Tichys Einblick
Eklat nach Tribünen-Applaus

Im Bundestag ist Beifall bloß erlaubt, wenn für die richtige Seite geklatscht wird

Auch die Anerkennung eines Völkermords im Nahen Osten ist kein Grund, die Debatte über hiesige Missstände einzustellen. Zumal, wenn sie mit dem Resolutionsthema so eng zusammenhängen. Martin Sichert und die Jesiden im Bundestag testen die Toleranz der Ampelfraktionen. Katrin Göring-Eckardt drohte mit der Räumung der Tribüne.

Screenprint: youtube/phoenix

Bei der feierlichen Verabschiedung der Resolution zur Anerkennung des Völkermords an den Jesiden im Deutschen Bundestag kam es am Donnerstag zu wüsten Schreikanonaden, vor allem von den Bänken der Regierungsfraktionen aus. Anlassgeber war die Rede des AfD-Abgeordneten Martin Sichert, dann und vor allem aber das Verhalten der Ehrengäste auf der Tribüne. Das ehemalige Oberhaupt der Jesiden im Nordirak war mit einer zahlenstarken Delegation angereist, teils in klassischer Tracht, teils modern gewandet. Am Ende wurde die Resolution einstimmig angenommen. Das ist schon etwas in diesem Bundestag, der in verschiedene Blöcke zerfällt, zwischen denen gern ein großes Unverständnis füreinander demonstriert wird.

Aber zurück zur Debatte, die durchaus strittig geführt wurde, zumindest von einigen Parlamentariern. Und welcher Ort wäre geeigneter für verschiedene Auffassungen als eben ein Parlament? Gerade hatte eine SPD-Abgeordnete betont, dass „wir alle“ gefragt seien, damit so etwas nicht wieder geschieht. Es war jenes bequeme „wir alle“, bei dem nie klar ist, ob es nun wirklich Handlungsbedarf für die Politik gibt oder eine moralische Einstellung ausreicht, damit wir zukünftig unschuldig aus ähnlichen Entscheidungskonflikten hervorgehen.

Martin Sichert wählte einen konkreteren Zugang zu seinem Thema, was ihm auch insofern leicht fiel, als er mit einer Jesidin verheiratet ist. Sichert berichtet von seinen Besuchen in jesidischen Gemeinden, die auf seine Rede zum Opferschutz gefolgt seien. Die AfD hatte schon zuvor einen Antrag zur Anerkennung dieses Völkermords gestellt, der aber von den anderen Fraktionen abgelehnt wurde. Sichert hieß die in Deutschland lebenden Jesiden „als Repräsentant des deutschen Volkes und als Vertreter der Alternative für Deutschland“ willkommen. „Für politisch Verfolgte wie Sie wurde das Asylrecht geschaffen“, fügte er an, obwohl man überlegen kann, ob kriegerische Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Völkern per se Asyl bedingen müssen.

Kritik an Verharmlosung des politischen Islams und muslimischer Clans

Doch auch Sichert kann sich eine kritische Anmerkung zum Asylrecht nicht verkneifen, das in den letzten Jahren vollkommen ins Gegenteil verkehrt worden sei, so dass „Ihre Verfolger genauso ins Land gelassen wurden wie Sie“. Seit 2015 habe es mehr als 5.000 Hinweise auf Kriegsverbrecher unter Asylbewerbern gegeben. Erster Aufruhr vonseiten der politischen Linken im Saal. Sichert weiter: „Jesidinnen wurden massiv traumatisiert, als sie in Deutschland ihre Skavenhändler oder Vergewaltiger des IS wiedergetroffen haben.“ Die Bundesregierungen seit 2014 seien „auf dem Auge des radikalen Islam … leider vollkommen blind“.

