Tichys Einblick
IDEOLOGISCHE BEDEUTUNGSVERZERRUNGEN

Die Sprache „gerecht“ machen?

Es ist gewaltsame Politik, wenn gar nicht mehr versucht wird, das Spiel zu gewinnen, sondern man die Regeln gemäß der eigenen Gesinnung umschreibt. Eine philosophische Erledigung des moralisch niederträchtigen und politisch heimtückischen Projekts, eine „gerechte“ Sprache zu schaffen. Von Michael Andrick

IMAGO/Steinach

Das Ansinnen, die Sprache umzuformen, um sie „diskriminierungsfrei“ oder, nach anderen Maßstäben, „gerecht“ zu machen, ist ein Element des Übergangs einer offenen zu einer geschlossenen, einer liberalen zu einer repressiven Gesellschaft. Ideologische Sprachkorrektur ist aus moralischer Niedertracht geborene poli- tische Heimtücke, die in ebenso diktatorischem wie totalitärem Geist ausgeübt wird – wie freundlich, verbindlich und besorgt ihre Vertreter sich auch immer geben. Zudem beruht dieses Unterfangen auf Begriffsverwirrung. Belegen wir diese Thesen nun schrittweise.

Stellen wir uns vor, alles Deutsch wäre durch-„gegendert“, durch-„antidiskriminiert“, durch-„diversifiziert“ und so fort – und nun läge vor uns das Dudel des neuen Deutsch; fortan kurz: das Dudel. (Das Werk kann nicht mehr „der Duden“ heißen, denn damit würde die Sprache einseitig männlich besetzt.) „Sie und Ihre Redaktion erarbeiten und verwalten also den Standard für Sprach-Gerechtigkeit?“, würde ich den Herausgeber fragen. „Ja, so kann man das sagen“, müsste er mir entgegnen.

Ob ein Ausdruck oder eine ganze Sprache „gerecht“ ist oder nicht, kann selbst nach frei gewählten Maßstäben der Gerechtigkeit hinterfragt werden. Dabei verwenden wir natürlich die Sprache, die wir mit den Dudel-Machern teilen – von der diese annehmen, sie sei „ungerecht“ und korrekturbedürftig. Dies ist nicht lediglich eine ihrer Thesen, es ist ihre fundamentale Prämisse – die Annahme, auf der all ihre Überlegungen und Aktivitäten für eine „gerechte“ Sprache beruhen.

Egal welchen Einwand ich nun gegen einen einzelnen „korrigierten“ Ausdruck oder gegen die Leitidee einer „gerechten“ Sprache vorbringe, die Antwort des Dudel-Teams wird im Kern immer dieselbe sein: „Sie benutzen eine diskriminierende, rassifizierende, diversitätsfeindliche Sprache. Deshalb ist Ihr Einwand nur ein weiterer Beleg des Problems, gegen das wir ankämpfen.“

Falsche Prämisse

Doch die Prämisse von der „ungerechten“ Sprache, an der alles hängt, ist falsch. Zunächst einmal wäre es in einer im Ganzen ungerechten Sprache logisch unmöglich, die Ungerechtigkeit dieser Sprache mit den Mitteln dieser Sprache festzustellen. Wie sollte diese Ungerechtigkeitsdiagnose nicht ihrerseits von der Ungerechtigkeit der ungerechten Sprache betroffen sein? Wenn alle Berliner lügen, so kann man auch dem Berliner, der einem dies er­ klärt, nicht über den Weg trauen. Der Schlaf der Semantik, so können wir Francisco de Goya abwandeln, gebiert Ungeheuer. Oder Lacher?

Gerechtigkeit ist zudem eine Eigen­schaft von Sachverhalten und den Aus­sagen, die sie ausdrücken; auch ein Mensch kann als gerecht bezeichnet werden. Keineswegs aber ist Gerechtig­keit eine Eigenschaft des Zeichensys­tems, in dem unsere Aussagen formu­liert werden. Zu behaupten, eine ganze Sprache sei ungerecht, ist logisch unge­reimt, es beruht auf einer Verwechslung oder Vermengung der bedeutungsmä­ßigen Dimensionen „Sprache“ (als Zei­chensystem) und „Ausdruck“ (als seine konkrete Anwendung).

