Tichys Einblick
Taliban unterm Regenbogen

Christopher Street Day ohne „Einigkeit und Recht und Freiheit“

In Köln agitierten Extremisten so lange gegen das angeblich nationalistische CSD-Motto „Einigkeit, Recht, Freiheit“, bis die Veranstalter entnervt davon abrückten. Die Posse erlaubt einen tiefen Blick in den Zustand der deutschen Linken

JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images

Der Verein „Kölner Lesben- und Schwulentag“, abgekürzt Klust, wagte für 2020 ein von Anfang an heikles Experiment: das Motto für den Christopher Street Day in Köln sollte, wie es heute heißt, inklusiv sein, also linke, liberale, rechte und unpolitische Schwule ansprechen, in Deutschland geborene und zugewanderte. Nach längerem Überlegen kamen die Klust-Vertreter auf die Idee, als Überschrift für den Kölner Pride-Umzug das zu nehmen, was sie für den kleinsten gemeinsamen Nenner hielten, nämlich die Schlüsselworte aus der Nationalhymne, mit Ausrufezeichen leicht modifiziert. Der Kölner CSD 2020 sollte also unter dem Motto „Einigkeit! Recht! Freiheit!“ und den Regenbogenfarben stattfinden. Dagegen, glaubten sie, könnte niemand etwas haben. Sie irrten sich.

Nach wochenlangen Attacken und Wutausbrüchen linker Gruppen zog der Verein die offenbar maßlos provozierenden Worte zurück, um sie durch ein neues Motto zu ersetzen. Das lautet „Für Menschenrechte“.

Der Kölner Kampf gegen „Einigkeit/Recht/Freiheit“ erlaubt einen tieferen Blick in den Zustand der deutschen Linken des Jahres 2020, die angesichts des Zitats aus der Nationalhymne ein Art kollektiven Nervenzusammenbruch inszenierten – und damit ihren Willen durchsetzten.

Den Anfang machte ein schnell zusammengetrommeltes sogenanntes breites linkes Bündnis aus Grünen, Grüner Jugend, Jusos und „Friday For Future“, das befand, das an die Hymne angelehnte Motto sei „unverantwortlich in Zeiten von verstärktem Nationalismus und immer noch andauernder Diskriminierung queerer Menschen durch den deutschen Staat“. Wodurch genau der deutsche Staat „queere Menschen“ – also eine ganze Gruppe – diskriminiert, dazu ließen sich die Briefautoren nicht weiter aus. Worum es ihnen ging, war auch so deutlich: in ihren Augen ist jede positive Bezugnahme auf die Bundesrepublik strikt abzulehnen, egal, ob es um Hymne oder Fahne geht. Dass es beispielsweise auch schwule Migranten gibt, die aus arabischen und afrikanischen Staaten gerade nach Deutschland kommen, weil sie hier nach ihren Vorstellungen leben können, zählt für das linke Bündnis schon deshalb nicht als Argument, weil es überhaupt nicht um Argumente ging. Die Gegner des Mottos warfen dem Klust-Vorstand vor, er habe die Szene „gespalten“. Spaltung findet nach linker Definition immer dann statt, wenn andere sich nicht sofort und umstandslos linken Forderung unterwerfen. Und natürlich ging es längst nicht mehr nur um die schwule Szene in Köln, sondern um die Markierung eines Machtbereichs.

Die öffentliche schwule Szene in Deutschland gilt als linkes Vorfeld, in dem niemand etwas ohne das Plazet der Diskurswächter tun oder unterlassen darf. Dass die Mehrheit der Schwulen und Lesben nicht links außen steht, tut dabei nichts zur Sache. Um sie, also die Mehrheit der Schwulen und Lesben, ging es sowieso schon längst nicht mehr. Bei Grüner Jugend und Jusos reichen bekanntlich schon kleine schwarzrotgoldene Fähnchen zur Fußball-WM, um schwere allergische Reaktionen auszulösen.

Der Redaktionsleiter des ARD-Magazins Monitor, Georg Restle, twitterte:
„Vielleicht gab es mal nachvollziehbare Gründe für dieses #CSD-Motto. Offensichtlich gibt es gute Gründe dagegen. Jetzt spaltet es nur noch. Also neu nachdenken, neues Motto finden, geeint demonstrieren. Was sonst?“

Als der Klust-Vorstand zu einer öffentlichen Diskussion über das Motto lud, bekam er die volle Performance der Einigkeits-Recht-Freiheit-Gegner geboten. Ein Teilnehmer des Abends namens Erik Flügge schildert das so: „Eine zugewanderte Person sprach davon, dass sie das Versprechen ‚Einigkeit und Recht und Freiheit’ zwar höre, aber für sie sei es schlicht nicht in solcher Weise erfüllt, dass sie es als Motto tragen könne. Eine ehemals obdachlose Person schilderte, dass sie nicht unter den Worten der Hymne demonstrieren könne, weil sie mit diesem Staat jetzt in unserer Zeit so viel Leid erfahren hat. Transpersonen sagten, dass sie nicht mit den Worten der Hymne den Staat loben wollen und können, der sie noch immer mit diesem Transsexuellengesetz diskriminiert. Es wurde drauf verwiesen, dass das Motto sich von der AfD vereinnahmen lässt… Eine Aktionsgruppe sprang auf Stühle, bemächtigte sich des Wortes und verlas Namen von LGBTTIQ-Opfern unseres Staates aus jüngerer Zeit. Ein Vorstandsmitglied tanzte auf der Bühne während der Performance aus Protest… Eine Person weinte… Eine weitere Person weinte.“

Dabei blieb es nicht. Als mehrere linksradikale Teilnehmer der Veranstaltung merkten, dass unter den Gästen auch David Berger war, ein schwuler Publizist, der rechts steht, drängten sie ihn und seinen Lebensgefährten, so schildert es Berger, unter Rufen wie „rechtes Arschloch“ aus dem Saal. Einige versuchten ihm das Mobiltelefon aus der Hand zu schlagen. Berger hatte sich in der Diskussion noch nicht einmal zu Wort gemeldet. Er wollte nur zuhören. Nach der Logik der politischen Linienwächter spaltete er also schon durch seine Anwesenheit.

Der Verlauf der Veranstaltung setzte die Klust-Vorstandsmitglieder offenbar so unter Druck, dass sie, siehe oben, das Motto für den Kölner Pride-Marsch änderten. Da diejenigen, die kein Problem mit „Einigkeit, Recht, Freiheit“ hatten und haben, darauf ihrerseits nicht mit einer talibanesken Wut-und-Brüll-Aufführung reagieren, dürfte auch Georg Restle zufrieden feststellen, die Gefahr der Spaltung sei jetzt abgewendet.

Vor mehreren Jahrzehnten meinte der Regisseur Rosa von Praunheim: „Schwulsein ist nicht abendfüllend.“ Was heißen sollte: Sich für das eigene Geschlecht zu interessieren führt nicht zwangsläufig zu einer bestimmten Ideologie, auch nicht zu einer bestimmten Identität. Für die Linksaußen-Aktivisten wäre Praunheim heute wahrscheinlich auch ein Provokateur.

In seinem Buch „Der Wahnsinn der Massen“ beschreibt der britische Autor Douglas Murray, wie fast überall im Westen kleine hoch ideologisierte Gruppen weitaus größeren Gruppen und der ganzen Gesellschaft ihre Agenda aufzwingen. Murray ist übrigens offen schwul. Bei Lesungen in Deutschland hätte er trotzdem mit linksorthodoxen Störern zu rechnen.

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