Tichys Einblick
Jan Böhmermann

Der absehbare Fall des Hofdemagogen der Linken

Lange Zeit war Jan Böhmermann das Liebkind der linken Presse, die ihn als ideologischen Frontkämpfer gegen alles rechts von Rot-Grün einsetzte. Doch die Zeiten ändern sich, immer mehr entpuppt sich die auf den Schild gehobene Galionsfigur als ein Problem für das linke Konsolidierungsprojekt. Von David Boos

IMAGO / Future Image

„Ich weiß wohl, – die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder.“ Dieses Zitat, das Georg Büchner in „Dantons Tod“ dem Protagonisten kurz vor dessen Hinrichtung im Zuge des jakobinischen Terrors in den Mund legt, wurde zum Sinnbild aller Revolutionen. Egal ob in der französischen, der russischen, oder der chinesischen Revolution: Wo immer Revolutionäre um die kompromissloseste Auslegung ihrer Forderungen buhlten, kam es zu Grabenkämpfen und gnadenlosen Abrechnungen mit jenen, die in internen Machtkämpfen unterlagen. Oftmals waren es diejenigen, die erst noch selbst – sprichwörtlich und tatsächlich – die Köpfe ihrer Widersacher einforderten, die wenig später selbst der nächsten Säuberungswelle zum Opfer fielen. Wenngleich sie anfänglich in ihrem Kampf gegen den gemeinsamen Klassenfeind vereint waren, entpuppten sich schon bald ihre eigenen Mitstreiter als die größten Feinde der Revolutionäre.

Das ist auch heute nicht anders. Für viele Konservative und klassische Liberale ist schon längst die Zeit angebrochen, in der sie den Sturm revolutionärer Umgestaltung unserer Gesellschaft am liebsten wie die frühen Christen in den Katakomben überdauern möchten. Die Zeit spricht dabei für die konservativen Kräfte, da die Gesetzmäßigkeit der Selbstzerfleischung und -zerstörung der Linken einem Naturgesetz gleicht, ja unvermeidlich ist. Das bedeutet nicht, dass man jeglichem Treiben tatenlos zusehen soll, im Gegenteil, es müssen gerade in solchen Zeiten viele Weichen für eine bessere Zukunft gestellt werden. Aber nicht jeder Kampf ist gleichermaßen zielführend. Manchmal ist es tatsächlich sogar besser, in ein ungerechtes Treiben nicht einzugreifen, egal wie verlockend es sich einem in den Weg stellt, sondern es seine selbstzerstörerische Kraft frei entfalten zu lassen.

Solch ein Problem ist Jan Böhmermann. Seit nunmehr neun Jahren hält sich das ZDF dessen „Magazin Royale“ als wöchentliches Hofnarren-Spektakel. Doch der sich aufdrängende Vergleich mit einem Hofnarren hinkt: Ja, Böhmermann ist die personifizierte Verbeamtung der Satire, ein Zustand geistiger Gefangenschaft in vollkommenem Widerspruch zum freiheits- und wahrheitsliebenden Geist der Satire. Im Gegensatz zum Hofnarren obliegt es ihm eben nicht, in Satire gehüllt die Wahrheit über die Herrschaft zu sprechen, sondern im Auftrag der Herrschaft gegen ihre Feinde ins Feld zu ziehen.

Böhmermann ist aber nicht das Problem der Rechten, auch wenn sie immer wieder das Ziel seiner Schmähtiraden ist, sondern das der Linken. Wie Goethes Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nicht mehr bändigen konnte, droht nun auch der Linken der Kontrollverlust über Böhmermann.

Satire oder Demagogie?

Fälschlicherweise wird Böhmermann von der Öffentlichkeit als Satiriker wahrgenommen. Aber bereits seine Vulgarität macht deutlich, dass es sich unmöglich um die feine Klinge der Satire handeln kann. Dennoch lohnt es sich, über diesen Begriff ein wenig prinzipieller nachzudenken. Bereits in der Antike galt die Satire als ein aufrührendes Element, ein Mittel zum Erkenntnisgewinn. Die satirische Überhöhung bestimmter Sachverhalte diente nicht dazu, einfache Lacher abzugreifen, sondern um scheinbare Offensichtlichkeiten zu hinterfragen und Wahrheiten offenzulegen.

Ein solcher Erkenntnisgewinn ist bei Böhmermann allerdings nicht zu finden. Im Gegenteil, der ZDF-Propagandist festigt mit seiner Satire vielmehr bestehende Vorurteile seiner linken Klientel. Eine Hinterfragung dessen, was wir wissen, findet im sokratischen Sinne nicht statt, stattdessen punktet Böhmermann gerne mit vulgärer Verunglimpfung des politischen Feindes. Das muss dann reichen.