Denselben Fehler würde jemand be­gehen, der das Tonsystem der abend­ländischen Musik oder die Farbpalet­te im Tuschkasten „hässlich“ nennt. „Hässlich“ oder „schön“ sind Eigen­schaften, die nicht einem Tonsystem oder dem Tuschkasten zukommen, son­dern dem einzelnen Werk, das mit den Mitteln dieses Tonsystems oder Tuschkastens kreiert wurde. Wer ein Ton­system als „hässlich“ bezeichnet, hat die Begriffe „Tonsystem“ und „Stück“ nicht trennscharf verstanden; oder er hat sie verstanden und will unser Den­ken und Sprechen manipulieren.

„Nur ein paar Diskurse korrigieren“

„Nun gut, nicht die ganze Sprache ist ungerecht. Es gilt, einige ungerechte Diskurse in der etablierten Sprache zu korrigieren“ – so das unvermeidliche Zugeständnis der Sprachreformer. Auch diese Position ist jedoch unhaltbar.

Ein Diskurs ist die Summe dessen, was in einer Sprechergemeinschaft zu
einem bestimmten Thema gesagt wird. Nun kann es in einer Sprache entwe­der einen oder aber mehrere Diskurse geben, die jemand als „ungerecht“ be­zeichnen möchte; im ersten Falle wäre das Projekt ideologischer Sprachkorrek­tur unnötig, und eine thematische PR­-Offensive würde ausreichen.

Wir müssen also davon ausgehen, dass es dem Team Dudel im Plural um Diskurse geht, die „korrigiert“ werden sollen: Man muss schon die zentralen Probleme des Zusammenlebens sprach­lich „in Ordnung bringen“, wenn eine neue Gesellschaft realisiert, etwa „das Patriarchat“ überwunden oder endgül­tig „Rassismus die rote Karte“ gezeigt werden soll.

Deshalb wird die Standardantwort der Sprachreformer auf alle Einwände wieder greifen. Wo das Sprechen über Frauen, Männer, Hautfarbe, Herkunft (geografisch wie sozial), Migration, Ge­schichtsschreibung, Philosophie, Sexu­alität und so weiter und so fort sich im Visier der ideologischen Sprachreform befindet, da ist es immer möglich, et­was zu monieren, was an „ungerechten“ Denk­- und Redeweisen in einem Ein­wand aufscheint: „Sie sehen nicht, dass Ihre Formulierung Frauen diskrimi­niert, weil Ihre patriarchale Haltung in der Wortwahl der Nachrichtensendun­gen vorkommt“, „Sie betrachten das aus der typischen heteronormativen Brille, die Schwule und Lesben gar nicht mit­denkt…“, oder so ähnlich.

Wird die ganze Sprache oder eine Rei­he ihrer bestimmenden Diskurse von vornherein für „ungerecht“ erklärt, so können wir im Versuch, dies zu bestrei­ten, mit unserem intuitiven Sprach­gebrauch nur die behaupteten „Un­gerechtigkeiten“ des Sprachsystems reproduzieren. Die Prämisse, die ganze Sprache oder wichtige ihrer Diskur­se seien „ungerecht“, macht es – wenn man sie unbedachterweise akzeptiert – logisch unmöglich, legitime Einwände gegen das Programm der ideologischen Sprachreformer zu formulieren.

Sie möchten sich durch Einführung dieser Prämisse unangreifbar machen und ihre Widersacher buchstäblich ent­mündigen. Das nenne ich, wo es bloß akademisch oder karrierekonform ja­sagend geschieht, kopflose Idiotie; wo es aber in der Absicht geschieht, öffent­liche Wirkung zu erzielen, da ist es poli­tische Heimtücke.

