Tichys Einblick
Kritische Analyse überfällig

CDU: Schockstarre und Realitätsverlust des Wahlverlierers

Das Schicksal der italienischen Konservativen der Democrazia Cristiana hat gezeigt, dass es für die CDU jetzt auf eine konsequente Fehleranalyse der vergangenen Jahre ankommt und einen personellen Neuanfang von Grund auf.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Rechtsanwälte berichten nach der Inhaftierung Prominenter aus Politik, Wirtschaft und Showbiz immer wieder von den gleichen Erscheinungen. Regelmäßig tritt eine Form von Realitätsverweigerung ein. Der Schock ist so gewaltig und der erlittene Machtverlust so stark, dass das jeweilige „Ich“ die neue Situation ganz einfach nicht wahrhaben will. „Das Ganze beruht auf einem Missverständnis oder dem Werk böser Kräfte.“ Wie gewohnt werden Anweisungen herausgestoßen, soll die Umgebung devot wie immer parieren. Nach und nach aber, manchmal erst nach Wochen, setzt sich die normative Kraft des Faktischen durch. Jetzt folgt in der Regel eine Zeit der Depression. Die Betroffenen reduzieren die Nahrungsaufnahme auf ein Minimum und erbrechen sich regelmäßig. Laute Töne sind nicht mehr angesagt, sondern stundenlanges Grübeln und Schweigen. Mittlerweile hat die Routine des Haftalltags das Gemüt eingeholt. Erst jetzt können ernsthafte Gespräche über das weitere Vorgehen und die einzuschlagenden Strategien mit den Anwälten beginnen.

Die CDU befindet sich nach dem Wahldebakel vom 26. September immer noch in Schockstarre. Der unterlegene Kandidat Laschet glaubte in den ersten drei Minuten nach dem Aufwachen immer noch, dass gleich irgendein Bediensteter: „Guten Morgen Herr Bundeskanzler“, hereinruft. Doch stattdessen wartet nur ein weiterer trauriger Tag der unweigerlichen Selbsterkenntnis, dass er die Wahl verloren hat, bis hin zu dem notwendigen Moment, sich Gedanken über die eigene Zukunft zu machen.

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Doch nicht nur die Lage des gescheiterten Kandidaten ist niederschmetternd, die ganze einst so stolze Volkspartei CDU befindet sich in der größten Krise seit ihrem Bestehen. Jeder Tag des Jammerns und der taktischen Spielchen ist unwiederbringlich verloren und sollte lieber mit der nüchternen Analyse der Lage und dem Nachdenken über Schlussfolgerungen verbracht werden. Dabei konnte jeder aufmerksame Beobachter dieses grausame Erwachen der Union schon seit langem kommen sehen.

Zur Bilanz der zur Jahrtausendwende eher zufällig an die Macht gekommenen Angela Merkel gehört seit 17 Jahren ein von Wahltag zu Wahltag höherer Stimmenverlust der Partei Konrad Adenauers und Helmut Kohls. Über die Ursachen durfte unter dem strengen Regiment der nur sanftmütig erscheinenden Sphinx aus dem Osten nicht einmal nachgedacht werden. Geschickt nutzte Merkel die Phase der Traumatisierung der Union nach der ins Dämonische übertriebenen Spendenaffäre Kohls auf die CDU. Wenn man bedenkt, wie stillschweigend die Medien dieses Landes den Wechsel vom Amt des Regierungschefs ins Top-Management eines russischen Staatskonzerns seitens seines Nachfolgers Gerhard Schröder hingenommen haben, wird die ganze Infamie der medialen Vernichtung des Kanzlers der Einheit bewusst. Gemeuchelt hat ihn sein einstiges Ziehkind Angela Merkel. Damals schien die Union erleichtert, heute liegt sie selbst am Boden. Die verantwortliche Person ist die dieselbe. Zielstrebig entkernte die im Inneren nie im System der Bundesrepublik Deutschland angekommene Sozialistin des Herzens die Union von ihrer Substanz. Sämtliche Repräsentanten des konservativen Flügels wurden systematisch ins Aus gedrängt. Gleichschaltung einer ganzen Organisation, nennt man so etwas.

Entsprechend entfernte sich die Union von einem wesentlichen Teil ihres jahrzehntelangen Selbstverständnisses: ob es der Wert der Familie, die Bundeswehr, der Patriotismus oder ähnlich „altmodische Dinge“ waren, wurden sie durch sogenannte „soft skills“ ersetzt. Die Rolle der Frau, die einst in der DDR als die einer voll-berufstätigen Produktivkraft definiert war, deren Kinder in der Obhut staatlicher Einrichtungen aufwachsen sollten, stand jetzt wieder Pate. Eine Ent-Ideologisierung des eigenen Wertesystems wurde in Gang gesetzt.

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Ein Beispiel: Bis heute ist Angela Merkel nicht bereit, die DDR als einen Unrechtsstaat zu bezeichnen. Im Gegensatz zu mancher Rhetorik, betrieb sie in Wirklichkeit einen Schmusekurs mit Moskau und Peking, bei gleichzeitiger Brüskierung des Partners in Washington und Missachtung deutscher Interessen. Hierzu gehört der „angstgetriebene“ und überstürzte Ausstieg aus der Kernenergie, der, wie man heute weiß, Abhängigkeiten von Russland nach sich zog, wie auch eine ohne Absprache innerhalb der EU durchgezogene grenzoffene Flüchtlingspolitik. Das Schlimmste aber ist die Vernebelung aller tatsächlichen Probleme in einer ewigen Harmoniesoße. Eine Taktik, mit der man sich von Wahl zu Wahl durchmogelte. Die Folge war das Entstehen einer, mittlerweile durch zweistellige Wahlergebnisse demokratisch legitimierten, Partei auf der äußersten Rechten – der AfD. Nach fester Überzeugung von Adenauer bis hin zu Strauß und Kohl, hätte so etwas niemals geschehen dürfen. Dies ging einher mit einer zunehmenden Entpolitisierung der politischen Mitte und dem Überdecken tatsächlicher Herausforderungen durch emotionalisierte Corona- und Klimaphänomene, deren Bewältigung nur durch die Ordnungsmacht des Staates gelingen könne.

Wenn die CDU überleben will, das Schicksal der italienischen Konservativen der Democrazia Cristiana hat gezeigt, dass es dafür keine Garantie gibt, kommt es jetzt auf eine konsequenten Fehleranalyse der vergangenen Jahre und einen personellen Neuanfang von Grund auf an. Dazu gehört an erster Stelle eine programmatische Grundsatzdebatte, in deren Ergebnis die Kernpartei der Bundesrepublik zu einem klaren bürgerlichen Profil zurückfinden muss. Notwendig ist dabei auch eine wieder verständliche und klare Sprache, der Mut zur Debatte und auch zum Kampf. Erste leise Stimmen lassen hoffen – wobei der oberste Grande der Partei, Wolfgang Schäuble, sich in eigentümliches Schweigen hüllt. Kurzum: nicht Nachtrauern, Selbstmitleid und Verkennung der Realitäten sind angesagt, sondern Aufbruchswille und selbstbewusster Optimismus mit Mut zur Wahrheit.

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