Wohin das führe, habe man zuletzt an Silvester gesehen: „Wann immer es um den Islam oder muslimische Clans geht, wird massiv verharmlost.“ Wütende Zwischenrufe von den Bänken der Grünen: „Es ist eine Frechheit, diese Dinge auszunutzen für Ihre Ideologie! Schämen Sie sich!“, rief der 1993 im Irak geborene Grüne Kassem Taher Saleh, der mit zehn Jahren ins sächsische Plauen kam. Heute engagiert sich Saleh im Verein „DresdenPostkolonial“ und beim Sächsischen Flüchtlingsrat e.V. – zwei NGOs, die für die fortgesetzte, entgrenzte Zuwanderung nach Deutschland stehen.

Sichert warf den Abgeordneten „von der Linken bis zur CDU“ Rassismus vor, um die notwendige Debatte zu unterdrücken – eine Debatte, die er offenbar nicht anhand der ethnischen Zugehörigkeit, sondern mit Kultur und Religion als Themen führen will. Die Scharia sei nicht mit dem Grundgesetz kompatibel und lasse zudem keinen Schutz von Minderheiten wie den Jesiden zu, führte Sichert unter dem heftigen Widerspruch von Lamya Kaddor (auch Grüne) aus, die meinte, es gehe an der Stelle nicht um die Scharia.

Ampel-Abgeordnete forderten Räumung der Tribüne

Sichert griff generalisierende Ausdrücke wie „Täter mit Migrationshintergrund“ oder das neuere „Westasiaten“ an, die dazu dienten die flagrante Rolle „muslimischer Clans“ in Deutschland zu beschönigen oder zu verstecken. Denn diesen darunter teils schlecht integrierten Familien stünden „gut integrierte Jesiden, Armenier, koptische Christen und andere“ gegenüber,. die man so kurzerhand mit den Tätern in einen Topf werfe. Islamistische Kriegsverbrecher seien Verfolger, nicht Verfolgte, und dürften kein Asyl bekommen. Eine SPD-Abgeordnete fand diesen Satz beschämend.

Sichert kritisierte auch Claudia Roth, die die Türkei laut einer eigenen Interview-Aussage vor allem auch für deren „Konflikte“ liebe, während Parteifreunde von Roth Veranstaltungen der Grauen Wölfe oder von deren Tarnorganisationen besuchten. Eine Grüne: „Das geht nicht! Das ist Rufmord!“ Eine andere kurz darauf: „Das ist so unanständig und unwürdig!“ Da hatte Sichert zuvor gesagt, die Grünen seien die „verfassungsfeindlichste Partei in Deutschland“. Deutschland müsse seine Unterstützung für die Türkei, die seit 2014 mit dem IS zusammenarbeite, einstellen, was wiederum Jan Korte von der Linkspartei zu dem Einfall und Ausruf „Scheiß Nazis!“ brachte.

Das Protokoll (wie ein filmischer Mitschnitt der Debatte hier zu finden) berichtet immer wieder auch von „Beifall von der Tribüne“ während Sicherts Rede. Als Sichert in einer gewissen Klimax sagt, dass die AfD sich dafür einsetzen werde, dass es keinen 75. Völkermord an den Jesiden geben wird, brandet stärkerer Beifall der versammelten Jesiden auf. Einige erheben sich. Bilder haben sie sowieso immer wieder gemacht, vielleicht in Unkenntnis der Regularien.

Doch an dieser Stelle hält es die Sitzungspräsidentin nicht mehr, die zudem von den Regierungsfraktionen angegangen wird. Ulrich Lechte von der FDP fordert rigoros: „Raus! Alle raus! Sofort verlassen!“ Nils Schmid (SPD) stimmt ihm zu. Anke Hennig denunziert die Gäste auf der Tribüne: „Die haben gefilmt und fotografiert!“ Die Vizeparlamentspräsidentin droht den Ehrengästen tatsächlich an, dass die Tribüne geräumt werde, wenn sie nicht von „Beifallskundgebungen“ absehen würden. Katja Mast (SPD) hat mitgezählt: „Unmöglich! Fünfmal!“ Die ganze Zeit sei das gelaufen, ergänzt ihre Kollegin Hennig.