Unangreifbarkeit organisieren

Eine „gerechte“ Sprache gibt es nur um den Preis der Aufgabe des eigenen Urteilens und dessen Überantwortung an eine Zentralautorität. Das Konzept „gerechter“ Sprache ist inhärent dikta­torisch und totalitär: Eine Stelle macht apodiktisch die Ansagen zur richtigen Ausdrucksweise, und wer sie durchset­zen will, der kann keinen Aspekt des menschlichen Lebens, in dem Sprache eine Rolle spielt, unkontrolliert lassen.

Aldous Huxley hat das verstanden und die totalitäre Fantasie der Herr­schaft über Menschen durch Herrschaft über ihre Sprache literarisch gnadenlos ausgesponnen. In seiner „Schönen neu­en Welt“ werden die in Reagenzgläsern erzeugten Menschen während ihres Her­anwachsens buchstäblich be­sprochen.

Das Verfahren nennt er „Hypno­pädie“: Durch stete Wiederholung ab früher Jugend und im Schlaf werden die sittlich erwünschten Vorstellun­gen – differenziert nach fünf Gesell­schaftskasten, deren jede für jeden Heranwachsenden vorbestimmt wird – hypnotisch verankert. Die so implan­tierten Gedanken und Gefühlstönun­gen, erklärt Huxley uns, machen dann „den Geist des Kindes aus, sein ganzes Leben lang“. Zu Recht wird das Buch als Dystopie bezeichnet.

Der Gedanke heutiger Sprachmani­pulatoren ist genau der Gedanke der Huxley’schen Hypnopäden: Wird die Sprache so formatiert, dass der eigenen Zielsetzung gar nicht mehr zuwider ge­redet und gedacht werden kann, so sind die „Bösen“ bald bekehrt. Sie werden von moralischen Fundamentalisten einfach zur Einnahme der ideologi­schen Medizin gezwungen.

„Aber“, so wird man erwidern, „trotz allem meinen Sprachkorrektoren es doch gut: Sie wollen Ausgrenzung über­winden, für andere Perspektiven sen­sibilisieren und so weiter. Wo ist hier bitteschön moralische Niedertracht im Spiel?“ Sie liegt darin, dass die anderen von Sprachaktivisten nicht als mündige Bürger, sondern als Erziehungssubjekte behandelt werden. Eine Anmaßung oh­ negleichen, bar jeder (demokratischen) Legitimation.

Die Verletzung von Sprachregeln im Gestus einer neuen Selbstverständ­lichkeit (von der man weiß, dass sie nicht existiert, denn sonst hätte man keinen Grund, sie zu affektieren) stellt klar, dass man sich nicht auf einer Stu­fe mit dem anderen in einem gleichbe­ rechtigten Austausch sieht – sondern in einer Lehrer­ und Aufklärerposition gegenüber einer erziehungsbedürftigen Mitwelt.

Pädagogische Übergriffigkeit

Mich in meiner Muttersprache mit selbst erfundenen Kunstwörtern oder Kunstaussprachen anzureden ist eine anmaßende pädagogische Übergriffig­keit: Jemand will mich zurechtweisen, als wäre er mir moralisch vorgesetzt oder übergeordnet. Genau so empfin­den Menschen in großen Mehrheiten aller verfügbaren Umfragen die ideolo­gischen Sprachlenkungsversuche.

