Tichys Einblick
Cornelia Koppetsch

Prominente Kritikerin der Kosmopoliten gerät unter Plagiatsverdacht

Die Darmstädter Soziologie-Professorin Cornelia Koppetsch hat ein vielbeachtetes Buch veröffentlicht, das mit gängigen Vorurteilen über den Rechtspopulismus aufräumt und den Kosmopolitismus ihres eigenen Milieus kritisiert. Inzwischen wird ihr vorgeworfen, dabei mit unlauteren Mitteln gearbeitet zu haben.

imago Images / Pacific Press Agency

Die in der ersten Jahreshälfte 2019 von der Darmstädter Soziologie-Professorin Cornelia Koppetsch unter dem Titel „Die Gesellschaft des Zorns“ publizierte populärwissenschaftliche Studie über „Rechtspopulismus im globalen Zeitalter“ wurde nach ihrem Erscheinen seitens der etablierten Medien mit Lob geradezu überschüttet. So schrieb beispielsweise Adam Soboczynski am 28. Mai in ZEIT online: „Kaum jemand erklärt die Umbrüche unserer Zeit so glänzend wie die Soziologin Cornelia Koppetsch.“ Sie begreife „die eigentliche Konfliktlinie der Gesellschaft“ richtigerweise als einen im Zuge der Globalisierung entstandenen Machtkampf zwischen transnational und kosmopolitisch ausgerichteten gesellschaftlichen Kräften und jenen Kräften, „die mit dem rasanten Abbau der alten, national ausgerichteten Industriemoderne hadern.“ Kurz darauf bezeichnete Philip Manow am 07. Juni in der FAZ Koppetschs Buch als einen „großen Wurf“, der den auch in Deutschland in Gestalt der AfD und von PEGIDA auskommenden Rechtspopulismus „nicht nur als Schluckauf des Systems“, sondern als das Ergebnis eines „epochalen Umbruchs“ analysiere.

Koppetsch Buch löste in zahlreichen etablierten Medien einen regelrechten Begeisterungssturm aus. Der durchgängige Tenor lautete dabei, die Darmstädter Soziologie-Professorin liefere erstmals eine wissenschaftlich profunde Erklärung für das Entstehen und den nachhaltenden Erfolg des Rechtspopulismus. Sie beschreibe ihn zutreffend als eine Reaktion all derjenigen gesellschaftlichen Schichten, die durch die voranschreitenden Globalisierungs- und Transnationalisierungsprozesse materielle wie immaterielle Statusverluste entweder schon erlitten haben oder mit solchen Verlusten rechnen müssten. Und in der Tat bescheinigt Koppetsch angesichts einer nicht nur von ihr diagnostizierten Erosion der Mittelschicht, einer zunehmenden Prekarisierung der Unterschicht sowie eines Macht- und Ansehensverlustes von Teilen der Oberschicht den Anhängern und Wählern rechtspopulistischer Parteien ebenso plausible wie auch legitime Gründe, sich zum Beispiel gegen die ungebremste Massenzuwanderung, die kulturelle Überfremdung ihrer Heimat oder auch gegen Gender-Mainstreaming zur Wehr zu setzen.

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Obwohl derlei naheliegende Einsichten im In- und Ausland von anderen Autoren wie Rolf Peter Sieferle, Andreas Nölke, Christophe Guilluy, Paul Collier und Francis Fukuyama in ähnlicher oder auch gleicher Form schon vor Koppetschs Publikation dargelegt worden sind, wurden sie erst mit ihrem Buch von den etablierten deutschen Medien breit aufgegriffen und als neue Erkenntnis über den Rechtspopulismus gefeiert. Bis dahin beherrschte die Verteufelung des Rechtspopulismus als Wiedergeburt von Faschismus und Rassismus im Verbund mit der entsprechenden moralischen Abwertung der Anhänger und Wähler rechtspopulistischer Parteien die öffentliche Berichterstattung. Nachdem dies aber den weiteren Aufstieg dieser Parteien bis dato auch in Deutschland nicht stoppen konnte, scheint inzwischen bei einigen Medien die Einsicht zu reifen, dass es sich bei dem aufstrebenden Rechtspopulismus um keinen vorübergehenden politischen Spuk, sondern um eine neue soziale Bewegung handelt, die nicht nur Deutschland dauerhaft verändern und mitprägen wird.