Damit wird aber umso deutlicher, dass Böhmermann nichts weiter als ein aggressives, propagandistisches Sprachrohr der radikalen Linken ist, ein Demagoge, der sich das Feigenblatt der Satire zu eigen macht, um ungestraft Rundumschläge gegen die politische und ideologische Opposition auszuteilen.

Solche Demagogen haben in revolutionären Bewegungen Tradition, sie fanden sich sowohl bei den Jakobinern (man denke an Jacques-René Hébert, den „Homer des Schmutzes“, Mitglied der Ultrarevolutionäre und Herausgeber des „Père Duchesne“) als auch bei den Bolschewiki. Sie waren selbstverständlich keine außenstehenden Kommentatoren des Zeitgeschehens, sondern tief verwurzelt in der jeweiligen revolutionären Bewegung. Ihre Demagogie war ihr Mittel des politischen Aktivismus, sie selbst waren Teil jener Kräfte, die sich im Tumult der Revolution durchzusetzen trachteten. Ein weiterer radikaler Arm unter vielen, die zunächst den Klassenfeind und dann einander bekämpften.

In dieser Funktion war er der Linken zunächst sehr nützlich. Sein Schmähgedicht gegen Erdogan einte 2016 weite Teile der deutschen Öffentlichkeit, denn immerhin ging es gegen Erdogan. Den konnte damals schon niemand leiden. Es war der deutsche „Je suis Charlie“-Moment. Fast alle pochten auf das Recht der unflätigen Beschimpfung unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit. Damit errang Böhmermann die Narrenfreiheit, die es ihm in den darauffolgenden Jahren erlaubte, seiner Demagogie gegen die Feinde der radikalen Linken ungezügelt freien Lauf zu lassen. So leistete er den gewünschten Beitrag zur Zementierung der linken Kulturhegemonie.

All das versteckt sich dabei stets hinter dem Schutzschild der Forderung Tucholskys „Satire dürfe alles“, wobei bequemerweise außer Acht gelassen wird, dass das Zitat eines sozialistischen Journalisten noch lange keinen gültigen Rechtsanspruch darstellt. Zumindest noch nicht, denn die Abwägung, ob die Kunstfreiheit, das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder das Recht auf freie Meinungsäußerung zur Geltung kommt, obliegt den Gerichten. Selig, wer sich heute noch auf deren unpolitische Auslegung verlässt.

Die Abwendung von der Radikalität

Dadurch wird Böhmermann aber immer mehr zum Bumerang für die Linke. Denn wer von Anfang an den eigentlichen politischen Feind, die Rechte, in Bausch und Bogen ablehnt, wird schon bald vom ursprünglichen Auftrag der Bekämpfung des rechten Feindes dazu übergehen, sein Repertoire zu erweitern. Begünstigt wird diese Entwicklung durch Böhmermanns Methode provokanter Grenzüberschreitung, die auf einem steten Tabubruch beruht. Denn die Menschen stumpfen gegenüber den Vulgaritäten von Böhmermann immer mehr ab, was auch daran ersichtlich ist, dass Böhmermann sich 2016 und 2017 kaum vor Medienpreisen retten konnte, diese aber seitdem immer seltener an ihn und seine Mannschaft vom Magazin Royal vergeben werden. Lediglich das ZDF – hier erweist sich der Sender tatsächlich als der leicht hinterwäldlerische öffentlich-rechtliche Rundfunk, als den ihn Böhmermann selbst darstellt – hält in bemerkenswerter Nibelungentreue, ja beförderte ihn sogar 2020 vom Spartenkanal zum Hauptsender und verlängerte erst im November seinen Vertrag bis 2025.

Politisch stellt Böhmermann, ähnlich wie die von ihm verteidigten Klima-Extremisten, den radikalen Arm der Linken dar. Doch während die Linke sich dieser radikalen Kräfte schon immer zur Bekämpfung des Feindes bediente, so zielsicher entledigte sie sich dieser Kräfte auch wieder, wenn sie ihre Funktion erfüllt hatten. Schön langsam werden auch die Klima-Extremisten damit konfrontiert, dass die opportune Politik keineswegs an einer radikalen „permanenten Revolution“ interessiert ist, sondern im Gegenteil den gesellschaftlichen Umbau auf die eigene Art und Weise durchführen möchte. Die Zeit radikaler Utopisten könnte sich somit schon bald dem Ende zuneigen, vor allem wenn deren Forderungen und Methoden das gewünschte Maß überschreiten und der linken Politik ein Dorn im Auge werden.