Stellvertretend zitieren wir hier nur das „RTL/n­tv Trendbarometer“ vom
Juli 2023. Der „Stern“ fasst es mit einem markanten Detailfehler zusammen: Es störe „fast drei Viertel (73 Prozent) der Bundesbürgerinnen und Bürger, wenn Personen ‚Genderzeichen‘ wie Stern­chen, Unterstrich, Doppelpunkt oder eine Pause zu Hilfe nehmen, um ge­schlechtsneutral zu sprechen. […] Le­diglich 22 Prozent der Befragten finden es gut […]. Abgelehnt wird das Gendern von einer großen Mehrheit im Osten wie im Westen des Landes […] Männer stehen dem Thema noch deutlicher gegenüber (77 dagegen, 18 Prozent dafür) als Frauen (70 zu 26 Prozent).“

Hier ist von „Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern“ die Rede, obwohl es sich von selbst ergibt, dass die Teilnehmer einer repräsentativen Umfrage unter Bundesbürgern Männer oder Frauen sind. Das generische Maskulinum wäre angemessen. Auch zu sagen, dass der Autor die Übereinstimmung der An­sichten zum Gendern bei Bürgerinnen und Bürgern hervorheben wollte, wäre falsch – denn er weist später auf die Un­terschiede der Haltung von Männern und Frauen dazu hin.

Wir sehen hier ein kleines Beispiel der Neuformatie­rung sprachlicher Gewohnheiten durch lang währende ideologische Suggestion einer einflussreichen Minderheit.
Der Autor gibt auch einen Hinweis, wer ihn so umerzogen hat: „Die ein­zige Gruppe, die Gendern mehrheit­lich gut findet, sind die Anhänger der Grünen (58 Prozent).“

Statt sich der Lä­cherlichkeit preiszugeben bei dem Ver­such, Erwachsene für die Sprach­- und Sprechfantasien einiger weltfremder Akademiker zu begeistern, möchten sie die Sprache lieber durch kalkulierten Regelbruch in Gespräch und Schriftver­kehr für ihre Zwecke kapern.

„Gendert“ jemand im Gespräch oder führt gar noch andere ideologische Sprachverrenkungen vor mir auf, packt mich spontan Empörung. Höre ich Kre­ationen wie „Mitarbeiter_innen“ mit künstlicher Pause oder andere Affek­tationen des Ausdrucks, so schäme ich mich instinktiv für den anderen und möchte mich auf dem kürzesten Wege verabschieden. Nach den hier ange­stellten Überlegungen verstehe ich die­se Regungen besser; sie erscheinen mir völlig angemessen.

Auslachen als letztes Mittel

Dennoch werde ich mein Reaktions­muster ändern: Nicht nur wer mich „an­gendert“, nein, auch jeder, der nicht zu wissen scheint, dass ein zeitweise „Mit­arbeitender“ deswegen noch kein Mit­arbeiter sein muss (so wie ja auch das zeitweise Geigen eines „Geigenden“ ihn noch nicht gleich zum Geiger macht), wird künftig direkt und öffentlich von mir korrigiert. In ausgesuchter Freund­lichkeit, versteht sich.

Nur wer stur bleibt und nicht zum Deutschen zurückkehren mag, wird als letztes Mittel ausgelacht. Pädagogische Übergriffigkeit muss peinliche soziale Kosten für die Manipulatoren haben. Gehe ich einfach wortlos weg wie bis­her, so steht zu befürchten, dass Team Dudel durchmarschiert, bis niemand mehr ungezwungen reden mag.

Jede Dorfverwaltung meint heute gönnerhaft erklären zu dürfen, man „stelle es im Schriftverkehr frei“ oder „überlasse es jedem selbst“, den Kult der neuen Kunstworte und Atemstockun­gen mitzumachen. Das ist sträflich. Das „Gendern“ muss samt allen anderen ideologischen Sprachmanipulationen sozial geächtet und in öffentlichen Institutionen dienstvorschriftlich verbo­ten werden. Es schadet dem Gemein­wohl, indem es die Grundlage offener Diskussion freier Menschen untergräbt: die gemeinsam und sicher beherrschte Sprache.


Michael Andrick ist Philosoph, Buchautor („Erfolgsleere“, 2020) und Kolumnist der „Berliner Zeitung“ mit langjähriger Wirtschaftserfahrung als Projektleiter in verschiedenen Branchen. Er veröffentlicht u. a. in „Freitag“, DLF Kultur, „Cicero“ und auf den „Nachdenkseiten“.

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