Tichys Einblick
Ausstieg aus Hirn, Kernkraft und Kohle?

Die „grünen“ CO2-Illusionen – und die Wirklichkeit  

Die deutsche Umweltpolitik hat den schlechtesten aller Wege zum Klimaschutz gewählt. Statt der Fixierung auf Elektromobilität, die nur Arbeitsplätze in der Autoindustrie gefährdet, wäre Technologieoffenheit für alternative Kraftstoffe angebracht.

imago images / Volkmann

Im Wahlkampf ist das Thema Klimawandel und Maßnahmen zur CO2-Eindämmung beherrschend bei fast allen Parteien. Verteuerung, Verbote und staatliche Reglementierungen bildeten dabei die Basis-Steuerungsinstrumente, die von allen politischen Lagern zur Klimarettung eingesetzt werden sollten, natürlich je nach Couleur in unterschiedlichen Mischungen und Schattierungen. Zusätzlich wurden weitere Prämien und Subventionen sowie Umwelt-Investitionen angeboten, um die Bürger zum Umstieg auf Elektromobilität zu animieren.

Das Automobil, durch Dieselskandal und Stau-und Abgasproduktion ohnehin heftig kritisiert, wurde dabei zum Hauptsünder der Klimaveränderung gemacht. 

Keine Rolle in der politischen Diskussion spielte dabei ein kritisches Nachdenken darüber, dass

  • am deutschen Klimawesen die Welt nicht genesen kann; der deutsche Anteil an den globalen CO2 Emissionen beträgt zwei Prozent (Schaubilder 1 + 2)
  • der Anteil des Pkw-Verkehrs an den deutschen CO2 Emissionen 12 Prozent beträgt (Verkehr insgesamt: 20 Prozent), bezogen auf den Welt-CO2-Ausstoß als 0,002,4 Promille. 
  • im Verkehr Klimaschutz am effektivsten durch alternative Kraftstoffe und nicht durch Elektromobilität betrieben werden sollte, da Elektroautos nur dann umweltfreundlicher sind als Verbrenner, wenn sie mit nachhaltig erzeugtem Strom betrieben werden, der Deutschland auf Jahrzehnte hinaus nicht ausreichend zur Verfügung stehen wird.
  • Grüner Strom steht angesichts wachsendem Energiebedarf der Menschheit nirgendwo zur Verfügung – von Ausnahmen wie Frankreich (Atomstrom) und Norwegen (Wasserkraft) einmal abgesehen. 

Quelle: BP, Dr.Bruno Kesseler

Quelle: Eurostat, Dr. Bruno Kesseler

Nun wissen wir aus langjähriger Erfahrung, dass politische Äusserungen und Empfehlungen erfolgreicher und hoch verdienter (auch wörtlich) älterer Wirtschaftsführer in der Regel mit Vorsicht zu genießen sind: Eine heterogene Gesellschaft wie die deutsche, zumal wenn sie im Koalitionsmodus tickt, funktioniert nun mal nicht wie ein Konzern mit streng hierarchischer Führungsstruktur. Nach dem Motto: Es kann nur einen geben – und der weiß (fast) alles (besser). Doch, wie nachfolgendes Beispiel zeigt, gibt es auch Ausnahmen, die das große Ganze im Blick haben.

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Fakt ist, dass eine erfolgreiche Dekarbonisierung, sprich Ausstieg aus der Verbrennung von Kohle, zur Begrenzung der globalen Erderwärmung unabdingbar ist. Strom aus erneuerbaren, nicht fossilen Energien gilt als der Schlüssel für die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Verkehr. Denn dieser „grüne“ Strom würde klimaneutral und kostengünstig erzeugt und soll jederzeit in nahezu unbegrenzter Menge verfügbar sein.

In diesem Fall könnte er laut HRI-Chef Bert Rürup tatsächlich dafür sorgen, dass das vermutlich größte und teuerste Projekt in der Menschheitsgeschichte ohne größere Wohlstandsverluste gelingen könnte. 