Bei dieser Verortung des Rechtspopulismus bleibt Koppetsch indes nicht stehen. Sie verknüpft sie vielmehr mit einer ausführlichen Kritik des wirtschaftlich, politisch und ideologisch hegemonialen Kosmopolitismus. Diese Kritik formuliert sie nicht nur in ihrem Buch, sondern auch in einem Beitrag für die taz, in der sie unter dem Titel „Die Illusion der Linksliberalen“ unter anderem schrieb: „Die kulturellen Milieus, die sich nach 1968 herausbildeten und dessen Nachfahren die heutigen Kosmopoliten sind, haben sich ursprünglich als ›alternativ‹, das heißt als kulturelle Gegenbewegung zum bürgerlichen Mainstream verstanden. Und obwohl viele dieser Gruppen inzwischen selbst über einflussreiche Positionen in Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Politik verfügen und mithin ihrerseits hegemonial geworden sind, halten sie sich aus alter Gewohnheit für kritisch oder ›links‹. Das erklärt vielleicht, warum bei den Kosmopoliten Globalisierungskritik ganz groß geschrieben wird, man dabei aber in erster Linie auf die Topelite der Konzernchefs und Superreichen blickt und die eigene Rolle im System sozialer Klassenherrschaft übersieht.“

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In ihrer Analyse der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Umbrüche beschränkt sich Koppetsch also keineswegs auf den aufstrebenden Rechtspopulismus als neue soziale (Protest-)Bewegung gegen Globalisierung und Neo-Liberalismus. Analysiert und ausführlich beschrieben wird auch die Herausbildung einer neuen „herrschenden Klasse“. Diese setze sich aus einem Bündnis von global agierenden Unternehmern und Managern der „Old Economy“ und einem anwachsenden „postindustriellen Bürgertum“ in der aufstrebenden, dienstleistungsorientierten „New Economy“ zusammen. Gegen die wirtschaftliche wie aber auch kulturelle Dominanz des damit entstandenen „kosmopolitischen Milieus“ wende sich der Rechtspopulismus. Er begehre somit ebenso gegen die aktuell herrschenden Verhältnisse auf wie vor fünfzig Jahren die 68er-Bewegung. Ging es damals allerdings, im Namen persönlicher Emanzipation von gesellschaftlichen Zwängen, um die Zerstörung tradierter kultureller Werte und Normen im Interesse der Herausbildung eines neuen, flexibleren „Geistes des Kapitalismus“, gehe es heute um die Bewältigung und Begrenzung der mit diesem Geist für einige Bevölkerungsgruppen einhergehenden negativen Folgen.

Mit dieser Interpretation der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Umbrüche wendet sich Koppetsch nicht nur gegen die gängige Verteufelung rechtspopulistischer Parteien wie der AfD, sondern attackiert direkt das „kosmopolitische Milieu“ als Träger eines neuen Herrschaftssystems, das wie jedes Herrschaftssystem gesellschaftliche Opfer gebiert. Soziale Ausgrenzungen erfolgen laut Koppetsch dabei oftmals unbeabsichtigt, „etwa durch die exklusive Vernetzung mit Menschen, die ebenfalls über kulturell avancierte Lebensstile verfügen oder auch entlang ökonomischer Grenzen, etwa durch den kapitalgetriebenen Anstieg von Mieten, wodurch die soziale Entmischung von Städten voranschreitet.“ Damit praktizierten die sich selbst als weltoffen feiernden kosmopolitischen Eliten „unbeabsichtigt das Gegenteil von Offenheit und nehmen den aufstrebenden Schichten obendrein die Möglichkeit der Teilhabe an den Segnungen der ›liberalen‹ Lebensformen.“ Eine Kritik, die vor Jahren fast gleichlautend schon von Frank Böckelmann, einem der Konvertiten der 68er-Bewegung und heutigen Vordenker der Neuen Rechten in Deutschland, in seinem Essay über den „Jargon der Weltoffenheit“ formuliert worden ist.