Das gilt auch für Böhmermann, der sich allein in den letzten anderthalb Monaten mehrmals Ärger mit seinem eigenen Lager einhandelte. Kanzler Scholz war alles andere als erfreut über die Veröffentlichung der NSU-Akten, Boris Palmer bezeichnete Böhmermanns Waldorf-Tiraden als „langweilig“ und „olle Kamellen“ und selbst eines der linken Haus- und Hofblätter, die taz, bezeichnete seinen FDP-RAF-Vergleich als „billig, erwartbar, geschmacklos“. Auch ernteten ZDF und Böhmermann zahlreiche öffentlich geäußerte Kritik von Linken und Grünen in den sozialen Netzwerken für die jüngste „Satire“.

Die Methoden der gegenwärtigen linken Revolution mögen sich zurzeit noch in ihrer physischen Gewaltlosigkeit von früheren Revolutionen unterscheiden, aber die ihr innewohnende Dynamik ist die gleiche. Auf die Periode radikaler Auswüchse folgt immer eine Periode der Konsolidierung, auf den utopischen Wildwuchs der staatssozialistische Kompromiss. Das ist für Konservative nur ein schwacher Trost, denn in der Sowjetunion hieß dieser Kompromiss Stalin, was nicht unbedingt Anlass zur Freude gibt. Aber auch für radikale Demagogen wie Böhmermann wird unter solchen Verhältnissen die Luft immer dünner.

Vor allem in anhaltenden Krisenzeiten bedarf die Linke vermeintlicher „Ausgleichskandidaten“ wie Boris Palmer, oder auch Sahra Wagenknecht. Auch bei den Grünen wurden mit Habeck und Baerbock die „freundlichen Gesichter“ der Partei, und nicht die radikalsten Ideologen, an die Front gestellt, denn der gesellschaftliche Umbau muss der Bevölkerung „verkauft“ werden. Die Bürger Deutschlands drehen nach zwei Jahren harter Corona-Maßnahmen und beinahe einem Jahr der Energie-Krise am Anschlag und wenngleich die Regierung zum Beispiel noch nicht bereit ist, den Klima-Extremisten einen entschiedenen Riegel vorzuschieben, so überwiegen in der rot-grünen Politik momentan vorsichtigere Stimmen. Die reine Ideologie ist letztlich nur Mittel zum Zweck, der Erhalt der Macht steht für die Realpolitiker der Linken im Vordergrund.

Ein Ende mit Ansage

Böhmermann wird nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden, im Gegenteil ist davon auszugehen, dass er im Kampf um den Erhalt seiner Relevanz schon bald über die Stränge schlagen wird, um mit neuen Provokationen Aufsehen zu erregen. Dabei könnten früher oder später auch seine bisherigen Förderer der Linken in den Fokus geraten, denn mit Rechten, Erdogan- und Putin-Bashing wird Böhmi schon bald niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Zwar lässt Böhmermann noch immer die Finger von dem heiligen Gral der Grünen, aber er überschreitet bereits immer häufiger die roten Linien der Roten.

Das Ende der Demagogen kam in den Revolutionen der Vergangenheit meist ebenso schnell wie deren Aufstieg. Wenngleich der sanfte Totalitarismus der modernen Linken bis dato niemanden einen Kopf kürzer macht, so können zumindest Karrieren schnell und effizient vernichtet werden. Angesichts der kürzlich erfolgten Vertragsverlängerung von Böhmermann wird dies wohl nicht in den nächsten Monaten passieren, doch erscheint es als unausweichlich, dass der Konflikt zwischen Böhmermann und der Linken weiter anschwellen wird. Denn der Demagoge Böhmermann torpediert Woche für Woche mit seinen Auslassungen das Konsolidierungsprojekt. Die Zeit der groben Angriffe neigt sich dem Ende zu; wo einst noch der Jubel groß war über Böhmermanns Beitrag zum Ibiza-Skandal, der Österreichs rechts-konservative Regierung zu Fall brachte, wirkt die deutsche Linke mittlerweile zunehmend seiner überdrüssig.

Gönnen wir uns in diesen schwierigen Zeiten also eine Portion Popcorn, machen wir es uns gemütlich auf dem Sofa, und sehen wir dabei zu, wie sich mit jeder Woche Böhmermann die Linke selbst zerlegt. Ruhen wir sanft in der Gewissheit, dass die Revolution wohl schon bald wieder hungrig wird und dann ihr Kind Jay B. auf dem Speiseplan steht. Denn im Gegensatz zu den Demagogen vergangener Revolutionen wird Böhmermann ohnehin sanft fallen, was er letztendlich der Tatsache zu verdanken hat, dass eben nicht die radikalen Kräfte der Linken das Sagen haben.


David Boos ist Organist, Dokumentarfilmer und Journalist für den European Conservative und andere Magazine.

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