisierbar erwies. Da war es, wie die Verhandlungsführer der FDP betonen, im Interesse der eigenen Wähler nur konsequent, die Gespräche zu beenden. Was nicht zusammen passt, sollte auch nicht zusammen regieren.

Lauter Minderheitsregierungen
Zahlenspiele – Merkel, Schulz oder Was?
Ganz anders verliefen die Gespräche sowohl nach Darstellung der Verhandlungsführer von CDU/CSU wie der Grünen. Demnach handelte es sich schon gar nicht mehr um Sondierungen, sondern um detaillierte Koalitionsgespräche in zahlreichen Verhandlungsgruppen. Während die FDP also, wie vereinbart, nur sondieren wollte, verhandelten CDU/CSU und Grüne aus ihrer Sicht schon längst einen Koalitionsvertrag, der am letzten Sonntag kurz vor seinem Abschluss stand. Das lag ganz auf der Linie der im Wahlkampf angestrebten Koalitionsbildung, für die zwar nicht offen geworben, dafür aber umso intensiver gearbeitet wurde. Dabei dürfte unter anderem eine Rolle gespielt haben, dass Merkels entschiedenste Unterstützer ihrer Flüchtlings- und Migrationspolitik aus den Reihen der Grünen kommen, allen voran Kretschmann, Özdemir, Göring-Eckardt und Hofreiter. Sie kann deswegen hoffen, durch eine Koalition mit den Grünen am ehesten in der Lage zu sein, das fortzusetzen, was sie im September 2015 begonnen hat und nach eigenem Bekunden weiter fortführen will.

Zwischen CDU/CSU und Grünen passt seit den Verhandlungen also vieles zusammen, nachdem es vor den Verhandlungen, insbesondere bei der Flüchtlings- und Migrationsfrage, noch anders ausgesehen hat. Regelrecht geschwärmt wird von Vertretern aller drei Parteien von einem neuen Bündnis der „politischen Mitte“, das auf den Weg gebracht und von der FDP leider aufgegeben worden sei. Wenn dem so ist, sollten Christdemokraten und Grüne auch zusammen regieren. So könnten sie die nächsten vier Jahre beweisen, was dieses neue Bündnis für das Land und seine Bürger bewirken kann. Allerdings müssten sie sich für ihre Politik die erforderlichen Mehrheiten bei den anderen Parteien suchen. Dies lässt das Grundgesetz in weiser Voraussicht in Form einer Minderheitsregierung zu, wenn es zu einer eigenen Mehrheit nicht reicht.

Lügen sind Lügen
hart aber fair: Die Mär vom grünen Entgegenkommen
Dass es eine solche Regierung auf Bundesebene bislang noch nicht gegeben hat, ist kein Grund, sie nicht zu bilden. Ob die Christdemokraten und die Grünen den Mut haben, sich darauf einzulassen, muss man erst noch sehen. An potentiellen Stimmen im Parlament, die Merkel zur Kanzlerin einer schwarz-grünen Minderheitsregierung wählen könnten, fehlt es jedenfalls weder bei SPD noch bei FDP. Und warum sollten, um für ihre persönliche Wiederwahl riskante Neuwahlen zu verhindern, nicht sogar einzelne Abgeordnete der AfD und der Linken der Kanzlerin ihre Stimme geben? Das weiß auch der Bundespräsident, von dem wir aber nicht wissen, ob er die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und Grünen auf diese Option (schon) angesprochen hat. Sollte er dies nicht getan haben, sollten ihn die Parteivorsitzenden von SPD und FDP darauf ansprechen. Der Ball des weiteren Vorgehens liegt nämlich keineswegs nur bei ihnen, sondern noch mehr bei CDU, CSU und Grünen, die ihre gemeinsame Regierungsbereitschaft inzwischen öffentlich mit Nachdruck bekundet haben.

Vorbild für eine solche Regierung könnte Schweden sein, wo seit 2014 eine Minderheitsregierung mit den Grünen besteht. Durch den Wahlerfolg der Schwedendemokraten, mit denen niemand koalieren möchte, konnten weder die Parteienbündnisse „Allianz für Schweden“ noch die „Rotgrünen“ eine Mehrheit bilden. Daraufhin bildeten die Sozialdemokraten, die mit 31,01 Prozent als stärkste Fraktion abschnitten, zusammen mit den Grünen, die nur 6,89 Prozent der Stimmen erhielten, eine Minderheitsregierung, die seitdem das Land regiert. Die inhaltlichen Schnittmengen zwischen diesen beiden Parteien sind dafür offenkundig so weitreichend, wie sie es zwischen den deutschen Christdemokraten und Grünen spätestens seit Sonntag Nacht auch sind. Die neue Minderheitsregierung könnte auch recht schnell gebildet werden, da zwischen CDU/CSU und Grünen schon so gut wie alles verhandelt ist. Wie in vier Jahren die Wähler dieser Parteien die Arbeit ihres neuen Bündnisses der „politischen Mitte“ bewerten, wird man dann sehen.


Roland Springer arbeitete als Führungskraft in der Autoindustrie. Er gründete im Jahr 2000 das von ihm geleitete Institut für Innovation und Management. Sein Buch Spurwechsel – Wie Flüchtlingspolitik wirklich gelingt erhalten Sie in unserem Shop www.tichyseinblick.shop