Tichys Einblick
Die Linke lobt die FDP

Der Block der Demokraten

Die Linke dürfte mit Blick auf den in Thüringen einfach weiter regierenden Bodo Ramelow eine gewisse Dankbarkeit gegenüber der FDP empfinden; jedenfalls bietet sie der FDP jetzt ihre Hilfe an im großen Sitzordnungsstreit des neuen Bundestages.

Was die Linkspartei gern in Vergessenheit geraten lassen möchte, ist, dass sie nur die mehrfach umbenannte SED ist. Damit trägt sie die historische Verantwortung für die Ermordung oder Inhaftierung von politisch Andersdenkenden, für die Niederschlagung der Demonstrationen am 17. Juni 1953, für den Bau der Mauer – die Liste an Menschenrechtsverletzungen, an staatlichen Terrorakten ist lang. Sicher, man muss sie nicht stets gebetsmühlenartig wiederholen, doch unangebrachter ist es zu vergessen, aus welchem Geist die Partei der Linken entstanden ist. Unvergessen ist Ulbrichts Standpunkt zur Demokratie, der sich in der Doktrin zusammenfassen lässt: Es muss zwar demokratisch aussehen, aber wir müssen die Macht behalten.

In Thüringen behält die Linke die Macht. Obwohl laut Vereinbarung längst Neuwahlen in dem Bundesland hätten stattfinden müssen, bleibt Bodo Ramelow getreu der Ulbricht-Doktrin einfach im Amt – ein Amt, das er übrigens Angela Merkel von der CDU und Christian Lindner von der FDP verdankt, die beide dafür gesorgt haben, dass der demokratisch gewählte Ministerpräsident von Thüringen, Thomas Kemmerich (FDP), am 6. Februar 2020 seinen Rücktritt ankündigte, oder genauer: von Christian Lindner zum Rücktritt genötigt worden war.

5. Februar 2020
Wie Thüringen Deutschland verändern wird
Wenn Historiker einmal fragen werden, wann der Demokratieabbau in der Bundesrepublik Deutschland begonnen hatte, dann werden sie an dem denkwürdigen Tag von Erfurt, an dem 6. Februar 2020, nicht vorbeikommen – an dem Tag, an dem die Forderung einer Bundeskanzlerin, eine demokratische Wahl „rückgängig“ zu machen, erfüllt wurde. Gebildet sollte im Freistaat Thüringen übrigens keine FDP-AfD-Koalitionsregierung werden, obwohl medial der Eindruck insinuiert wurde, sondern eine FDP-CDU-Regierung.

Das wirft so ganz nebenbei die einstweilen theoretische Frage auf: Wie wird sich eine Ampel-Koalition verhalten, wenn in einem Bundesland es die Wahlergebnisse hergeben sollten, dass die AfD entweder an einer Regierung beteiligt wird oder sie gar stellt? Erinnert sich dann die Ampel an die Reichsexekutionen, durch die 1923 die Regierungen von Sachsen und Thüringen unter Einsatz der Reichswehr einfach abgesetzt worden waren? Linke und Sozialdemokraten dürften sich zumindest daran erinnern, da es sich bei beiden Landesregierungen um Koalitionen aus SPD und KPD gehandelt hatte. Pikant an der historischen Reminiszenz ist, dass die Reichsexekution vom Liberalen Gustav Stresemann als Reichskanzler und vom Sozialdemokraten Friedrich Ebert als Reichspräsident ins Werk gesetzt worden waren.

Übrigens existiert vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages eine Ausarbeitung aus dem Jahr 2006 zu diesem Thema unter dem Titel: „Die Bedeutung der Reichsexekution in der Weimarer Reichsverfassung und ihre Anwendung 1923 in Sachsen und Thüringen“, in der es heißt: „Am 27. Oktober 1923 forderte Reichskanzler Stresemann den sächsischen Ministerpräsidenten auf, den Rücktritt der sächsischen Landesregierung herbeizuführen.“ Für den Reichskanzler Stresemann und den Reichspräsidenten Ebert war die an der sächsischen Regierung beteiligte KPD eine gegen die parlamentarische Demokratie gerichtete Partei, Kommunisten in Staatsämtern untragbar.

Es hat schon etwas Symbolisches, auch wenn es ursächlich nicht zusammengehört, dass schon bald nach dem Tag von Erfurt der Shutdown und die Lockdowns kamen, die Regierung sich ans Durchregieren ohne Parlament gewöhnte, sich sogar ein Durchregierungsgesetz genehmigte, in dem die bürgerlichen Freiheiten und die Unverletzlichkeit der Privatsphäre außer Kraft gesetzt wurden und durch die „Bundesnotbremse“ faktisch der Föderalismus, wenn man so will in der Gewaltenteilung die vierte Gewalt, aufgeweicht wurde.

