Tichys Einblick
Das tägliche Brot ...

Überflussgesellschaft und Bio-Tonne

Von Brötchenpackungen, die mit „schöner” Regelmäßigkeit in der Bio-Tonne landen.

Brot des Lebens · Abendbrot · Mittagsbrot · Gnadenbrot · Zubrot · Broterwerb · Sein Brot verdienen · In Lohn und Brot stehen · Brotlose Kunst · Den Brotkorb höher hängen · Brot und Spiele · Bei Wasser und Brot · wie geschnitten Brot · Jemandem etwas (immer wieder) aufs Brot schmieren · Jemandem keinen Bissen Brot gönnen · Etwas nötig haben wie das liebe Brot · Der Mensch lebt nicht vom Brot allein · Wes Brot ich ess, des Lied ich sing …

Sie kennen sie bestimmt die oben exemplarisch aufgeführten Wortbildungen, Formulierungen und Redensarten rund ums Brot. Sie erfreuen sich einer respektablen Vielfalt, manche sind schon ein wenig angestaubt, trocken geworden und ihre Konnotationen spiegeln nicht nur Positives wider.

Brot steht als Sinnbild für das lebensnotwendige Nahrungsmittel schlechthin und wird sogar als pars pro toto für Nahrung, Essen, Ernährung erachtet. Brot durfte / darf man nicht einfach fortwerfen! Mit anderen Lebensmitteln ging / geht man durchaus etwas sorgloser um …

Viele Kulturen schreiben dem Brot von je her magische Eigenschaften zu. So gelten Brot und Salz beispielsweise als Symbole der Gastfreundschaft, als Kraftspender und als Zeichen für Beständigkeit. Beim Einzug in ein neues Domizil soll das Brot (mit Salz) den Bewohnern Reichtum, Fruchtbarkeit und Gesundheit bringen.

Das Gebäck ist Sinnzeichen für Vereinigung von Vielfalt (die Körner) zur Einheit (der Brotlaib). Das Brotbrechen hingegen gilt als Bild für das untereinander Teilen. So schlugen früher ehrfürchtige Gläubige zum Zeichen des Dankes ein Kreuz über dem Brotlaib, bevor sie ihn brachen. Hier zeigt sich viel vom sakralen Charakter des Brotes. Im Christentum gilt das Brot als Gottesgeschenk (Unser täglich Brot gib uns heute…), ist eines der bedeutendsten Symbole – steht für Leben. Beim christlichen Abendmahl werden in der sakralen Zeremonie Brot und Wein (Leib und Blut) gereicht, die Hostie, das ungesäuerte Brot für den Leib Christi, der Wein sinnbildlich für sein Blut.

Bei den alten Ägyptern – verkörpert durch den Gott Osiris – symbolisierte Brot Fruchtbarkeit und Erneuerung. Zu Zeiten der Antike standen Brot, Wein und Öl bei den Griechen hoch in Ehren. Im Römischen Reich hielt die Obrigkeit das Volk durch „Brot und Spiele“ bei Laune, versuchte, es von politischen Wirren abzulenken.

Brot war aber nicht nur Ausdruck von Fülle, sondern verwies mit „Wasser und Brot“ ebenso auf die mageren Seiten des Lebens, auf extrem karge Kost, das blanke Überleben, das am Hungertuch Nagen. Wir alle kennen das leidliche Paar „bei Wasser und Brot“, mit dem sich in Vorzeiten z. B. Gefangene „zufriedengeben“ mussten.

Wer kein Brot hatte, musste verhungern. Brot galt als ein, wenn nicht der wichtigste Energielieferant in der Nahrungskette. Viele Jahrhunderte lang diente Korn/Getreide als eine Art Währung, Zahlungsmittel. Bauern mussten ihre Abgaben an die Herrschaft in Form von Getreide leisten.

In der heutigen Zeit ist Brot zur Massenware mutiert. Seine Sortenvielfalt ist immens. Wir können Brot eigentlich überall käuflich erwerben: beim Bäcker, im Supermarkt, am Straßenstand oder an der Tankstelle. Die allermeisten verzehren es, egal ob zum Frühstück oder Abendessen, als Snack, Ersatzmahlzeit, Picknick oder Pausenfüller, als Canapés in gesellschaftlichem Rahmen, geschmackige Crostinis beim Lieblings-Italiener oder, oder, oder. Man braucht es hier und da und dort. Selbst ’ne saftige Bulette (die hat’s Brot in sich), Mister Big Mac oder der inzwischen heimisch gewordene Döner von Izmir nebenan „leben“ nicht ohne!

Fragen wir uns einmal, verliert das Brot bei diesem Permanenteinsatz seine Wertschätzung, gar seine Köstlichkeit? Wer erliegt nicht dem betörenden, dem unendlich appetitanregenden Duft von warmem, knusprigen Brot? Kaum jemand! Zugegeben, die Packung gummiartigen Brotes aus dem Supermarkt oder von der Tankstelle hat nicht den mindesten Appeal des zuvor beschriebenen Gebäcks. Nein, das überkommt den Esser durchaus Lustverlust.

Nun denn, nicht jedem ist eine gepflegte Brotkultur wichtig, nicht jeder kann/mag sich gutes Brot – am liebsten natürlich „alles BIO“, weil sich das inzwischen so gehört! – leisten. Durchaus verständlich. Manch einer greift gedankenlos zum preisgünstigen Angebot, nimmt die XL-Packung. Ist doch so günstig, macht satt, muss ich unter Umständen mal nicht kochen … Was passiert? Die erstandene Portion ist viel zu groß, die Tüte liegt unangegänzt herum, der Inhalt ist am nächsten Tag trocken, niemand will ihn mehr essen.

Von wegen „trocken Brot macht Wangen rot…!“ Nix da, Tüte schnappen, Besuch bei der BIO-Tonne, Deckel auf und hinein mit der Ladung! Ab in die Tonne! Zehn Brötchen auf einmal samt Tüte, diesmal zwei „lebensmüde“ Baguettes gleich hinterher. – So vor kurzem geschehen, als eine Freundin ihren Restmüll entsorgen wollte. Sie griff umgehend zum Telefon und musste erregt und aufgebracht Erlebtes bei mir loswerden. Stell dir vor, sagte sie, eine junge Mutter mit kleiner Tochter bedeutete dem Mädchen mit Kopfnicken: „Wirf’s hinein!“ Sie fasste nicht, was sie mit ansah, konnte und wollte es nicht verstehen. Die Freundin fand ihre Vermutung bestätigt, die Brotmengen, die sie mit „schöner” Regelmäßigkeit in der BIO-Tonne liegen sah und sieht, stammen aus eben dieser Hand.

Warum, warum nur tätigt diese Frau regelmäßig große Broteinkäufe, um sie am Tag drauf fortzuwerfen???? Die Erfahrung, der Brotkorb könnte plötzlich höher hängen, ist total fremd. Es lebe die Überflussgesellschaft!

Dem Mädchen wird vonseiten der Mutter ein Verständnis von Lebensmitteln vermittelt, welches als ausgesprochen respektlos und gleichgültig zu bezeichnen ist. Das Kind wird niemals ein schlechtes Gewissen haben, wenn es Brot oder andere Lebensmittel fortwirft, weil zu viel eingekauft wurde und nicht mehr gegessen wird. Die Achtung vor etwas zum Essen fehlt.

Die ältere Tochter der Frau, sagt meine Freundin, brachte diese übrigens mit ihrem Porsche-SUV zu jeder Demo von Fridays for Future – wenn das Wetter schön war …

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