Tichys Einblick
Demokratie ohne Diskurs

Demokratie: Der Vorhang zu – und alle Fragen offen

Joachim Gauck glaubt zum Ende seiner Amtszeit nicht, dass der Slogan der DDR-Bürgerrechtler "Wir sind das Volk!" auch für das jetzige Deutschland Anwendung finden kann. Er irrt.

© Sean Gallup/Getty Images

Geht es Ihnen auch so am Ende einer Talkshow? Wenn Sie überhaupt noch so lange durchhalten können. Aber nicht nur dort bleiben die Fragen offen. Das ganze Land ist voll drängender Fragen, die ohne Antworten bleiben.

Schon lange ausgedacht und vorbereitet, bisher immer noch knapp unter der Oberfläche, sehen wir wieder die Auswirkungen von Vorhaben der Eliten ihre Häupter erheben. Politik und Massenmedien versuchen zwar, sie immer wieder weg zu drücken, aber viele von uns haben sie schon auftauchen sehen.

Meinungspluralismus?

3sat-Kulturzeit vom 03.04.17 präsentiert uns das Demokratieverständnis von bekannten Politikern und Wissenschaftlern: Demokratie bedürfe stets der Gegenstimme. Andere Meinungen sollten nicht diskriminiert werden. Man brauche eine Opposition in der Demokratie, so hört man da und – blickt dabei auf die Türkei.
O-Ton Norbert Lammert: „Sich Demokratie ohne Diskurs vorzustellen, das ist ähnlich albern wie ein Klavier ohne Tasten. Eine Opposition muss sich öffentlich äußern können und Medien haben, die sie unterstützen.“ Man müsse die Alternativen kennenlernen und sie nicht stigmatisieren – Negativ-Beispiel Türkei. Die Reihe derjenigen Länder, die nach Lammerts Meinung Gegenstimmen nicht zulassen, lässt sich beliebig fortsetzen: Russland, Ungarn, Polen, ein Frankreich unter Marine Le Pen, die Niederlande mit Geert Wilders u.v.a.m. Deutschland ist nicht darunter. Übrigens: Als ich die verschiedenen Stimmen noch einmal nachhören wollte, war nach Anklicken des 3sat-Links zu lesen: „Dieser Beitrag ist leider nicht (mehr) verfügbar!“

Hören wir nun Norbert Lammert bei seiner Rede zur Eröffnung der 16. Bundesversammlung am 12. Februar diesen Jahres: „Die wirklich großen Herausforderungen können unter den Bedingungen der Globalisierung allesamt nicht mehr von den Nationalstaaten allein bewältigt werden. […] Wir Europäer werden nur durch das Teilen von Souveränität einen möglichst großen Rest von dem bewahren können, was früher die Nationalstaaten mit Erfolg reklamierten und heute allenfalls rückwärtsgewandte Zeitgenossen irrig für sich beanspruchen.“ Wir müssten ein hohes Interesse an einem starken Europa haben. Unsere eigene schuldhafte Vergangenheit wach zu halten, sei die Aufgabe aller. „Wer daran – aus welchen Motiven auch immer – rüttelt, muss wissen, er gefährdet die internationale Reputation unseres Landes und hat die überwältigende Mehrheit der Deutschen gegen sich.“ (Standing Ovations.) Kaum verhüllte Drohungen, die jedes Interesse daran haben, bestimmte Gedankengänge und Fragen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Es wird mit harten Bandagen gekämpft, um andere Meinungen auszuschalten, wie wir nun täglich erleben.

Im Folgenden vier Beispiele für weitere Worthülsen, mit denen wir, der entmachtete Souverän, der für alles aufkommen muss, immer wieder abgespeist werden.

Deutschland ist ein reiches Land

Das müssen wir uns immer wieder sagen lassen. Haben wir nicht ganz andere Bilder vor Augen? Hat sich nicht Roland Tichy z.B. bei ‚Peter Hahne‘ erst vor kurzem mit einer vom Staat enttäuschten Rentnerin über ihre Sorgen unterhalten? Zitat: „Es guckt auch keiner mehr hin, wer jetzt da in den Mülleimern rumkramt. Das ist normales Stadtbild geworden.“ Die enormen Kosten für die Zuwanderung bleiben bei derartigen Diskussionen immer außen vor.

