Tichys Einblick
Vergebliche Liebesmüh

Die Neuauflage des Eysée-Vertrages

Begleitet wurde die teure und wirkungslose Spektakel zum deutsch-französischen Freundschaftsvertrag in Aachen von lauten "Buh-" und "Hau ab"-Rufen, die die Akteure nach dem kurzen Posieren für die Kameras schnell ins Innere getrieben haben.

Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

Aachen ist mit seinen 250.000 Einwohnern nicht nur deshalb ein interessantes Pflaster, weil die Stadt dem Regierungspräsidium Köln zugeordnet ist, sondern erst recht, weil Aachen an Belgien und Holland grenzt. Das Verkehrsaufkommen dort ist in alle Richtungen recht hoch. Die Menschen im Dreiländereck sind sich nah – auch ohne aufgesetzte Projekte und Programme. Auch eine Art (kultureller) Hassliebe ist eine Liebe. Belgier, Deutsche und Holländer lachen hier über- und miteinander.

Das Lachen ist in Aachen ein wichtiger Faktor – und über sich selbst lachen zu können, zählt besonders im Rheinland zur Tugend. Politik ist zwar wichtig, aber nicht Alles, und wird nie tierisch ernst genommen.

Der Karlspreis als Beispiel wird an herausragende Persönlichkeiten und sogar an Dinge oder Institutionen (auch die Währung des Euro, €, wurde mit dem Karlspreis ausgezeichnet) genauso in einem festlichen Rahmen verliehen, wie auf der anderen Seite der Orden „wider den tierischen Ernst“, wo jedoch die Mienen der geladenen Gäste etwas weniger staatstragend sind.

Nein, beim Narren-Orden muss gelacht werden, und die Persönlichkeiten dort hatten und haben nicht minder politischen Einfluss als die Karlspreis-Träger.

Am gestrigen Dienstag also, gaben sich Angela Merkel und Emmanuel Macron, dem in Aachen der Karlspreis 2018 auch schon verliehen wurde, 56 Jahre nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrag, das „Ja-Oui-Wort“ für einen neuen „Freundschaftsvertrag“, oder Pakt, wie ihn viele beschreiben.

Im Krönungssaal des Rathaus zu Aachen wurde der neue „Elysée“-Pakt also besiegelt.

Oder den deutsch-französischen-Liebesschwur, könnte man ihn auch frei jeder Ironie nennen, von zweien, die gebeutelt und verlassen von ihren Bürgern, sich aber wenigstens noch aneinander klammernd Schutz und Halt geben. Sie, Frau Merkel, beim französischen „Jupiter“ (der sich zum Volk herablässt und keinen Fauxpas dabei auslässt – ein Parvenü eben), und er, Emmanuel, bei „Maman Oondschöla“.

Neben klassischer Musik im Innern des Rathauses, gaben draußen die angereisten Fans und Protestgruppen von gleich vier angemeldeten Demos, den Ton an. Die Bewegung „Pulse of Europe“ wohl am freundlichsten gesonnen, dann links- wie rechtslastige Gruppierungen, die die Politik der Banken und des Kapitals anprangern – und Emmanuel wird als deren Lobbyist schlechthin gesehen. Begleitet wurde alles von lauten „Buh-“ und „Hau ab“-Rufen, die die Akteure nach dem kurzen Posieren für die Kameras schnell ins Innere getrieben haben.

Noch nie hat sich ein französischer Präsident selbst so schnell demaskiert. Aus seiner Bewegung „En Marche“, wurde nur kurz ein Selbstläufer. Macron und seine Ministerriege als Schauspieler entblättert. Sie zogen los und ließen die hinter sich, die das breite Bürgertum abbilden.

Nicht mit den Franzosen. Macron, gerade mal 41, wirkt überfordert. In Merkels Nähe möchte Emmanuel „verschnaufen“, Kraft tanken. Sie wollen die liberale Phalanx gegen die „Populisten“ (bzw. Realisten) in Europa schließen. Ein Signal setzen. Auf mehr Zusammenarbeit, (noch) mehr Kooperationen zwischen beiden Ländern, den Motoren Europas. Aber immer mehr Bürger im eigenen Land, und auch in den anderen Nationen Europas, nehmen ihnen diese Rolle gar nicht mehr ab. Die Motoren stottern gewaltig.

Merkels Position als Kanzlerin ist seit 2015 geschwächt. Ihr Rücktritt als CDU-Vorsitzende hat ihrem Ansehen europaweit geschadet. Merkel und Macron, die Fassaden bröckeln. Viel Kosmetik ist gefragt.

Vielleicht merkt Merkel im tiefen Innern auch, es war tatsächlich einfacher mit dem „Filou“ Nicolas Sarkozy Politik zu machen, beide wirkten im Umgang eben authentischer. Später schrieben die Medien gar von „Merkozy“. Mit Louis de Funés-Filmen hatte sich Merkel auf Blingbling-Sarkozy vorbereitet. Der hatte lange ein recht gutes Standing in der Bürgerschaft.

Bisschen tätscheln mit Merkel, aber bitte nicht mehr. Beruhte auch auf Gegenseitigkeit. Francois Hollande? Der Sozialist wirkte stets etwas spröde, wie ein Baguette vom Vortag. Angela Merkel und Hollande? Sie stützten sich mit wenigen Gesten der Zuneigung in der Krise, bis Hollande gestürzt wurde (auch über den Terror im eigenen Land und eine unklare Zuwanderungspolitik). Übrigens diente Macron unter Hollande, war dessen Berater für Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Ja, Macron war der Beginn einer kochenden, weil auch berechnenden Partnerschaft. Viele Kritiker meinen, Macron ziele nur auf Merkels (Deutschlands) Geld für die Euro-Zone ab. Und wie meinte noch gestern Prof. Dr. Frank Baasner – Leiter des Deutsch-Französischen Instituts, Ludwigsburg – im Radio während einer Diskussionsrunde? „Die Deutschen waren bei der Wahl Macrons euphorischer, als die Franzosen, die Macron selbst gewählt haben…“. Marie Le Pen, weiblich, aber direkt und „bissig“ wie ein Orban oder Salvini? Merkels Riege seufzte nach Macrons Wahl vor Erleichterung laut auf. Ob Merkel oder Schulz („habe gerade vorhin noch mit Emmanuel Macron telefoniert“), der jüngste gewählte französische Präsident sollte mit seinem anfänglichen Glanz auch ein wenig auf sie abstrahlen.

Und nun soll in Aachen etwas beschworen werden, was das Gros der Bevölkerung in beiden Ländern gar nicht mehr ernst nimmt. Es sei vielmehr „Symbolpolitik“, wie auch die Jugend auf beiden Seiten bemerkt. Der Herausgeber des (noch) erscheinenden deutsch-französischen Magazins „ParisBerlin“, Olivier Breton, meinte: „Es müssen ganz neue Impulse und Personen her…“, überall treffe man seit Jahren, immer auf die selben Akteure, mit den gleichen Sätzen bei irgendwelchen Jahrestagen.

Beide Staatslenker, Merkel wie Macron, haben derzeit sehr viel Angst vor der Unberechenbarkeit der fragilen Gesellschaft. Der Putz bröckelt. Ihr Lachen wird zur Maske.

So gesehen, wird weder Merkel noch Macron je irgendwann der Orden „wider den tierischen Ernst“ verliehen. Irgendwie schade, für Aachen.


Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist. Seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.