Man stelle sich nur vor, die in ihrer Heimat von einem Genozid, Völkermord betroffenen Ehrengäste wären durch Sicherheitskräfte des Bundestags hinausgeführt worden. Welche Bilder zu einer solchen Resolution! Und doch hätten sie eine Kluft der regierenden Parteien verdeutlicht – zwischen Sagen, Meinen und Handeln. Die Kluft, die auch Jesiden in Deutschland oft spüren werden, wo sie unversehens mit der Masse der anderen, oft muslimischen Zuwanderer ohne gültigen Asylgrund in einen Topf geworfen werden und so im Grunde auch ihre Chancen auf Integration geschmälert werden – wenn man sie denn als politische Flüchtlinge anerkennen will.

Mit Baerbock und den Grünen kehrt das Gähnen auf der Tribüne ein

Bei der Begrüßung durch Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und beim Abschied durch Petra Pau (Linke), war Applaus weniger ein Problem. Dabei gab es Probleme genug in der Debatte. Gleich zu Beginn ist bei den Grünen alles „nachhaltig“ – sogar die geplante Auslöschung der Jesiden durch den IS. So sagte es Max Lucks in seiner Eingangsrede. Laut Lucks wurden mehr als 5.000 Jesiden getötet, 7.000 verschleppt und so Hunderttausende aus ihrer Heimat vertrieben. So wollte der Islamische Staat angeblich Macht über „eure Geschichten, eure Identitäten und eure Körper“ (alles im Plural) bekommen. Im Sindschar-Gebirge hätten auch jesidische Milizen den IS besiegt, und zwar für die gesamte Menschheit. Dass die Jesiden Fücks darin folgen werden, dass sie mehrere „Identitäten“ haben, darf als unsicher gelten.

Ist die Terrorgruppe IS aber wirklich und definitiv „besiegt“, wie es Lucks, der doch am Ort des Geschehens war, so hoffnungsfroh sagte? Man darf daran zweifeln. Am Ende muss auch Lucks feststellen, dass die Ursprungsregion der Jesiden keineswegs zur Gänze befriedet ist – unter anderem wegen der militärischen Operationen der Türkei im Nordirak. Die Befriedung der Sindschar-Region will Lucks zu einer Priorität der deutschen Irak-Politik machen. Aber das ist ja nur eine kleine Teilregion, das „Mindeste“, sagt auch Lucks, zugleich vergessend, dass es noch andere Völker („Identitäten“) im Irak gibt. Wie wäre es einfach mit Frieden und Sicherheit vor Gewalt generell als Ziel deutscher Politik?

Auch Sevim Dagdelen von der Linkspartei spricht die fortgesetzte Unterstützung der Türkei für den IS und Deutschlands Verbindungen zur Türkei an, und bekommt dafür keine Widerworte von grünen Bänken. Martin Sichert applaudiert ihr laut Sitzungsprotokoll, als sie das späte Verbot des IS in Deutschland kritisiert und von Außenministerin Baerbock endlich eine Verurteilung der völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei auf den Irak und damit die Sindschar-Region fordert.

In ihrer Rede erzählt Baerbock vom „zersplitterten Handy“ einer Jesidin – so etwas hatte sie vermutlich noch nie gesehen – und stellt Vermutungen darüber an, dass der Westen den Jesidinnen auch wegen ihres weiblichen Geschlechts nicht geholfen habe. Das will Baerbock offenbar im Sinn der feministischen Außenpolitik besser machen. Außerdem will sie – am Ende ihres Vortrags etwas zerfasernd –, dass dafür gesorgt ist, dass sich Völkermord nicht vererbt. Das ist so eine These, nicht ohne Sinn vielleicht, aus der Psychologie. Aber was hat sie mit Politik, Außenpolitik zumal zu tun? Verhaltenes Gähnen auf der Tribüne. So langweilig kann eine an sich spannende Debatte zu Ende gehen, wenn die Falsche am Rednerpult steht.

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