Tichys Einblick
Wissenschaftlich Abseits

Der Verband der Historiker demonstriert seine Tugendhaftigkeit

Insgesamt haftet der Ergebenheitsadresse des Historikerverbandes – man ist versucht die Resolution so zu nennen - leider der Geruch der regierungstreuen Apologetik an, die hoffentlich nicht der Intention der Mehrheit der Verfasser entspricht.

© Getty Images

Im Englischen gibt es den schönen Ausdruck „virtue signalling“, damit meint man, dass Menschen öffentlich unter Beweis stellen, dass sie moralisch auf der richtigen Seite stehen und für das Gute und Edle kämpfen. Besonders beliebt sind solche Aktionen bei Künstlern und Schauspielern, die in Großbritannien auch gelegentlich „luvvies“ genannt werden, was freilich nicht wirklich freundlich gemeint ist. Mit Genugtuung kann man feststellen, dass die öffentliche Demonstration der guten Gesinnung auch in Deutschland immer wichtiger wird. Noch vor kurzem unterzeichnete Hugo Egon Balder, der nicht mehr ganz junge, aber erfolgreiche und allseits beliebte Fernsehmoderator zusammen mit ca. 300 anderen „Kulturschaffenden“ einen Aufruf gegen Innenminister Seehofer, dem die Künstler vorwarfen, sich gegen eine humanitäre Immigrationspolitik und damit auch gegen den Geist, wenn schon nicht den Buchstaben des Grundgesetzes zu stellen. Zur allgemeinen Überraschung trat Seehofer nicht sofort zurück, sondern verblieb einstweilen im Amt, auch wenn sein Schicksal nach den bayerischen Landtagswahlen recht ungewiss ist. Aber immerhin, die Hüter der deutschen Kultur hatten versucht, gegen die dunklen Mächte in diesem Lande zu kämpfen. Wo Balder und seine getreuen Freunde vorangeschritten waren, da glauben die deutschen Historiker, oder zumindest ihre Mehrheit nicht zögern zu dürfen.

Auf seiner jüngsten Versammlung in Münster verabschiedete der Verband der Historiker eine Resolution, mit der er gegen die Kräfte Stellung nehmen will, die die Demokratie gefährden, eine „Resolution zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie.“  Die FAZ berichtete ausführlich und kritisch darüber. Vieles, was in dieser Resolution steht, kann man ohne weiteres, wenn man es isoliert betrachtet, unterschreiben, fast alles ist auf den ersten Blick gut gemeint. Man wendet sich hier gegen Rassismus und  Fremdenhass ebenso wie gegen die Beschimpfung von Politikern als Verräter oder die Verharmlosung des NS-Regimes. All das leuchtet zunächst einmal ein. Es richtet sich oberflächlich gesehen vor allem gegen die AfD. Und wenn Historiker der Verniedlichung – so muss man es schon formulieren –  des mörderischen NS-Regimes durch einen Herrn Gauland entgegentreten, dann ist das nur recht und billig. Ob dafür allerdings eine Resolution des Historikerverbandes der richtige Weg ist, ist eine ganz andere Frage, den AfD-Wähler in Chemnitz oder in Pforzheim wird man damit eher nicht beeindrucken.

Migration als fast immer segensreiches historisches Phänomen

Da das auch die meisten Autoren der Resolution wissen dürften, drängt sich der Eindruck auf, dass Adressat dieser Resolution ein ganz anderer Personenkreis ist, nämlich eigentlich alle Kritiker der Merkelschen Immigrationspolitik – auch in der CSU, der CDU oder der FDP, oder sogar bei den Grünen, man denke an Bürgermeister Palmer. In ihre Schranken verwiesen werden auch alle, die zur Not – falls EU-Lösungen nicht greifen – auf nationaler Ebene Immigration beschränken wollen. Solche „Alleingänge“ lehnt die Resolution daher auch ausdrücklich ab. Das ist ein vertretbarer Standpunkt, aber keiner der sich aus wissenschaftlichen Erkenntnissen stringent ableiten lässt, jedenfalls nicht aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen von Historikern.

