Tichys Einblick
Nato-Bodentruppen in die Ukraine?

Bundeswehr: Mehr Soldaten mit psychischen Erkrankungen

Im letzten Jahr erkrankten mehr Soldaten als im Jahr zuvor an einer psychischen Belastungsstörung. Ein Grund: Einsätze in Kriegsgebieten. Der französische Präsident Emmanuel Macron schließt nicht aus, dass bald ein Kriegseinsatz in der Ukraine hinzukommt.

IMAGO

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat den grundsätzlichen Einsatz europäischer Bodentruppen in der Ukraine nicht ausgeschlossen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat dies umgehend zurückgewiesen. Man habe sich auch für die Zukunft darauf verständigt, dass „es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischen Boden geben wird, die von europäischen Staaten oder von Nato-Staaten dort hingeschickt werden“.

Würde die Nato Truppen in die Ukraine schicken, dann könnte es nicht nur dazu kommen, dass der Krieg in Richtung Westen eskaliert. Sondern würde ebenfalls bedeuten, dass die Bundeswehr-Soldaten sich auf einen ähnlich belastenden Auslandseinsatz wie in Afghanistan einstellen müssen. Dieser leistete einen Beitrag dazu, dass im vergangenen Jahr mehr Soldaten psychisch erkrankten als in den Jahren zuvor: Wie die Nachrichtenagentur dts berichtet, ist die Zahl der Bundeswehrsoldaten, die nach einem Einsatz psychisch erkrankten, im letzten Jahr gestiegen: 2023 erkrankten demnach offiziell 322 Soldaten – das sind 17 Menschen mehr als im Jahr davor.

Darunter fallen auch die Soldaten mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Laut einer Sprecherin des Verteidigungsministeriums ist diese Zahl „konstant“ geblieben: 197 weitere Bundeswehrsoldaten haben somit eine PTBS. Die Symptome können unterschiedlich sein: Einige erleben traumatische Situationen erneut, beispielsweise in Form von Erinnerungen oder Albträumen. Andere vermeiden Situationen, die sie triggern könnten, oder fühlen sich ständig bedroht.

Offizielle Zahlen nur die Spitze des Eisbergs

Allerdings gibt es eine große Dunkelziffer, wie Bernhard Drescher vom „Bund Deutscher Einsatzveteranen“ gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ sagt: 2022 seien 1.115 Soldaten wegen einer einsatzbedingten psychischen Störung in einer psychiatrischen Abteilung untersucht oder behandelt worden – also knapp viermal so viele wie die offiziell Erkrankten. Davon sind laut Drescher 760 Fälle auf den Afghanistan-Krieg zurückzuführen. Außerdem erklärte die Sprecherin des Verteidigungsministeriums, es sei zu beachten, dass die Bundeswehr die Erkrankungen in dem Jahr, in dem eine entsprechende Diagnose gestellt wurde, zähle. „Gerade PTBS hat häufig eine sehr lange Verlaufszeit zwischen dem Moment der psychischen Verletzung bis zum Hilfesuchen und zur Diagnose“, sagt sie. Das bedeutet, dass Soldaten dann teilweise bereits aus der Bundeswehr entlassen sind, wenn ihre Diagnose gestellt wird.

Die offiziellen Zahlen sind entsprechend nur die Spitze des Eisbergs. Das betont auch Drescher: Die „allermeisten Soldaten“ erkrankten erst, nachdem sie aus der Bundeswehr ausgeschieden seien, so der Verbandsvorsitzende. Für sie sei es schwieriger, nachzuweisen, dass ihre psychischen Probleme auf Einsätze zurückzuführen sind. So würden solche ehemaligen Soldaten „deutlich schlechter“ versorgt. „Das ist ein Grundproblem“, sagt er.

Das klingt auf der Internetseite der Bundeswehr anders: „Ihr aktiver Dienst als Soldatin oder Soldat liegt bereits hinter Ihnen. Der Verdacht einer erlittenen Einsatzschädigung lässt Sie aber nicht los. Die Bundeswehr hilft auch ehemaligen Soldaten und Reservistinnen und Reservisten mit PTBS“, heißt es da.

Aber nicht nur dieses „Grundproblem“, dass ehemalige Soldaten „deutlich schlechter“ versorgt werden, wird von der Bundeswehr beschönigt dargestellt. Ebenfalls werden die Gründe für die psychischen Probleme der Soldaten verharmlost: Auf ihrer Website schreibt die Bundeswehr, dass sich Soldaten teilweise „Herausforderungen, die auf Körper und Psyche wirken“ stellen müssen. Dazu zählt laut Bundeswehr: sich „auf die neuen Lebensumstände einlassen, fremde Kulturen unmittelbar erleben, sich Bedrohungssituationen oder gar dem Kampf stellen“.

Dass die Soldaten in ihrem Dienst, zum Beispiel in Afghanistan, andere Menschen töten oder miterleben müssen, wie ihre Kameraden getötet werden, schreibt die Bundeswehr nicht. Allerdings meint sie, dass die „Teilnehmenden“ Stolz empfänden und „mentales Wachstum“ erführen, wenn sie solche „Herausforderungen“ bewältigen. „Die Kehrseite der Medaille“: Nicht jedem Soldaten falle es leicht, diese „einschneidenden Erfahrungen“ zu bewältigen, so die Bundeswehr weiter.