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Die Linke dürfte mit Blick auf den einfach weiter regierenden Bodo Ramelow eine gewisse Dankbarkeit gegenüber der FDP empfinden; jedenfalls bietet sie der FDP jetzt ihre Hilfe an im großen Sitzordnungsstreit des neuen Bundestages. Das besitzt sogar eine innere Logik, nimmt doch die FDP den Platz, an dem man eigentlich die Partei der Linken in der neuen Regierungskoalition gesehen hätte, ein, einer nach wie vor linken Koalition, die sich unbedingt als Koalition der Mitte verkaufen will. Das ist Lindners eigentliches Problem, die linke Koalition den Bürgern als Koalition der Mitte zu verkaufen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken-Fraktion, Jan Korte, sagte indessen der Nachrichtenagentur Reuters: „Den Wunsch, nicht mehr neben der AfD zu sitzen, betrachte ich außerdem als ein Zeichen dafür, dass die Tür für eine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremisten von der AfD ein für alle Mal geschlossen ist und sich Vorgänge wie in Thüringen damit nie wiederholen.“ Symbolisch streicht der Linken-Politiker dem Buben FDP übers Haar und murmelt ein altväterliches: „Brav, brav, liebe FDP.“ Denn so Korte: „Jeder Demokrat, der nicht mehr neben der AfD sitzen möchte, hat meine volle Unterstützung.“

An dieser Stelle ist Korte ganz in der Tradition seiner Partei, ganz in der Tradition der SED, denn die hatte sich – gerade in den frühen Jahren, in den Jahren der Errichtung der „Diktatur des Proletariats“ – als Kämpfer für die Demokratie gegen die Revanchisten, die Boykott-Hetzer, die Nazis, die Militaristen, die Reaktionäre, die Agenten des Kapitals, die restaurativen Kräfte im Westen, die scharf rechts agierten, inszeniert. Denn nur die DDR-Demokratie war die wahre Demokratie – und da in der DDR die „Diktatur des Proletariats“ herrschte, gelang es der Gesellschaftswissenschaft in der DDR, die Diktatur als die Vollendung der Demokratie zu verkaufen.

Bodo Ramelow, die Linkspartei und der Begriff „Unrechtsstaat“
Zur Erinnerung: Im Januar 1950 standen vor dem sowjetischen Militärgericht in Dresden zehn junge Männer, neun Studenten der Universität Leipzig und ein Tischlergeselle, die man verhaftet hatte und nun der Spionage und antisowjetischen Propaganda anklagte. Man hatte die jungen Leute zur „Belter-Gruppe“ zusammengefasst, benannt nach einem der Angeklagten. Der Prozess selbst war verfassungswidrig, weil nach der Verfassung der DDR gegen DDR-Bürger nur vor Gerichten der DDR verhandelt werden durfte. Doch was spielt das Recht für eine Rolle, wenn keine Gewaltenteilung existiert und die Exekutive ihre Macht zum Recht macht.

Das sowjetische Militärgericht verurteilte den einundzwanzigjährigen Studenten Herbert Belter zum Tode. Er wurde nach Moskau verschleppt und im April in den Kellern der Lubjanka erschossen, sein Leichnam eingeäschert, seine Asche in einem Massengrab auf dem Donskoi-Friedhof beigesetzt. In seinem Schlusswort vor dem Tribunal sagte er: „Man klagt mich an, ich hätte antisowjetische, antidemokratische Literatur aufbewahrt. Ich erhebe Einspruch gegen eine solche Bezeichnung dieser Literatur, die bei mir beschlagnahmt wurde. Das ist alles, was ich sagen wollte.“ Zur Literatur, die bei Herbert Belter beschlagnahmt wurde, gehörte auch Goerge Orwells „1984“ als Tarndruckausgabe.

Zu seiner Verteidigung hatte Herbert Belter gesagt, dass er sich illegal betätigt habe, weil er „unzufrieden war mit der Situation an der Leipziger Universität, wir hatten keine Gewissensfreiheit, keine Redefreiheit und keine Pressefreiheit“. Deutlich widersprach er seinen Richtern, wenn er bekannte: „Die Verbreitung der Flugblätter gegen die Wahlen halte ich nicht für illegale Tätigkeit.“ Der Auslöser der Flugblattaktion der Studenten bestand in der ersten Volkskammerwahl in der DDR. Nicht nur, dass die Wahl um ein Jahr verschoben worden war, sie fand auch nicht als freie Wahl, sondern als Blockwahl statt. SED, Christdemokraten und Liberale traten als Demokratischer Block in der Liste der Nationalen Front zur Volkskammerwahl und den Landtagswahlen am 15. Oktober 1950 an, wobei von vornherein festgelegt war, wie viele Mandate auf welche Partei entfielen. Der Wähler konnte nur für oder gegen die Liste stimmen; wer gegen die Liste stimmte, galt als Staatsfeind.

Die Linke besitzt den großen Erfahrungsschatz der SED. Wie sagte Jan Korte doch: „Wir hatten in der Opposition eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der FDP, insbesondere wenn es um Bürgerrechte oder die Rechte des Parlaments ging.“