Diener der Macht
Kulturschaffende 1934, 1976, 2018
Genauso wenig ist das Urteil, Migration sei über die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg doch überwiegend ein recht positiv zu bewertendes Phänomen gewesen, natürlich nicht mehr als eine bloße Meinung, der man leicht andere, durchaus begründbare konträre Einschätzungen entgegenstellen könnte. Glauben heute wirklich die meisten Esten und Letten (die selber keine Russen sind) dass die massive Einwanderung von Russen in ihre Länder in den letzten sagen wir 100 Jahren überwiegend eine Bereicherung war? Glauben die Tibeter, dass die forcierte Ansiedlung von Han-Chinesen in ihrem Land ihnen die lang ersehnte Vielfalt und Buntheit bringe? Sehen die Kollegen unter den irischen Historikern die Einwanderung von Engländern und Schotten in ihr Land seit dem Mittelalter und namentlich seit der Reformation überwiegend als etwas Positives? Nun kann man sagen, diese Beispiele würden gar nicht passen, denn in Europa gehe es ja heute um einen ausschließlich friedlichen Vorgang, bei dem sich politische Macht-  oder gar kulturelle Identitätsfragen – wie in den genannten Fällen –  gar nicht stellen würden.

Wenn man Optimist ist, kann man das so sehen, wenn man sich freilich zum Beispiel die neo-osmanische Ideologie eines Präsidenten Erdogan ansieht, die uns ja durch aufpeitschende Reden und symbolische Gesten auch immer wieder gern auf deutschem Boden vorgeführt wird, so auch in diesen Wochen und Tagen, könnte man da schon etwas skeptischer werden. Denn Erdogan will für seine Ideologie natürlich die in Deutschland lebenden Türken instrumentalisieren, und zur Zeit hat er damit bei vielen auch einen gewissen Erfolg – aus welchen Gründen auch immer.

Was nicht gesagt wird, ist so wichtig, wie das, was gesagt wird

Dass der Historikerverband seine Mitglieder auf die Verteidigung einer pluralistischen Demokratie verpflichten will, ist ein berechtigtes Anliegen, aber es muss jedem einzelnen Mitglied des Verbandes überlassen bleiben, ob er sich eine maximal liberale Migrationspolitik wünscht, vielleicht eine Politik der vollständig offenen Grenzen, oder eher eine Politik die sich am Vorbild der Schweiz, oder vielleicht auch der Niederlande oder sogar Dänemarks orientiert. Auch Frankreich könnte einem hier einfallen, das ja Flüchtlinge an der italienischen Grenze systematisch abweist – ob das nun auf die Dauer erfolgreich oder nur Symbolpolitik ist, sei dahingestellt.

Rational betrachtet wird man feststellen müssen, dass die Möglichkeit, Migration erfolgreich zu bewältigen im Sinne etwa der Integration in den Arbeitsmarkt auch von der Zahl der Migranten abhängt. Ob sich diese dann wirklich mit rechtlich und humanitär zulässigen und in der Praxis wirksamen Mitteln steuern lässt, ist eine andere Frage, aber die Zahlen bleiben dennoch wichtig. Auch ist es ein Unterschied, ob die Immigranten bereit sind, sich auf die Alltagskultur des Aufnahmelandes irgendwie einzulassen, ja vielleicht sogar froh sind, den Zwängen ihrer Herkunftskultur zu entkommen, oder ob sie eine Tendenz entwickeln, die Kultur des Westens und Europas als dekadent und unmoralisch, vielleicht auch als „verweiblicht“ oder gar als religiös verwerflich zu verachten.

Die Probleme und Chancen von Migration sind Themen, zu deren wissenschaftlicher Einordnung Historiker einen gewissen Beitrag leisten können. Soweit das aber möglich ist, wird das nur gelingen, wenn sie selber ihre Unabhängigkeit gegenüber der Politik und den Regierungen bewahren, was nicht heißt, dass sie unpolitisch sein sollen, aber doch, dass sie sich gegen jede Instrumentalisierung ihrer Erkenntnisse in der Tagespolitik zur Wehr setzen. In der Tat betont die Resolution des Verbandes auch ausdrücklich die Unabhängigkeit der Wissenschaft gegenüber der Politik. Dass man dieser Linie selber wirklich gefolgt ist, diesen Eindruck hat man freilich nicht, dazu ist die Resolution gegenüber der offiziellen Politik der letzten Jahre zu affirmativ, zumindest in dem, was sie nicht sagt, und das Schweigen von Texten ist oft beredter als der offizielle Wortlaut, das wissen auch und gerade Historiker recht gut.