Verschiedenste Therapieangebote der Bundeswehr

Die Folge sind laut Bundeswehr unter anderem PTBS, Depressionen, Angststörungen, Suchtverhalten, sozialer Rückzug oder sogar Suizidgedanken. Drescher meint, die Versorgung der Betroffenen sei „sehr gut“. „Die Bundeswehr hat da intern viel getan“, sagt er gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Und tatsächlich: Auf der Internetseite der Bundeswehr lassen sich viele verschiedene Angebote finden, sowohl für die Soldaten als auch für ihre Familien.

Zum Beispiel bietet die Bundeswehr das Programm „Tauchen für die Seele“ an: Bei diesem Freizeitwochenende können Betroffene und ihre Angehörigen „in einer einfachen Tauchumgebung eine erlebnis-pädagogisch und körperorientiert wertvolle Erfahrung machen und einen positiven Anreiz in die eigenen Fähigkeiten mit nach Hause nehmen“, lautet die Beschreibung. Zehn Familien können bei diesem Wochenende im August in Leipzig dabei sein. Finanziert wird der gesamte Aufenthalt, inklusive Zoo- und Freizeitpark-Besuche, von der Bundeswehr – also vom Steuerzahler.

Außerdem testet die Bundeswehr derzeit eine stationäre „Familienkur“ in Plön, Schleswig-Holstein, als „Pilotprojekt“, um PTBS zu behandeln. Das soll eine Ergänzung zu den bereits bestehenden präventiven „Mutter-Vater-Kind-Kuren“ sein. Bei diesem Angebot können Partner und Kinder von Soldaten für drei Wochen im Zentrum für Gesundheit und Familie vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Plön einkehren. Dort nehmen sie an verschiedenen psychischen sowie körperlichen Therapien teil und ernähren sich gesund. Sie können außerdem Sport machen, Gesprächskreise besuchen und ihre Kinder in die „Kur-Schule“ schicken, heißt es in dem dazugehörenden Flyer. Diese präventiven Kuren und Angebote sollen die Gesundheit und Psyche verbessern und stabilisieren, schreibt das DRK.

Die Bundeswehr stellt noch mehr Möglichkeiten bereit: Neben einer kostenlosen PTBS-Hotline und einer App „Coach PTBS“ bietet sie zahlreiche Therapiemöglichkeiten an. Bei einer stationären Psychotherapie werden die Betroffenen für acht bis zwölf Wochen in einem der fünf Bundeswehr-Krankenhäuser therapiert: Diese befinden sich in Berlin, Hamburg, Koblenz, Ulm und Westerstede. Außerdem bietet die Bundeswehr eine ambulante Therapie an: Das bedeutet, dass Patienten ein- bis zweimal pro Woche eine Therapie-Sitzung haben und ansonsten am Dienst und Alltag teilhaben können. Zu den Therapieformen gehören nicht nur Einzelgespräche, sondern auch Körper- sowie Ergotherapien, Entspannungsübungen, Imaginationsverfahren und Sport.

Soldat erschießt vier Menschen

Aber wenn es so viele Angebote, Seminare, Kuren und Therapien gibt, wie kann es sein, dass die Zahl der Soldaten mit psychischen Belastungen steigen? Und ein Bundeswehr-Soldat vier unschuldige Menschen ermordet. In den Medienberichten wird immer wieder betont, dass es sich um einen Soldaten handele, wodurch ein Zusammenhang zwischen seinen Erfahrungen im Dienst und den Morden angedeutet wird: In der Nacht zum Freitag hatte der 32-Jährige im niedersächsischen Landkreis Rotenburg (Wümme) drei Erwachsene und ein dreijähriges Kind erschossen, wie Tagesschau und weitere Medien berichten. Mittlerweile hat sich der Mann gestellt und wurde festgenommen. In seinem Auto, das er auf dem Besucherparkplatz der Kaserne in Rotenburg geparkt hatte, stellte die Polizei einen Molotow-Cocktail, mehrere Dutzend Schuss Munition und mehrere Magazine für Schusswaffen sicher, so die Bild. Wie es scheint, wollte der Soldat Florian G. gezielt Menschen töten, die seine Ex-Freundin liebte: Unter den Opfern befindet sich der neue Lebensgefährte der Ex-Partnerin sowie dessen Mutter. Außerdem erschoss Florian G. eine Freundin seiner Ex und deren Tochter.

Die Bundeswehr scheint viel für die psychische Gesundheit ihrer Soldaten zu tun. Immerhin behauptet sie ebenfalls, der Stigmatisierung von solchen Erkrankungen „durch verstärkte Aufklärung und niedrigschwellige Hilfsangebote“ entgegenzuwirken. Ihr Ziel sei es, die Wahrnehmung der Hilfsangebote und damit die Diagnosequote zu verbessern. Die Frage ist nur, ob sie die richtigen Schwerpunkte setzt: Dass eine schöne Familienzeit im Zoo oder beim Tauchen die teilweise traumatischen Erfahrungen von Auslandseinsätzen ausgleichen kann, klingt eher absurd.

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