Doch die deutsche Realität ist eine – im Wahlkampf völlig unterschlagene – andere: 

  • Der Anteil der Kohle an der Stromerzeugung ist entgegen dem vorherigen Trend wieder angestiegen. Anders als die Politik immer wieder suggeriert, wird Strom also keineswegs immer grüner. Das Gegenteil ist richtig. Im ersten Halbjahr 2021 stieg in Deutschland die Stromerzeugung aus konventionellen Energieträgern (Steinkohle, Braunkohle, Erdgas) gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 20,9 Prozent. Das entspricht einem Anteil von 56 Prozent an der gesamten Stromerzeugung. Lediglich in 2020 hatte der Anteil von Windenergie, Photovoltaik-, Wasser- und Biomasse am deutschen Strommix erstmals die 50-Prozent Marke überstiegen.    

Wichtigster Energieträger war im 1. Halbjahr 2021 aufgrund des windarmen Frühjahrs die Kohle. Mit einem Zuwachs von 35,5 Prozent verzeichnete der Strom aus Kohlekraftwerken den höchsten Anstieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Die Einspeisung aus erneuerbaren Energien sank dagegen um 11,7 Prozent. Insbesondere die Stromeinspeisung aus Windkraft war mit einem Rückgang um 21 Prozent deutlich niedriger als im 1. Halbjahr 2020. 

„Wunsch und Wirklichkeit klaffen also meilenweit auseinander.“ (Bert Rürup)

  • Und die Strompreise steigen und steigen, Deutschland hat in Europa die höchsten Strompreise. Im September 2021 bezahlten Händler, die sich kurzfristig mit Strom eindeckten, für die Megawattstunde sogar etwas mehr als 200 Euro. Das ist der höchste Preis seit knapp zehn Jahren. Dafür nennt Rürup zwei Gründe: Zum einen sind auf dem Weltmarkt die Preise für Steinkohle und Gas nahe ihren historischen Höchstständen. Zum anderen treibt die hohe inländische Stromnachfrage die Preise nach oben. Jedes neue Elektroauto auf Deutschlands Straßen leistet dazu seinen Beitrag – und wird zwangsläufig mit „schmutzigem“ Kohlestrom angetrieben.

Ähnlich hat sich Wolfgang Reitzle, der ein ganzes Berufsleben an exponierter Stelle in der Autoindustrie (BMW, Ford, Continental) und zuletzt als Vorstandschef bei Linde verbracht hat, in den Wochen vor der Wahl geäußert. Older statesman Reitzle hat für seine wählenden Landsleute folgende unbequeme Wahrheiten parat (alle Zitate nach Gabor Steingart, The Pioneer)

  • Deutschland hat seine Spitzenposition in der Welt verloren. Nur noch bei Steuern, Umverteilung und beim Strompreis seien wir führend. 

“Und genau dafür haben einige Parteien konkrete Pläne, diese Führungsposition weiter auszubauen.“

  • Die Deutschen denken kleinkariert. Der Nationalstaat sei als Denkraum zu klein, um dem Klimawandel effektiv begegnen zu können. „Das Klima retten wir entweder global oder gar nicht. “

Dazu Reitzle: „Auf dem Planeten werden bis 2050 rund 2,5 Milliarden mehr Menschen leben. China hat alleine in 2019 fast genauso viel Kohle-Kapazität neu aufgebaut, wie wir bis 2038 vom Netz nehmen wollen. “

„In Afrika besitzen heute 600 Millionen Menschen keine Steckdose, aber sie werden berechtigterweise schon sehr bald eine haben.“

  • Wir brauchen Technologieoffenheit, um Klimaneutralität auf dem Planeten zu erreichen. Reitzle rät zu Wasserstoff. „Nehmen Sie das Thema Wasserstoff. Es begleitet mich beruflich schon seit Jahrzehnten. Und die Chancen dieser Technologie sind enorm. Trotzdem setzen wir heute fast ausschließlich auf Batterietechnologie“. Wie kommt das? Nun, es kommt durch die politischen Rahmenbedingungen. Dadurch, dass man eben nicht gesagt hat: „Mal sehen, welche Technologie sich durchsetzt“. Sondern: „Wir wissen im Vorhinein, was am besten ist.“ Nämlich: die Batterie!“