In Wirklichkeit ist ist doch klar, dass die schwere Krise der herkömmlichen Parteiendemokratie, mit der wir heute in der Tat konfrontiert sind, ihre Ursachen auch in Fehlentwicklungen der letzten 10 bis 15 Jahre hat, für die die regierenden Politiker zumindest teilweise die Verantwortung tragen, nicht zuletzt durch eine Rhetorik und eine Diskurskultur, die dazu dienen sollte, Probleme unsichtbar zu machen, so dass über sie gar nicht erst diskutiert werden konnte. Das begann bei den negativen Folgen der Währungsunion des Euro und setzte sich fort zur Debatte über die Spannungen, die in einer multiethnischen Gesellschaft ohne wirkliche Grenzen nun einmal den Alltag prägen können. Dazu kommt der Umstand, dass eher konservative Wähler durch keine der etablierten Parteien (mit der möglichen, allerdings zunehmend prekären Ausnahme der sterbenskranken CSU in Bayern) mehr glaubwürdig repräsentiert werden, anders als früher. Dass solche Wähler dann zu reinen, vielleicht auch radikalen Protestwählern werden können, liegt nahe. Ähnliches kann man ja auch in anderen europäischen Ländern erleben. Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass linke Parteien zunehmend nicht mehr auf Umverteilung setzen – Jeremy Corbyn und die Labour Party in England sind hier eine Ausnahme – sondern auf eine Identitätspolitik, die für die im Lande schon ansässige Bevölkerung im besten Fall mit unerfreulichen Anpassungszwängen und ständigen Rechtfertigungszwängen für vermeintliche Privilegien verbunden ist, ihnen jedenfalls nichts bietet.

Lauter Déjà-vus für gelernte Ostdeutsche
Sie sind wieder da
Wenn die Resolution der Historiker auch diese Fehlentwicklungen erwähnt und die Politiker an ihre Verantwortung gemahnt hätte, wäre sie ein achtenswerter Versuch gewesen, in der gegenwärtigen Krise einen eigenen Standpunkt zu finden. Statt dessen verlangen die versammelten Historiker eine „sensible Sprache“. Diskriminierende Begriffe, die z. B.  das Geschlecht oder die ethnische Herkunft des „Anderen“ in negativer Weise zum Thema machen, sollen tabuisiert werden. Auch dies klingt zunächst gut, ist aber, das muss man befürchten, der mögliche Auftakt zur Herrschaft einer institutionalisierten Sprachpolizei, für die die amerikanische akademische Welt in sehr unrühmlicher Weise bekannt ist. Dort riskiert man seinen Job bekanntlich schon, wenn man andeutet, dass man den Menschen, rein biologisch, für ein zweigeschlechtliches Wesen hält. Aber offenbar sehen viele Mitglieder des Historikerverbandes in solchen Entwicklungen zumindest keine Gefahr; der Eindruck drängt sich auf.

Insgesamt haftet der Ergebenheitsadresse des Historikerverbandes – man ist versucht die Resolution so zu nennen – leider doch der Geruch der regierungstreuen Apologetik an, zu der ja heute auch manche Journalisten neigen, mag das auch, wie man hoffen muss, nicht der Intention der Mehrheit der Verfasser entsprechen. Damit haben sich die Historiker keinen wirklichen Dienst erwiesen, zumal sie befürchten müssen, dass in einer breiteren Öffentlichkeit Hugo Egon Balder, Günter Wallraff und Inga Humpe dann doch immer noch eine größere Wirkung erzielen werden als die Autoren bedeutender historischer Werke. Das mag traurig  sein, aber dazu hat auch die Bildungspolitik jener Politiker einen starken  und nachhaltigen Beitrag geleistet – und leistet ihn heute stärker denn je – denen die versammelten Historiker jetzt ihre Loyalität bezeugen. Manche Verbandsmitglieder dürften dennoch die Hoffnung haben, dass ihr „virtue signalling“ in der Politik Resonanz findet und zum Beispiel zu einer Aufwertung des Geschichtsunterrichtes an den Schulen führt. Diese Rechnung dürfte sich allerdings eher als Fehlkalkulation erweisen, denn Bildung im traditionellen Sinne ist heute den meisten Politikern vollständig fremd geworden. Daran wird auch diese Resolution des Historikerverbandes nichts ändern.