Das „reiche Land Deutschland“ stimmt eben nur für die oberen 10 Prozent, die 52 Prozent des Vermögens besitzen. (Die 62 reichsten Menschen der Erde besitzen laut einer Studie der Hilfsorganisation Oxfam mittlerweile genauso viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.)

Wir brauchen die Flüchtlinge, weil die Bevölkerung schrumpft

Der Stellenwert der Familie im Lebensentwurf der Bürger hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte gravierend verändert. Die Heirats- und Geburtenziffern sind rückläufig, und die Instabilität von Ehen hat zugenommen. Frage: Was hat die Politik eigentlich für unsere Familien getan, um diese Entwicklung zu verhindern? Frauen wurden für die Wirtschaft eingeplant, Kinder werden ausgelagert und gender-ideologisch kostenpflichtig betreut. Von einem einzigen Gehalt können nur noch Privilegierte leben.

Nun benutzt man die „Flüchtlinge“, um die Lücken zu füllen. Man nimmt dabei sehenden Auges in Kauf, dass sie ihren kulturellen Lebensraum verlassen und sich in Todesgefahr begeben, anstatt sie für einen Bruchteil des hier ausgegebenen Geldes in den Anrainerstaaten in der Nähe ihrer Heimat zu betreuen. Eine Alternative, die in der Öffentlichkeit gar nicht erst debattiert wird. In vielen Fällen entzieht die Auswanderung der heimischen Gesellschaft ihre begabtesten und ambitioniertesten Mitglieder, die sie dringend für einen Wiederaufbau benötigte. Täglich hören wir von den katastrophalen Folgen der unkontrollierten Zuwanderung – sowohl für die entwurzelten „Flüchtlinge“, als auch für unsere Gesellschaft. (Hier, hier und hier nur drei Beispiele von vielen.)

Die Türkei hat Millionen aufgenommen

Die Türkei hat für die Aufnahme viel Applaus und Lob – besonders auch von der Kanzlerin – bekommen, aber wie es den Menschen in diesem Land wirklich geht – diese Frage wird nie beantwortet. Wofür wir das Geld von der EU verwendet? Werden sie angemessen versorgt? Welche Zukunftsperspektiven haben sie? Sind sie vielleicht doch allein gelassen, verwahrlosen und werden kriminell? Besteht die Gefahr einer Radikalisierung?

Lange drang nur wenig an die Öffentlichkeit, doch langsam kommen Tatsachen ans Licht. Eine Strategie, wie alle diese Menschen dauerhaft in die Gesellschaft, das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt integriert werden könnten, gebe es nicht, schreibt der Spiegel schon im August 2014. Sie würden als billige Arbeitskräfte ausgebeutet und gleichzeitig zunehmend angefeindet, weil sie die Löhne drückten. Unter der Überschrift „Die EU hat die Türkei als offenes Gefängnis gemietet“ schreibt die ZEIT am 10. April: „Etwa drei Millionen syrische Flüchtlinge sitzen in der Türkei fest, werden ausgebeutet, überleben dank Spenden. Das Abkommen mit der EU hat ihr Los nicht verbessert.“

Man muss daraus schließen: Für die Mächtigen dieser Erde handelt es sich bei den Menschen um eine Art Material, das man nach Bedarf und Belieben durch Ausbeutung ihrer Länder und durch die seit 9/11 geführten Kriege entwurzeln und hin und her schieben kann, um sie dann ihrem Schicksal zu überlassen. In Deutschland können wir Ähnliches beobachten.

Einfache Antworten

Dass die „Populisten“ nur einfache Antworten auf komplexe Fragestellungen hätten, wird den Menschen immer wieder eingebläut. Die „Normalsterblichen“ werden damit zu Deppen erklärt, die nicht in der Lage sind, sich selber eine fundierte Meinung zu bilden.

