Tichys Einblick
Verzweifelte Sozialdemokratie

Der Genosse Trend marschiert in eine neue Richtung

Um die eigenen Wähler davon abzubringen, die AfD zu wählen, will die SPD ihren neuen Konkurrenten vom Verfassungsschutz überwachen lassen. Damit wird sie den weiteren Aufstieg der AfD jedoch nicht bremsen, sondern den eigenen Niedergang weiter beschleunigen.

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Angesichts der schon erreichten und sich weiter abzeichnenden Wahlerfolge der AFD im Bund sowie in den Ländern, beginnen in der sozialdemokratischen Parteiführung inzwischen so ziemlich alle Sicherungen durchzubrennen. Den Vogel schießt in diesem Zusammenhang SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil ab. In einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung vom 03. September, beschwört er den Beginn einer Art Endkampf um die Demokratie in Deutschland. Dies müsse „allen Demokraten spätestens seit Chemnitz klar sein. Und keiner sollte glauben, daß die Welt in Westdeutschland eine gänzlich andere ist. Die Rechten werden überall immer stärker und lauter. Und deshalb muß jetzt die schweigende Mehrheit, die in diesem Land demokratisch denkt, laut werden und für ihre Werte eintreten. Die Zeit, in der wir uns zurücklehnen können, ist vorbei.“

Die von Klingbeil implizit vorgenommene Gleichsetzung der Demokratie mit seiner eigenen Partei und der damit einhergehende Versuch der Ausgrenzung einer konkurrierenden (national-konservativen) Partei und deren Wähler aus dem demokratischen Verfassungsbogen, zeugt von einem höchst fragwürdigen Demokratie- und Verfassungsverständnis. Das ist es aber nicht alleine. Unterstellt wird außerdem, die „schweigende Mehrheit“ stehe grundsätzlich gegen „rechts“, was den bisherigen Wahlergebnissen der SPD jedoch ebenso widerspricht, wie den derzeitigen Wahlprognosen, die die Sozialdemokraten inzwischen bundesweit stabil unter 20 Prozent verorten, Tendenz weiter fallend.

Der „Genosse Trend“ marschiert inzwischen in großen Schritten in eine neue Richtung, hin zur AfD auf der einen und zu den Grünen, auf der anderen Seite. An die AfD gehen die “kleinen Leute“ verloren, die mit der neoliberalen Flüchtlings- und Migrationspolitik der SPD und den Hartz IV-Reformen nicht einverstanden sind; zu den Grünen wiederum wandern die akademisch gebildeten, vielfach im öffentlichen Dienst arbeitenden Vertreter einer „Neuen Bourgeoisie“ ab, denen diese Politik aufgrund der koalitionären Kompromisse mit der CSU nicht (mehr) genug neoliberal ist. Die SPD sitzt damit in einer Falle, aus der sie wohl nicht mehr entrinnen wird. Ihre Zeiten als große Volkspartei mit Anspruch auf das Kanzleramt, sind vielleicht für immer vorbei, ein Comeback schwer vorstellbar.

Lars Klingbeil ist um seinen Job, die SPD zusammen mit der Parteiführung aus der selbst geschaffenen Falle wieder zu befreien, vor diesem Hintergrund nicht zu beneiden. So wie er dies anstellt, spricht allerdings alles dafür, daß die SPD noch mehr an Zustimmung bei der „schweigenden Mehrheit“ verlieren wird, als dies bislang schon der Fall ist. Angesichts der Chemnitzer Ereignisse setzt die Parteiführung erneut auf die Nazi-Keule gegen die AfD, fordert deren Überwachung durch den Verfassungsschutz und verbindet dies gleichzeitig mit der Warnung gegenüber ihrem Koalitionspartner CDU/CSU, sich keinerlei Überlegungen in Hinblick auf eventuelle Koalitionen mit der AfD (zum Beispiel in Sachsen) zu machen.

Die Beschwörung einer nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland durch die AfD und die damit einhergehende Stigmatisierung ihrer Mitglieder, Anhänger und Wähler als Rassisten und Nazis, hat bislang nicht dazu geführt, den Aufstieg dieser Partei zu stoppen oder gar wieder umzukehren. Ganz im Gegenteil befeuert dieser hahnebüchende Unfug deren weiteren Aufstieg, ohne daß die AfD zu ihrem Erfolg selbst allzu viel beitragen müsste. Dieser ist (bislang jedenfalls) überwiegend den Fehlern der etablierten Parteien und ihrer Nazi-Keule zuzurechnen. Je mehr Boden die AfD bei der „schweigenden Mehrheit“ gewinnt, desto lautstarker wird die Keule gegen immer mehr Bürger geschwungen, die sich zurecht als Opfer einer massiven politischen Diskriminierung seitens der etablierten Parteien, sowie der meisten öffentlichen und nicht-öffentlichen Leitmedien sehen und sich unter anderem deswegen von den etablierten Parteien, abwenden. Ein sich selbst verstärkender Vorgang, dessen Ende noch nicht abzusehen ist.

In Teilen der CDU und der CSU beginnt man allmählich zu begreifen, daß dieser Weg völlig in die Irre führt und das Land politisch und gesellschaftlich in einem bislang nicht gekanntem Maße spaltet. Die Generalsekretärin der CDU, Annegret Kamp-Karrenbauer, lehnt daher ebenso wie Innenminister Seehofer die Forderungen von SPD, Grünen und Linke ab, die AfD als verfassungsfeindlich zu erklären, weil sich in ihren Reihen und in ihrem Umfeld auch Rechtsradikale engagieren. Offenkundig haben sie die dahinter steckende Absicht erkannt, der „schweigenden Mehrheit“ ehemaliger CDU/CSU- und SPD-Wähler auf diesem Wege gleichsam zu verbieten, von ihrem demokratischen Recht als souveräne Staatsbürger Gebrauch zu machen, indem sie eine konservative Partei rechts der Mitte wählen, die nach Bewertung des Verfassungsschutzes keine verfassungsfeindlichen Ziele verfolgt. Während die Generalsekretärin der CDU inzwischen aus gutem Grunde fürchtet, der AfD so nur noch mehr Wähler in die Arme zu treiben, bläst der Generalsekretär der SPD, zusammen mit Außenminister Maas und Justizministerin Barley, völlig hirnlos zur gemeinsamen Nazi-Hatz mit den Christdemokraten gegen die neue national-konservative Konkurrenz.

Dazu hat er auch allen Grund. Sollten die Christdemokraten angesichts der zu erwartenden weiteren Wahlerfolge der AfD nämlich in absehbarer Zeit in Erwägung ziehen, mit den „Schmuddelkindern“ aus der eigenen konservativen Familie doch wieder vernünftige Beziehungen einzugehen, und sollten diese ebenfalls dazu bereit sein, stünde es um die Zukunft der SPD noch schlechter als es ohnehin schon der Fall ist. Ihr wäre dann nicht nur Rot-Rot-Grün im Bund völlig außer Reichweite geraten, sondern auch die Regierungsbeteiligung als Junior-Partner von CDU/CSU. Vielleicht beschwört Klingbeil deswegen am Ende seines Interviews „ernsthafte Gespräche zwischen Grünen, Linken und der SPD über ein progressives rot-rot-grünes Regierungsprojekt.“ Ein solches müsste er dann allerdings gegen ein schwarz-blaues Regierungsprojekt in Stellung bringen, das die SPD angesichts ihrer verzweifelten Lage und aktueller Umfragen mehr fürchtet als der Teufel das Weihwasser.