Tichys Einblick
Baerbock fürchtet "Volksaufstände"

Die Angst der Regierung vor dem Volk

Die Außenministerin sollte eigentlich die oberste Diplomatin sein und ihre Worte entsprechend abwägen. Das hat Annalena Baerbock wohl nicht verstanden, wenn sie einen Einblick in ihre Angst vor einem drohenden Volksaufstand bei Gasmangel gibt.

IMAGO/photothek

Als die Gruppe Ulbricht 1945 unter Führung von Walter Ulbricht aus Moskau nach Berlin eingeflogen wurde, fühlten sich die deutschen Kommunisten, die zwölf Jahre im Exil in der Sowjetunion zugebracht hatten, wie Besatzer, wie Kolonisatoren, die dank sowjetischer Panzer zur Herrschaft über ein inzwischen fremdes Volk bestimmt waren. Das erklärt die Repressionen, den Terror gegenüber Andersdenkenden, die Unsicherheit und das grotesk hohe Sicherheitsbedürfnis, das schließlich dazu führte, dass sich die führenden Genossen selbst in einer abgeschlossenen und gut bewachten Waldsiedlung kasernierten. Sie waren nie in dem besetzten Land angekommen, lebten immer noch im Exil, fremdelten heftig mit dem Volk, das sie regierten.

Ein Reflex der Fremdheit und ein zugleich sardonischer Sarkasmus durchzieht Bertolt Brechts kurzes Gedicht zum Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953:

„Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes?“

Vielleicht hätte die Gruppe Ulbricht wirklich gern ihr Volk aus Moskau mitgebracht.

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Das Wort vom Volksaufstand macht wieder die Runde – und nicht in bösen rechten Gazetten, sondern die Regierung selbst bringt es in Umlauf. Nachdem durchgesickert war, dass die Argumente, die trotz ukrainischer Intervention die kanadische Regierung überzeugten, die Gasturbine für Nord Stream 1 an Deutschland zu liefern, weitaus dramatischer klangen, als man bisher ahnte, bestätigte Außenministerin Annalena Baerbock in der Talk-Reihe „RND vor Ort“ des RedaktionsNetzwerks Deutschland: „Die Kanadier haben gesagt, ,wir haben viele Fragen‘, da haben wir gesagt, ,das können wir verstehen, aber wenn wir die Gasturbine nicht bekommen, dann bekommen wir kein Gas mehr, und dann können wir überhaupt keine Unterstützung für die Ukraine mehr leisten, weil wir dann mit Volksaufständen beschäftigt sind‘.“ Auf die Nachfrage, ob sie wirklich mit Volksaufständen rechne, bestätigte die Außenministerin und lenkte geringfügig ein, dass das „vielleicht etwas überspitzt“ ausgedrückt sei, aber: „Das ist ja genau mein Punkt, dass wir Gas aus Russland weiter brauchen.“

Wie sagte genau vor drei Monaten die deutsche Außenministerin, die damals vor Kraft kaum laufen konnte, in Riga: „Wir wollen alle Gaslieferungen auslaufen lassen, lieber heute als morgen“? Drei Monate später bettelt dieselbe Bundesregierung um eine Ausnahme von den Sanktionen, die von der kanadischen Regierung für die Ausfuhr einer Gasturbine gewährt werden soll. Obwohl die deutsche Regierung „lieber heute als morgen“ Gaslieferungen aus Russland „auslaufen lassen“ will, bettelt sie darum, dass Russland nicht nur heute, sondern auch morgen noch Erdgas liefert – aus Angst vor Volksaufständen, aus Angst davor, dass die farbig angestrahlten Kulissen der deutschen Zukunft in planetarischen Grenzen sich zu früh als das erweisen, was sie in Wahrheit sind: als Potjomkinsche Dörfer – aus panischer Angst, dass die zu schnelle Erwärmung des deutschen Staatswassers dem deutschen Staatsfrosch auffällt und er, solange er noch springen kann, doch noch aus dem Kessel der klimaneutralen, der diversen Gesellschaft springt.

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Die Furcht vor Volksaufständen scheint die Regierung erfasst zu haben, was bedeutet, dass die Situation schlimmer und trostloser ist, als sie sich selbst der härteste Kritiker der Regierungspolitik sich vorzustellen in der Lage ist. Der Wirtschafts- und Energieminister alterniert zwischen den Stilblüten verkitschter Sparappelle und Drohungen, all das in viel wolkiger Ideologie eingefasst und mit Wortbombast geäußert, der Justizminister und der Gesundheitsminister basteln bereits an einem Maßnahmenkatalog, mit dem man die Bürger, sollten sie gegen die Energiepolitik der Regierung protestieren, mittels Ausrufung der pandemischen Lage zu Hause einsperren kann, die Innenministerin droht, dass sie sich auf das „Protestgeschehen“ vorbereitet, das sie verschwörungstheoretisch vorsorglich rechtsextrem nennt, weil aus ihrer Sicht Kritik an der Regierung und Protest gegen die Politik der Regierung, wie Ulbricht gesagt hätte, dem Klassenfeind nutzt, oder wie Faeser behauptet, rechtsextrem ist. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, aber auch die Süddeutsche Zeitung, die ZEIT, der Tagesspiegel und viele andere, senden und schreiben gegen die Wirklichkeit an – sie werden immer mehr zu Regierungsorganen – und sogar im doppelten Sinne: Sie verbreiten einerseits Regierungspropaganda, andererseits treiben sie die Regierung noch im Verfolg der falschen Politik an, weil aktivistische Journalisten und woke Politiker die gleiche Utopie und die gleichen Feindbilder teilen.

Die reibungslose Zusammenarbeit zwischen dem Justizminister von der FDP und dem Gesundheitsminister von der SPD nach dem Willen des Gesundheitsministers, der Positionswechsel der FDP in Sachen Corona und Corona-Maßnahmen zeigt, wie sehr sich die FDP inzwischen vor einem Machtverlust, vor Protesten fürchtet. Die Angst der FDP vor den Bürgern, die ihre Bürgerrechte nutzen, ist mit den Händen zu greifen, die Angst der Liberalen vor dem Liberalismus. So wurde in Ostdeutschland zwischen 1946 und 1950 aus der Liberaldemokratischen Partei die Blockpartei LDPD.

Die Zustände an Flughäfen und Bahnhöfen, die Stromausfälle zeigen die logistische Fragilität, wirken wie ein Wetterleuchten eines kommenden logistischen, energetischen und wirtschaftlichen Zusammenbruchs. In der Medizin nennt man einen solchen Zustand Multiorganversagen. Die Ursachen dafür sind die Energiewende, die Einwanderungspolitik, die von Deutschland getragene EU- und EZB-Politik; die Ursache besteht in der Großen Transformation oder im Great Reset, in der Erfindung neuer Wertschöpfungsketten, im Dogma von der Klimaneutralität, der Diversität, der positiven Diskriminierung, den neuen Glaubenssätzen von Genderismus und Identitätspolitik.

Die Regierung, die sich vor Volksaufständen fürchtet, hat im Grunde panische Angst vor der Wirklichkeit. Sie weiß es nur nicht, weil sie nicht weiß, was die Wirklichkeit ist.