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Da Koppetsch als Inhaberin eines Lehrstuhls für Geschlechterverhältnisse, Bildung und Lebensführung dem von ihr kritisierten „kosmopolitischen Milieu“ selbst angehört, war nach Veröffentlichung ihres Buchs durchaus damit zu rechnen, dass sie dort in ähnlicher Weise als Ketzerin gebrandmarkt wird, wie dies Sarah Wagenknecht bei der Linken oder Boris Palmer bei den Grünen widerfahren ist. Ketzern droht, leisten sie nicht Abbitte, bekanntlich meist die Exkommunikation. Dies ist Koppetsch bislang allerdings wider Erwarten nicht geschehen. Stattdessen sollte Koppetsch dieses Jahr für ihr neues Buch sogar den renommierten Bayerischen Buchpreis erhalten. Dazu ist es dann aber überraschenderweise nicht gekommen, da sich die Kandidatin plötzlich dem Vorwurf ausgesetzt sah, in ihrem Bestseller mit Plagiaten gearbeitet zu haben.

So berichtetete erstmals die FAZ vom 7. November nach eigener Recherche von 26 plagiatsverdächtigen Stellen in Koppetschs Buch, an denen sie mit sogenannten Verschleierungen oder Bauernopfern gearbeitet habe. Dabei werden unter anderem die Inhalte anderer Autoren übernommen, ohne bei den Quellenverweisen im Text genau kenntlich zu machen, wie umfangreich die Übernahme ist. Oder es werden Darstellungen der Inhalte dritter Autoren von anderen Autoren genutzt, ohne diese Quellen zu nennen. Koppetsch hat inzwischen „handwerkliche Fehler“ bei der Abfassung ihres Buchs eingeräumt und will diese wohl für eine neue Auflage korrigieren. Inzwischen wurden die Vorwürfe aber auch auf ein früheres populärwissenschaftliches Buch von Koppetsch ausgeweitet, das im Jahr 2013 unter dem Titel „Die Wiederkehr der Konformität“ erschienen ist. Der Campus-Verlag, in dem das Buch erschienen ist, hat deswegen dessen Vertrieb eingestellt.

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Das hat die FAZ vom 21. November nun zu der Frage veranlasst, ob Koppetsch regelmäßig einen „Stil der Collage“ anwende, bei dem neue eigene Gedanken mit Ideen und Gedanken von Dritten vermengt würden, „deren Urheberschaft teilweise genannt, teilweise aber auch nicht genannt wird.“ Ein Vorgehen, das beim Verfassen populärwissenschaftlicher Bücher sicher häufiger angewendet wird, richten sich diese doch nicht in erster Linie an die Scientific Community, sondern an das breite Publikum, das sich für die Herkunft der Inhalte wenig bis gar nicht interessiert. Ausführliche Zitate und Fußnoten gelten für populärwissenschaftliche Texten deswegen als störend und werden eher vermieden. Nicht nur in Deutschland unterliegt daher die Publikation populärwissenschaftlicher Bücher von Hochschullehrern seitens der Scientific Community, der sie jeweils angehören, einer besonders genauen Beobachtung. Das gilt insbesondere dann, wenn sie, was vor allem in Deutschland selten genug vorkommt, große öffentliche Erfolge feiern und damit auch den Neid von Kollegen schüren.

Das hat Koppetsch wohl beim Abfassen ihres Buches nicht ausreichend bedacht. Möglicherweise wollte sie sich aber auch mit fremden Federn schmücken und hat als arrivierte Hochschullehrerin gar nicht damit gerechnet, dass ihr Buch einer verschärften Überprüfung unterzogen werden könnte. Wie dem auch sei, Cornelia Koppetschs kometenhafter Aufstieg zur von den etablierten Medien öffentlich gefeierten wissenschaftlichen Star-Interpretin des Rechtspopulismus mündete für sie in ein ziemliches, selbstverschuldetes Desaster, aus dem sie sich nur schwer wird befreien können. Der breit geführte mediale Diskurs um ihre Analyse legitimer Interessen und Motive der Anhänger und Wähler rechtspopulistischer Parteien ist damit wohl ebenso beendet wie der deutlich verhaltener geführte mediale Diskurs um ihre Kritik eines in die Krise geratenen neuen Herrschaftssystems. Dem „kosmopolitischen Milieu“ schadet diese Entwicklung gewiß weniger als der längst überfälligen, sachlich geführten öffentlichen Auseinandersetzung um den Rechtspopulismus und dessen Gegner.

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