Von Politikern mit einem so hohen Anspruch kann man natürlich erwarten, dass sie ihrerseits mit komplexen Argumenten aufwarten, um ihrer eigenen anspruchsvollen Norm zu entsprechen. Was uns dagegen als Antworten und Ratschläge angeboten wird ist: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ – „Der Islam gehört zu Deutschland.“ – „Folgen Sie denen nicht!“ – „Deutschland ist bunt.“ – „Refugees Welcome!“ – „Wir schaffen das!“ – „Was die Flüchtlinge uns bringen, ist wertvoller als Gold.“ – „Wir bekommen Menschen geschenkt.“ Ähnliches wäre beinahe endlos fortzusetzen. Wir hören das in jeder Talkshow. In allen Nachrichtensendungen werden pauschal „Populisten“ und die AfD ausgegrenzt und verunglimpft, eine gesetzlich anerkannte Partei, die in einer Demokratie wie eine Partei unter anderen behandelt werden müsste. Und in und nach jeder Politik-Sendung und Talkshow brennen dem Zuschauer Fragen auf den Nägeln, die nie beantwortet werden.

Auch der Aufklärer Immanuel Kant hat an den Anfang seines Lebenswerks vier Fragen gestellt: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Was die Normalsterblichen und die „Populisten“ von den Etablierten unterscheidet, sind eben nicht die „einfachen Antworten“, sondern es ist die Klarheit ihrer Fragen und Einwände: Welche Vorteile hat uns die EU in ihrer jetzigen Form gebracht? – Sind wir durch die Einführung des Euro bessergestellt? – Warum wurden wir nicht gefragt, ob wir der wiederholten Griechenland-„Rettung“ zustimmen? – Warum wurden wir und die anderen EU-Länder nicht gefragt, als die Kanzlerin eigenmächtig die Grenzen öffnen ließ? – Warum werden wir nicht gefragt, ob wir unsere Kinder nach der Gender-Mainstream-Ideologie erzogen wissen wollen? – Ja, werden wir überhaupt noch gefragt?

Auf diese drängenden Fragen werden Antworten erwartet. Denn: Was gut durchdacht und sorgfältig geplant ist, kann auch verständlich vermittelt werden. Doch ehrliche Antworten würden für die Eliten so vernichtend ausfallen, dass sie alles tun, um die Fragen gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Volksabstimmungen versus Parteien-Oligarchie

Joachim Gauck glaubt zum Ende seiner Amtszeit nicht, dass der Slogan der DDR-Bürgerrechtler „Wir sind das Volk!“ auch für das jetzige Deutschland Anwendung finden kann. In einem Interview spricht er sich unmissverständlich gegen bundesweite Volksabstimmungen aus, weil den Bürgern nach Gaucks Einschätzung die Einsicht in die Komplexität der Politik fehle. Sogar den Bundespräsidenten sollten sie nicht wählen dürfen. Zitat: „Unser Parlament und die Regierung bestimmen die Politik“, erklärt er gegenüber der Stuttgarter Zeitung. „Eine Direktwahl des Bundespräsidenten würde den Eindruck erwecken, dass es da noch eine letzte Instanz gibt, die autorisiert ist, notfalls das zu korrigieren, was die Regierung möglicherweise falsch gemacht hat.“ Der Bürger, der Souverän als letzte Instanz?

Dazu passt Jakob Augsteins Ansicht, dass die Parlamente die Demokratie vor dem Volk, und das Volk vor sich selbst schützen müssten. Zustimmung auch von Jean Asselborn in einem seiner Interviews: „Das Referendum ist kein geeignetes Instrument in einer parlamentarischen Demokratie, um komplexe Fragen zu beantworten. Wenn man Europa kaputt machen will, dann braucht man nur mehr Referenden zu veranstalten. Denn die Menschen antworten nicht auf sachliche Fragen, sondern erteilen ihren jeweiligen Regierungen Denkzettel.“ Wobei Asselborn mal wieder die EU mit Europa gleichsetzt, apodiktisch hinterfragbare Behauptungen aufstellt und den Bürger wieder einmal zum Deppen erklärt. Sarah Wagenknecht hat dann auch eine ihrer deutlichen Antworten auf Facebook parat: „Wegen mir hätte er gerne noch ein bisschen klarer werden und dann sagen können: In der konzerngesteuerten Europäischen Union ist kein Platz für Demokratie!“

„Wir stehen selbst enttäuscht und sehr betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Bertold Brecht, Der gute Mensch von Sezuan.