Reitzle warnt: „Die Folge ist: In der Autoindustrie bleibt kein Stein auf dem anderen. Hunderttausende alte Arbeitsplätze sind gefährdet. Für viele tausend neue Jobs fehlen die qualifizierten Leute. …Kriegen wir das trotzdem hin? Ja. Irgendwie schaffen wir das, würde Angela Merkel sagen. Aber zu einem hohen Preis. “

  • Reitzle ist dieser Preis zur Klimarettung zu hoch – und der Gesellschaft mit Sicherheit auch, wenn nicht nur darüber gesprochen wird, sondern wenn es ans tatsächliche Zahlen geht! So wie bei den Strompreisen und an der Zapfsäule. 

Denn: Viel hilft nicht viel! „ Ganz gleich, wie weit wir hier gehen mit der Deindustrialisierung; das Klima retten wir mit all dem eben leider nicht. Der Zweck, der alle Mittel heiligen soll, wird durch diese Mittel gar nicht erreicht! “ 

Als Begründung führt Reitzle an:

„Ein vollelektrischer Pkw zum Beispiel, der seinen Strom aus einer deutschen Steckdose lädt, fährt nicht CO2-frei. Im Gegenteil: Unser Strommix ist nicht nur besonders teuer. Er ist auch besonders schmutzig (CO2-lastig). Und wenn demnächst das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht, wird er für lange Zeit noch schmutziger. “

  • Die finanziellen Folgen der gewählten dirigistischen Klimapolitik werden Deutschland und Europa überfordern. Und das Schlimmste ist, dass die Befürworter dieser Klimapolitik die Gefahren kennen und glauben, dass alles mit dem Geldmantel der Notenbanken gnädig zudecken zu können. 

Weit gefehlt! Für Reitzle führt der Weg „ …in die Schulden- und Transferunion. Es führt zur Inflation. Und irgendwann führt es zur Destabilisierung des Euro.“ 

Reitzle schließt seine Überlegungen mit einer originellen Metapher:

„Unsere Situation gleicht der eines Schiffes, das zu sinken droht. Dabei läuft das Wasser vorne und hinten gleichzeitig rein. Allerdings ist das Loch vorne – bei uns – viel kleiner als das Loch hinten in China, Asien und Afrika. Welchen Sinn ergibt es da, dass wir fast all unsere Zeit, fast all unsere Kraft und all unsere Ressourcen darauf verwenden, das kleine Loch hier in Deutschland zu schließen? “

Nun ja. Besser wäre es, das eine tun, aber richtig, und das andere nicht lassen. Denn selbst das „kleinere Loch“ kann effizienter geschlossen werden. Höchste Priorität in der deutschen Klimapolitik muss die Bereitstellung „grünen“ Stroms sein, um schnellstmöglich Kohlestrom zu ersetzte. Dazu gehört vor allem, die Abschaltung der verbliebenen AKW´s sofort rückgängig zu machen, und erst dann abzuschalten, wenn ausreichend Strom aus regenerativen Quellen zur Verfügung steht. Daneben muss die Herstellung von „grünem“ Wasserstoff und der Ersatz der fossilen Verbrennung durch synthetischen Treibstoff absolute Priorität vor der Subventionierung „schmutziger“ Elektroautos haben.

Es zeichnet sich immer mehr ab, dass die deutsche Umweltpolitik den schlechtesten aller Wege zum Klimaschutz gewählt hat: Sie schafft es, beides zu erhöhen: zum einen die Umweltschutzkosten durch weiter steigende Energiepreise für die Verbraucher zu erhöhen, zum andern die Umweltbelastung weiter zu erhöhen durch forcierten Ausbau der Elektromobilität. 

Da gibt es für die neue Bundesregierung viel zu tun! Wolfgang Schäuble würde sagen: „Herr, schmeiß Hirn ra!“

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